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Gekonnt weicht Linea aus, indem sie sich zur Seite fallen lässt.
Innerhalb einer Millisekunde ist sie wieder auf den Knien, zückt ihren Dolch und lässt ihre Magie in die Klinge fließen. Weiß leuchtet sie auf.

Sie vollführt eine Drehung, winkelt ihren Arm in Höhe ihres Kinns an und hält den Dolch vor sich.
Mit der anderen Hand drückt sie sich in den aufrechten Stand. Den einen Fuß vorgeschoben, in die Knie gehend, fokussiert sie den Jihana vor sich und konzentriert ihr Gehör auf den, der hinter ihr schlitternd zum Stehen gekommen ist.

So harrt sie einen Moment aus. Atmet hektisch und beobachtet jede noch so kleine Regung des Jihanas vor ihr. Sie weiß, dass sie sich nun keine Fehler erlauben darf, denn sie hat es nicht mit einem, sondern gleich mit zweien ihrer Sorte zutun. Sie darf nicht unaufmerksam werden oder gar ihre Vorsicht verlieren. Ihre Mutter hat sie das Kämpfen gelehrt, es wird Zeit dieses Wissen zu nutzen.

Erst herausfinden wer der Schwächere der Gegner ist, flüstert ihre Stimme plötzlich in Lineas Kopf und als würde sich ein Schalter umlegen, denkt Linea nicht mehr nach. Sie handelt, als würde ihre Mutter sie aus der Ferne lenken.

Sie startet frontal einen Angriff. Mit schnellen Schritten läuft sie auf ihren Gegner zu und studiert währenddessen jede Regung, die er unternimmt.
Der Jihana wirbelt herum, bereit Lineas Angriff abzuwehren, doch das muss er gar nicht, denn sie vollführt eine Drehung, rennt plötzlich in die entgegen gesetzte Richtung, auf den zu, der still hinter ihr stand.
Könnte sein Gesicht Überraschung zeigen, so täte es das wahrscheinlich.

Er schafft es ihrem Dolch auszuweichen, doch ist er nicht schnell genug ihr auszuweichen, sodass ihr Ellenbogen in seiner wabernder Seite verschwindet und ihre Haut an alten Knochen entlang schrappt.

Er ist es.

Ihn muss sie zuerst auslöschen.
Sie wirbelt herum, wissend, dass der Überraschungseffekt noch immer auf ihrer Seite ist. Sie ihn unbedingt nutzen muss.

Linea hebt ihren Arm und lässt den Dolch niedersausen, doch der Jihana weicht in letzter Sekunde aus, sodass der Dolch nicht seinen Rumpf, sondern lediglich seinen Arm, trifft. Dennoch reicht es, dass er ein gellendes Zischgeräusch von sich gibt.

Das ist Schmerz.
Linea empfindet Genugtuung, sogar noch mehr, als sie beginnt den Dolch tiefer in die Schwaden zu bohren.
Die Kreatur greift nach ihrem Arm, versucht den Dolch weg zu drücken, doch Linea schwächt ihn immer mehr. Über den Dolch lässt sie ihre Magie in den Körper des Jihanas fließen.
Sein Arm pulsiert.
Helles Licht erstrahlt zwischen dem schwarzen Nebel, breitet sich aus.

"Vorsicht!", ertönt plötzlich Harbaet's gellende Stimme und im letzten Moment schafft es Linea ihren Kopf zu ducken.
Sie springt von dem Jihana weg und sieht zu, wie er zusammenbricht. Neben ihm, an der Stelle, an der sie bis vor kurzem stand, steht die andere Kreatur. Aus ihrem Arm hat sich ein Schwert geformt, das nun im Boden steckt.

Linea richtet sich auf, wirbelt den Dolch durch die Luft, fängt ihn am Griff wieder.
"Keine Lust mehr zu spielen?", höhnt sie und grinst, "Komisch, ich dachte, ihr könntet mehr, aber ihr seid scheinbar wirklich nur das, aus dem ihr besteht."

Provozier deine Gegner, sorg dafür, dass sie ihre Vorsicht verlieren. Lass ihre Gefühle die Führung übernehmen. Sie machen sie angreifbar.

"So schade. Ich freute mich wirklich auf euer Spiel, doch ihr seid zu schwach, da wird es recht schnell langweilig", singt sie, während sie auf und ab spaziert. Sie wirkt fröhlich, locker, doch dieser Eindruck täuscht, jeder ihrer Muskeln ist bis zum Zerreißen angespannt. Jederzeit bereit zum Angriff oder zum Ausweichen.
Der Jihana mit dem Schwert zischt laut auf, zieht es mit einem Ruck aus dem Boden und stürmt in der nächsten Sekunde blitzschnell auf Linea zu.

