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Die Wolke breitete sich unaufhaltsam aus. Nicht nur in der Wüste Alinka, sondern auch in anderen Ländern trat dieses Phänomen auf. Sie verschlang alles auf ihrem Weg, wischte ganze Länder von der Karte.

Nachdem Bernia und Elanko die Auswüchse der Wolke sahen, siedelte das Zelt, samt aller Magie-Angehenden und Lehrkräfte um. Weit oben am Himmel, wo die Sterne zum Greifen nah waren, verbirgte es sich nun und alle Augen waren nach unten gerichtet.

Der Rat entsendete unzählige Magier, die sich in die Wolke begeben sollten und den Ursprung, von dem man ausging, er befinde sich in den wabernden Tiefen, ausfindig machen sollten. Keiner von ihnen kehrte zurück.

Elanko, der in jener Zeit, zum Magier höheren Ranges aufgestiegen war, fasste einen folgenschweren Plan.

"Bitte tu das nicht", bettelt Bernia, als Elanko unzählige Kerzen im Raum entzündet. Doch er scheint sie nicht wahrzunehmen oder gar zu ignorieren.
Unbehelligt von ihrem Flehen entzündet er nach und nach die Kerzen im Raum, die den Boden pflastern. Ein Meer aus weißen Kerzen.

"Elanko", sagt sie und greift nach seinem Arm. Angst schwängert ihre Stimme.
"Du darfst das nicht tun!"
Er entreißt ihr unsanft den Arm, sodass sie kurz ins Taumeln kommt.
"Was soll ich deiner Meinung nach sonst tun? Die Alten sind erstarrt, sie wissen nicht weiter, ich hingegen habe einen Ausweg, der uns retten kann oder willst du etwa nie wieder einen Fuß auf die Erde setzen?"
Er redet sich in Rage. Keiner der Älteren hörte ihm zu, obwohl er ihren Ranges war.

"Warum sollte so ein altes Wesen dir Kraft schenken? Und würdest du diese Kraft denn wirklich wollen? Sie ist anders als die unsere, gefährlicher."
"Genau das wäre die Rettung. Du sagst es ja selbst", entgegnet er scharf, "Sie ist mächtiger als unsere!"
"Macht verändert", erwidert Bernia gereizt.
"Ist mir egal", antwortet er schulterzuckend.
"Wie kann es dir egal sein, wenn du nicht weißt wovon du sprichst?"

Seitdem Elanko's Vater in der Wolke verschwunden ist, ist sein Sohn nicht mehr der Selbe. Ständig verbarrikadiert er sich in seinem Zimmer, steckt die Nase in staubige Bücher und faselt permanent von der Lösung.
Bernia ließ ihn gewähren. Dachte, dass er so seine Trauer verarbeitete, doch dass er zu solchen Mitteln greifen will und versucht sich derartigen Kräften zu bemächtigen, von denen er gar nicht weiß, wie sie wirken und ob er sie überhaupt erhält, damit hatte sie nicht gerechnet.
Nun war er der mit den übertriebenen Mitteln.

"Bernia, bitte", sagt er und bleibt abrupt stehen, "Ich muss das tun."
Flehentlich sieht er sie an, doch anstatt unter seinem Blick weich zu werden, verliert sie sämtliche Sanftmut.
"Du hast eine Idee und das war's. Wer sagt dir, dass es funktioniert, dass du der Wolke Einhalt gebieten kannst? Du hast nichts, außer eine Idee!"
Fassungslosigkeit schwingt in ihrer aufgeladene Stimme mit.
"Du riskierst alles für eine Idee! Wenn die Älteren dein Treiben hier sehen würden. Was glaubst du passiert dann?"
"Ich riskiere nichts, ich weiß, dass es funktionieren wird. Man kann Dunkelheit nur mit Dunkelheit bekämpfen!"

Fassungslos sieht sie ihn an und überlegt, ob ihn zu schütteln helfen würde ihn zur Vernunft zu bringen.
"Die Wolke ist schwarz. Es ist eine Farbe!"
"Oh Nein", erwidert er abschätzig, "Sie ist auch im tiefsten Kern schwarz und alles was sich in ihr befindet. Bernia, geh einfach!" Seine letzten Worte schlagen ihr kalt entgegen. Peitschend wie ein Sturm.

Sie stolpert zurück, als hätte er sie geschlagen. Noch nie sprach er derart mit ihr. Als sei sie der Feind und nicht die, der er gesagt hat, er liebe sie.

"Geh jetzt", wiederholt er knurrend und geht einen Schritt auf sie zu, als sie stocksteif da steht und sich nicht rührt. Ihr Herz setzt einen Moment lang aus und ein dicker Kloß bildet sich in ihrer Kehle.
"Nein", bringt sie hervor, "Ich bleibe bei dir." Es zerreißt ihr das Herz zu wissen ihn nicht aufhalten zu können, zu wissen, dass sein Handeln falsch ist und das Schlimmste, zu wissen, dass sie ihn nicht mal verraten könnte, um ihn so zu stoppen.
Sie bringt es nicht übers Herz und das obwohl sie weiß, dass ihr Handeln so auch falsch ist.
Elanko schnauft, "Dann stör mich nicht oder ich schiebe dich raus."

