~•~

29 5 15
                                    

Linea lehnt an der Wand. Seit einiger Zeit tut sie das bereits, wobei Zeit an so einem Ort nichts ist, auf dass man sich wirklich verlassen kann.
Genauso wenig wie darauf, dass ein Ausgang, kurz nachdem man ihn benutzt hat, sich nicht in Luft auflöst.

Schwer entkommt der Atem ihrer Kehle, begleitet von einem tiefen Ton der Verzweiflung. Bevor Linea sich dieser noch mehr hingeben kann, stößt sie sich von der Wand ab und läuft erneut den Korridor entlang.
Dieses Mal hat sie keinen Blick für die Gemälde, auch keinen für das, was um sie rum geschieht.
Zügigen Schrittes kommt sie zum zweiten Mal an der Flügeltür an, öffnet diese und durchläuft den dahinterliegende Korridor.

Dieser sieht ähnlich aus wie der erste. Ein lilaner Läufer dämpft ihre Schritte. Zu ihrer rechten Seite hängen wieder Gemälde und die linke Seite zeigt lediglich das Gestein der Wände.

Doch je weiter sie geht, desto mehr verändert sich das Aussehen.
Es wird heller, was den in der Luft hängenden Feuerschalen geschuldet ist, die über ihrem Kopf an Ketten in einem regelmäßigen Abstand von der Decke baumeln.
Vitrinen stehen verteilt im Korridor. In der, an der Linea gerade vorbeiläuft, liegt eine silberne Axt und wenn sie es sich nicht eingebildet hat, sieht sie an der Scheide rostbraune Flecken.

In der nächsten Vitrine wird ein schwarzer Helm, der in einem Bett aus weißen Federn liegt, präsentiert.
Linea wird langsamer, hält auf Höhe dieser an und betrachtet den Inhalt genauer.
Sie muss nicht überlegen von was die Federn stammen und als ihr Blick auf die Kiele fällt, verzieht sie mit einer Mischung aus Schmerz und Ekel das Gesicht.
Auch an ihnen kleben die gleichen Sprenkel wie an der Axt.

Konnte sie sich zuvor noch einreden, dass es Rost sei, wird sie beim Anblick der Federn eines Besseren belehrt.
Sie haben den Doves nicht einfach die Federn gezogen, sie haben sie gewaltsam herausgerissen und hier in diesem Glaskasten präsentiert, als sei es etwas ehrwürdiges.
Linea kann förmlich die Schreie der Doves hören, als sie ihr grauenvolles Schicksal ereilt hat und über sie wie eine schwarze Woge hinweggespült ist.

Wut entfacht sich in ihr. Nicht die Wut, die sie Dinge tun lässt, die sie nicht will. Sondern eine, die mit Recht da ist und sich über die Ungerechtigkeit beklagt. All diese Doves, deren Federn eine Erinnerung an ihre Qual sind, haben dieses Schicksal nicht verdient und schon gar nicht, dass es hier so präsentiert wird.

Linea atmet langezogen durch die Nase aus, berrührt das Glas und widmet sich einem kurzen Moment derer, dessen Federn sie hier sieht.
Dann wendet sie sich ab und setzt ihren Weg, mit einem schweren Gefühl im Bauch, fort.

Nun ignoriert sie die anderen Vitrinen, die immer größer werden und Dinge zeigen, die sie gar nicht sehen will.
Trotzdem, aus dem Augenwinkel nimmt sie sie wahr. Vitrinen, die so hoch wie Menschen und so breit sind, dass mehrere in ihnen Platz finden würden.
Ereignisse werden gezeigt, die aus einer dunkleren Zeit stammen und deren Darsteller mit leblosen Augen und angstverzerrten Gesichtern ihren Feinden ins Antlitz sehen.

Linea hält bewusst den Kopf gesenkt, läuft, als würde sie gegen einen Sturm ankämpfen, an diesen Bildern vorbei.

Nach einiger Zeit kommt sie erneut bei einer Flügeltür an und erneut lauscht sie und erneut hört sie nichts von der anderen Seite.
Vorsichtig öffnet sie die Tür einen spaltbreit und erblickt ein hell erleuchtetes Treppenhaus, in dem eine nach oben und eine andere nach unten führt.
Kerzenständer mit unzähligen Armen stehen an den Seiten und tauchen den Umkreis in einen warmen Schein.

Von einem Crow ist weit und breit weder etwas zu hören noch zu sehen.
Linea öffnet die Tür ganz, tritt hindurch und spürt den Hauch von Erleichterung endlich an einer Treppe angekommen zu sein. Nun hat sie wieder das Gefühl sich auf dem richtigen Weg zu befinden und ihrem Ziel einen Schritt näher gekommen zu sein.

The Crows Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt