Abschluss

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„Alles in Ordnung, Fe?", fragte Lee flüsternd und er sah von seinem Teller auf.
„Was?"
„Ich hab gefragt, ob alles in Ordnung ist."
„Oh. Ja, ich...ich bin nur etwas...durcheinander. Das war einfach nur ein bisschen...viel."
Verständnisvoll nickte sein Freund.
„Muss grauenvoll sein", murmelte er.
„Ungerecht", erwiderte Felix nur mit rauer Stimme.
Lee strich ihm über den Oberarm, dann sah er nach vorne, wo sich eben Dumbledore erhob, um seine alljährliche Rede zu halten.

Felix hörte schon jetzt nicht mehr zu, sondern schweifte mit seinen Gedanken zurück zu dem Inhalt der Seiten. Scheinbar hatte er, als er Reióa erste Mal gelesen hatte, gerade einmal die Einleitung geschafft. Bis zu diesem einen Satz war er auch heute gekommen, dann hatte sich ein Kribbeln seinem Körper bemächtigt, woraufhin er es schnell zugeklappt hatte.
Als das taube Gefühl aber nicht vergehen wollte, hatte er es wieder aufgeschlagen und die restlichen drei Seiten gelesen.
Und das Kribbeln war verschwunden. Einfach so. Und nicht nur das.
Fast hatte es sich so angefühlt, als hätte man ihm eine zentnerschwere Last von den Schultern genommen.
Und da hatte er weder viel gelesen, noch wusste er, was der Text dieser letzten drei Seiten genau enthalten hatte. Da war zwar nur dieses absolut atemberaubende und befreiende Gefühl, aber er wusste, dass er alles, was noch übrig blieb herausfinden würde, wenn er den Rest des Buches haben würde.

Er sah auf zu Dumbledore, welcher die Schüler eben mit einem warmherzigen Lächeln verabschiedete. Seine Arme hatte er dabei weit von sich gestreckt.
Mit einem bitteren Magengefühl wandte sich Felix wieder ab. Das Problem bestand wohl eher darin, überhaupt erst einmal an die weiteren Teile des Buches zu kommen. Voldemort hatte ihn geködert und er war darauf reingefallen. Wenn diese Seiten wirklich reichen würden, würde sich Felix ohne große Probleme mit ihnen zufrieden geben. Aber er bezweifelte, dass sie das taten, zumal der Schwarzmagier wohl niemals so einfach seine Trumpfkarte ihm gegenüber verloren hätte. Verloren, so ein Unsinn.
Auf den Ellenbogen gestützt, verbarg er sein Gesicht ächzend in seinen Händen.
Und er war auf dieses Theater angesprungen.

„Hey, stimmt etwas nicht, Kumpel?"
Felix senkte seine Arme.
„Ja, ich...mir ist nur eingefallen, dass wir ja morgen gar nicht zusammen zurückfahren. Ich muss doch noch meine Prüfung in Verwandlung, Zaubertränke und Arithmantik ablegen."
„Scheiße, stimmt", sagte Lee mit zerknirschtem Gesichtsausdruck. „Aber du schreibst mir einfach in den Ferien und dann gehen wir zusammen in den Scherzartikelladen der Zwillinge. Nachdem du die Fächer mit Bravour überstanden hast."
Felix lächelte.„Das hört sich doch gut an."

~

Und tatsächlich bestand er die letzten Prüfungen. Der Vorteil, wenn man diese nachholte: man erfuhr seine Noten noch am selben Tag.
So schickte McGonagall ihn mit einem Ausdruck puren Stolzes aus der Großen Halle und raunte ihm noch von weitem ein
Ohnegleichen" zu, während er in den anderen beiden Fächern schon bald erfuhr, dass er in Zaubertränke ein Erwartungen übertroffen und in Arithmantik ein Annehmbar geschafft hatte.
Ihm selbst überkam auch ein leiser Anflug von Stolz und Erleichterung zugleich, als er sein Zeugnis endlich in den Händen hielt.

Und so machte er sich gleich am Tag darauf relativ glücklich (er durfte einfach nicht an seinen Paten denken, fast täglich verdrängte er ihn und den stechenden Schmerz in seiner Brust) auf den Weg nach Hogsmeade.
Mit ihm stiegen nur ein Zauberer mit einem Bowler und einem breiten Schnurrbart und zwei ältere Hexen mit langen Röcken und schiefen Nasen in den Zug.