Sie springt zurück, zieht den Dolch nach vorne und macht einen Ausfallschritt zur Seite, nur um selbst einen Angriff zu starten.
Sie zielt auf seine rechte Seite, doch bevor die Spitze sie auch nur berühren kann, reißt der Jihana seinen rechten Arm nach vorne, sodass die Schneide in seinem Arm verschwindet. Linea zieht daran, doch der Nebel wird so fest wie Stein. Hält den Dolch in seinem Arm gefangen.

Nun gut, dann wie bei deinem Freund.

Erneut lässt sie ihre Magie in seinen Körper fließen, doch der Jihana ist schlauer. Statt sich seinem Schmerz hinzugeben, reißt er seinen Schwertarm empor und lässt ihn auf Linea niedersausen.
Schreiend lässt sie den Dolch los und fällt zu Boden.
Das Schwert zischt um haaresbreite an ihrem Gesicht vorbei.

Mit großen Augen blickt sie zu dem Dolch im Arm des Jihanas. Nun, wo ihre Hände nicht mehr seinen Griff umfassen, erlischt das weiße Licht. Er ist nur noch ein gewöhnlicher Dolch, der dem Jihana nichts anhaben kann.

Großartig...

Dieser hebt sein Schwert, während sie auf ihrem Hosenboden rückwärts rutscht und ihren Blick nicht von ihm abwenden kann. Ihr Herz schlägt ihr bis zum Hals, das Atmen fällt ihr schwer.
Das ist der Moment, als in ihr etwas erwacht. Ihre volle Macht will heraus gelassen werden.

"Tu es nicht. Du bist ein Leuchtfeuer für jeden Crow in der Nähe", zischelt der Jihana, "Überlass bitte mir den Spaß. Es ist doch mein Spiel."

Wenn alles nichts hilft, dann tu etwas, was dein Gegner am wenigsten erwartet und nutze den Moment.

Linea sieht den Jihana an, beruhigt ihr aufgeregtes Herz und lässt im nächsten Moment einfach ihre Kapuze fallen.
Er weicht zurück, erschrocken, dass ihm eine Crow entgegen blickt und Linea nutzt genau diesen Moment.
Sie springt auf, umfasst mit beiden Händen den Griff des Dolches und schickt ihre Magie in den Körper des Jihanas.
Er kreischt, als das Licht die dunklen Nebelschwaden zerreißt. Am Ende fallen leblose alte Knochen zu Boden und mit ihnen Linea.
Zitternd sitzt sie da und wischt sich den Schweiß von der Stirn.
Nur einen Moment gönnt sie sich die Ruhe die Augen zu schließen. Nur einen kurzen Moment.

Schwankend erhebt sie sich, zieht die Kapuze wieder über ihren Kopf und läuft auf den, am Boden liegenden, Jihana zu.
"Bitte, bitte, töte mich nicht. Ich will doch leben", gurrt er und hört sich fast so weinerlich an wie Harbaet zuvor. Wenn er zu so etwas überhaupt fähig ist.
"Du lebst schon lange nicht mehr", erwidert sie kalt und rammt ihm ihren Dolch in den Hals. Erneut lässt sie ihre Magie in ihn fließen und hört dem lauten Gurgeln zu, das fast wie Melodie in ihren Ohren klingt.

Als es verklingt, steht sie auf und geht langsamen Schrittes zu Harbaet hinüber.
"Du hast mich gerettet!", ruft er ungläubig aus, "Warum? Warum tatest du das?"
Linea kniet sich neben ihn und löst seine Fesseln.
"Du hast eine verdammt weinerliche Stimme. Verdank es ihr, denn sie schlug mir aufs Gemüt", antwortet sie hart.
Harbaet sieht sie mit offenen Mund an.

Sie steht auf und wendet sich ab.
"He-hey, lässt du mich einfach hier?", ruft er ihr nach und robbt ihr ein Stück hinterher.
"Korrekt", ruft sie über die Schulter.
"Ab-ab-er, wenn die Crows mich hier finden..."
"Dann solltest du meinen Rat vielleicht jetzt beherzigen und soweit laufen wie dich deine alten Beine tragen."
Mit diesen Worten lässt sie den verletzten Mann zurück.
Nochmal wird sie ihm nicht helfen.

The Crows Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt