Kapitel 3 ~ Larua

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Sanft weht der Wind, streichelt Lineas Gesicht, als wolle er sie liebkosen. Die Sonne scheint warm von dem hellblauen Himmel herab. Nicht eine Wolke lässt sich an ihm finden.

Endlich sind sie angekommen. Sie atmet in vollen Zügen die salzige Luft ein, während sich ihr Blick auf das weite marineblaue Meer richtet. Der Horizont besteht aus einer schmalen Linie, die blau von blau trennt. Es ist ein atemberaubender Anblick.

Sie steht auf einer Klippe, barfuß im Gras und spürt wie die Halme ihre Knöchel streicheln. Möwen kreischen am Himmel und lassen sich von der Brise tragen.
Wie gerne wäre sie auch dort oben, wie gerne würde auch sie ihre Flügel ausbreiten und den Wind unter ihrem Gefieder spüren.
Es ist ein herrliches Gefühl und eine Erinnerung an Momente, in denen sie sich unbefangen gefühlt hat.

Ganz im Gegensatz zu ihrer Mutter, von der sie häufig Schelte bekommen hat, wenn sie ihrer kindlichen Neugierde nachgab und sich mit ihrem kleinen Taubenkörper in die Lüfte erhob.
Sie hat es immer heimlich getan, erzählte ihrer Mutter nie davon und dennoch, sie hat es immer gewusst.

Wenn ich dich sehen kann, können sie es auch. Verwandel dich nicht. Du setzt damit zu viel aufs Spiel.

Das hat sie immer gesagt. Dabei ist nie Linea der Grund gewesen, warum sie weitergezogen sind.

Sie wendet sich Erani zu.
"Du bist nun frei, mein Freund", sagt sie zu dem schwarzen Koloss.
Er sieht sie stumm an, sein ganzer Körper erstarrt, nur seine Ohren zucken.
"Ja", sagt sie und lächelt ihn ehrlich an, "Du kannst gehen, wohin du willst und musst nie wieder einen Menschen auf deinem Rücken tragen."

Ausnahmsweise schließt sie sich bei dem Wort Mensch nicht aus. Sie ist zwar keiner, aber immerhin hat sie auch auf seinem Rücken gesessen.

"Geh schon", sagt sie und macht einen Schritt auf ihn zu.
Er beginnt zu tänzeln, ehe er auf sie zu geht und mit seinem Kopf ihre Schulter anstupst.
"Du kannst nicht mitgekommen", murmelt sie und streicht über seinen Hals, "Es wäre zu gefährlich und ich möchte nicht, dass dir etwas passiert. Aber ich verspreche dir, ich komme wieder, sobald ich meine Mutter gefunden habe."
Erani wiehert und bäumt sich auf.
"Ich verspreche es", wiederholt sie und tritt einen Schritt zurück. Er wiehert erneut und blickt sie aus seinen dunklen Augen tief an. Es ist nur ein Moment, aber es fühlt sich für Linea an, als habe das Tier dieses Versprechen besiegelt.
Er dreht ab und läuft gemächlich in die entgegengesetzte Richtung.
Linea beobachtet ihn solange bis seine Konturen in der Ferne verschwinden.

Zum ersten Mal hat sie ein Versprechen gegeben, bei dem sie sich nicht sicher ist, ob sie es halten kann.

~•~

Überrascht blickt Linea empor, als sie zwischen den ersten Häuserreihen zum Stehen kommt. Die Stadt scheint auf einem Berg zu liegen, denn alle Wege, die Linea von ihrer Position aus sieht, führen hinauf. Es herrscht geschäftiges Treiben. Sie sieht Männer, die Wagen hinter sich herziehen, andere stehen in Gruppen zusammen und die meisten der Menschen laufen die Straße, auf der auch Linea steht empor.

Der Geruch von frisch gebackenen Brot und süßen Datteln strömt selbst bis zu ihr hin und ihr Magen sieht das als Anlass direkt ein herzhaftes Knurren von sich zu geben. Sie fasst sich an den Bauch, blickt kurz hinab und entscheidet sich dann dem Geruch, mit der Aussicht auf ein leckeres Essen, zu folgen.
Sie schließt sich den Menschen an und wirkt direkt von der Masse verschluckt. Es geht furchtbar schleppend voran, doch so hat Linea Zeit die Straßen in ihrer Gänze zu betrachten.

Larua ist eine wunderschöne Stadt. Sie dachte es bereits bei Jukina, doch Larua ist bei weitem viel schöner.
Imposante Gebäude, wohin das Auge auch blickt.
Nun weiß sie, warum die Menschen Larua auch die Korallen-Stadt nennen, denn die Bauten schimmern in den schönsten Farben. Auch ihre Form ist ungewöhnlich, anstatt eckig wie die meisten Gebäude, die Linea zuvor sah, sind diese hier ründlich. Das, an dem sie gerade vorbeispaziert, hat die Form einer Sanduhr und auch die Materialien, aus denen die Bauten bestehen sind ungewöhnlich.
Sie sehen aus wie milchiges Glas, das das  Sonnenlicht reflektiert und in den unterschiedlichsten Farben schimmert.
Die Straßen werden von kleinen Bäumchen mit blauen Blüten gesäumt und überall fliegen Schmetterlinge. Linea hat zuvor noch nie so viele Schmetterlinge auf einmal gesehen.

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