Als er das sagt, ist sie sicher, dass er es ernst meint und sie weiß noch etwas anderes, sie hat verloren.
Stumm steht sie da und beobachtet ihn bei seinem Treiben, beobachtet ihn als er alte Worte spricht.

Inmitten des Raumes kniet er und hält eine lange, im Kerzenschein leuchtende, Klinge an seinen Arm. Mit einem gezielten Schnitt lässt er seinen Lebenssaft auf den Boden laufen. Er beginnt zu singen, Worte und Töne, die Bernia noch nie zuvor gehört hat.
Sie drückt sich an die Wand, während sie versucht ein Schluchzen herunter zu schlucken. Das war nicht der, in den sie sich verliebte.
Ein kleiner Funken Hoffnung keimt in ihr, dass das Ritual nicht von Erfolg gekrönt sein wird.
Fahrig blättert er, während des Singens in einem Buch, das neben ihm liegt, so als sei er sich nicht sicher, was er genau tun müsse.

Sein Blut hat mittlerweile eine dunkle Pfütze auf dem Boden gebildet. Mit der unverletzten Hand beginnt er Zeichen damit zu malen. Einen Kreis, der von einem Pfeil durchbrochen wird und an dem sich merkwürdig aussehende Schriftzeichen befinden.

"Elanko, bitte", versucht sie es erneut. Dieses Mal weniger aufbrausend, eher weinerlich. Sie drückt sich von der Wand weg und obwohl dies kein Geräusch verursachte, sieht er schlagartig über die Schulter. Seinen Augen glühen in einem gelben Farbton.
Sie bleibt wie angewurzelt stehen, während sie erschrocken aufkeucht. Ihr Herz beginnt zu hämmern.

"Elanko, deine Augen! Was... geschieht... Ich... Nein."
Sie schüttelt den Kopf. Das kann nicht gut sein, das darf nicht geschehen. Loyalität hat auch ihre Grenzen. Sie wirbelt herum, stürzt zur Tür und will gerade nach dem Knauf greifen, als ihre Hand in der Luft innehält.
"Was...?", fragt sie und beißt die Zähne zusammen. Mit aller Kraft versucht sie ihre Hand zu bewegen, doch es nützt nichts.
Sie verharrt an Ort und Stelle. Auch ihre Beine bewegen sich keinen Zentimeter mehr, obwohl es Bernia mit aller Macht versucht.
Angestrengt dreht sie den Kopf und sieht wie Elanko mit der freien Hand in der Luft zeichnet.

"Du wirst mich nicht verraten", sagt er in einem wissenden Tonfall. Mit der Hand in der Luft, zieht er sie, als sei sie an unsichtbare Schnüre gebunden, von der Tür weg, sodass sie nun eher mittig im Raum steht.
Sie versucht etwas zu erwidern, doch selbst das schafft sie nicht.

Stumm laufen ihr die Tränen über die Wangen.
Nun hat sie endgültig verloren.

Elanko rief dunkle Götter an, von denen er in den Büchern las. Namen, die einst Furcht und Schrecken auslösten und sich nicht mal gewagt wurde in der Stille seiner eigenen Gedanken zu nennen. Er hoffte, dass wenn er nur einen von ihnen erreichen würde, dass er nur den richtigen Handel anbieten müsse, damit er mächtiger würde.
Doch Elanko war unerfahren im Vollzug solch alter Rituale und es war nicht mal gewiss, dass es die Götter wirklich gab. Alte verstaubte Legenden, deren Ursprung das Heim der Fantasie fanden.
Elanko griff hingegen nach jedem Strohhalm und sein Ritual war sogar von Erfolg gekrönt, doch ihm erschien keiner der sagenumwobenen Götter, sondern ein Geist.
Der Geist eines alten Magiers, der zu Zeiten lebte, in der die Welt gerade zu gedeihen begann.

Schon damals gab es Magier, sie halfen den Menschen sich und ihre Fähigkeiten weiter zu entwickeln.
Heliastus war einer von ihnen, doch er war geblendet von seiner eigenen Gier und von einer Macht, die seine schwache Hülle nie besäßen würde, selbst wenn er jahrhundertelang seinen Geist in Geduld üben würde. Sein Blick lag auf dem, was er nicht hatte. Er begab sich auf eine finstere Reise. Studierte Schriften, lernte alte Sprachen und begann zu experimentieren. Er rief alles und jeden an, doch erhielt nie eine Antwort, bis er begann grausame Rituale zu vollziehen und Blutopfer dazubringen. Erst Getier, dann Menschen und am Ende Seinesgleichen. Er raubte ihnen die Lebenskraft und wurde dadurch immer mächtiger, sein Herz immer kälter. Solange, bis auch der letzte Funken seiner Menschlichkeit verraucht und er lediglich eine Hülle war, die wegen der unzähligen Kraft, lebt.

Mit vereinten Kräften wurde er in die Knie gezwungen und seitdem war er nur noch eine Erinnerung, die über die Jahrhunderte immer mehr verblasste, bis Elanko ihn anrief.

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