Das war wahrscheinlich das erste Mal, dass er alleine in einem Abteil des Hogwartsexpresses saß. Er verschloss die Tür, verstaute seine Koffer auf dem Gepäckträger, stellte den Käfig mit Claudius auf die Sitzbank gegenüber und ließ sich dann auf die breite, mit Leder bezogene Bank fallen. Und als der Zug losfuhr, sah er zum vorerst letzten Mal auf den Wald und das Schloss. Die unzähligen Türmchen und Erker, all die kleinen Fenster...fast ein wenig wehmütig dachte er an seine Schulzeit zurück. Er wollte diesen magischen Ort nicht verlassen. Nicht...so.
Wie machten das all die unzähligen Hexen und Zauberer?
Wie verließen sie nach sieben Jahren diesen Ort, um einen Beruf anzufangen, in dem Wissen, dass sie dieses Schloss nicht mehr oft wiedersehen würden?
Wenn überhaupt.

Nach und nach verschwand die Schule hinter den Bäumen. Und als schließlich die letzte Turmspitze verschwunden war, lehnte er sich zurück und schloss seine Augen.
Jetzt...müsste er erst einmal schauen, was er machen würde. Weder hatte er Lust, weiterhin im Hauptquartier des Ordens zu versauern, noch wollte er dazu gezwungen sein, ständig einen Blick über die Schulter zu werfen.

Die ganze Zugfahrt über zermarterte er sich den Kopf darüber, aber ihm wollte einfach nichts einfallen. Sein Gehirn war wie leergefegt und abgesehen von Schwärze, Schwärze und noch mehr Schwärze war da rein gar nichts.
Als der Express dann jedoch mit einem solchen Ruck zum Stehen kam, dass er erschrocken auffuhr, realisierte er, dass er wohl eingenickt war.
Er warf einen Blick aus dem Fenster und schnell hievte er sein Gepäck hinunter, schnappte sich noch den Käfig und trat, als die Lok ein letztes Zischen von sich gab, auf den Bahnsteig.

Suchend sah er sich um. Dumbledore hatte gesagt, dass man ihn gleich vom Bahnhof aus abholen würde. Aber keiner der Ordensleute war zu sehen und nur wenige Hexen und Zauberer schritten auf die große Mauer zu oder traten aus ihr hinaus.
Der Bahnhofsvorsteher, welcher sie alle hindurchwinkte oder zum Warten anhielt, sah eher gelangweilt, als gestresst aus.

Nur...zwischen all den Umhängen und Spitzhüten sah er eine einzige Hexe, welche ihn zu beobachten schien.
Sie war zwar leicht vornübergebeugt und sah schon etwas älter aus. Wenn man davon aber ansah, schien sie noch sehr fit zu sein. Ihre hellen, funkelnden Augen huschten einmal über die Passanten, bevor sie wieder auf ihm lagen.

Möglichst ruhig umfasste Felix mit der Hand, die bereits den Käfig hielt, den Henkel seines Koffers, suchte mit der anderen nach dem Griff seines Zauberstabes und ging langsam, aber mit großen Schritten auf den kleinen, untersetzten Zauberer an der Mauer zu.
Und...sie setzte sich ebenfalls in Bewegung. Humpelnd folgte sie ihm, aber er zwang sich, ruhig zu bleiben, die Mauer weiterhin fest im Blick. Wenn sie es allein mit ihm aufnehmen wollte...bitte.
Einen überraschenden Erstarrungszauber wehrte man auch nicht ab, wenn man den Gegenfluch kannte. Und wenn er erst einmal auf dem Muggel-Bahnhof war, konnte er sich leicht unter die Menge mischen. Obwohl...mit einer Eule im Gepäck würde das etwas schwieriger werden.

„Entschuldigen Sie", murmelte ein Zauberer, welcher ihn gerempelt hatte, aber er ging, starr geradeaus schauend, weiter.
Er würde Claudius einfach nur zum Grimmauldplatz vorausschicken und den Käfig selbst stehen lassen.
Nur noch wenige Meter. Dann waren es nur noch ein paar Schritte. Und kurz bevor er am Ende der kleinen Reihe angekommen war, welche hier anstand, und sich an dieser vorbeizwängen konnte, umfasste eine dünne Hand seinen Arm.
Er drehte sich herum, zog seinen Zauberstab und drückte ihn der Hexe in die Seite. Kurz bevor er ihren in seiner spürte.

„Bei den Gründern, bist du paranoid", flüsterte sie belustigt. „Er hat doch gesagt, dass du abgeholt wirst."
Er runzelte seine Stirn. Kichernd fuhr sie fort:
„Ich sollte das vielleicht als Kompliment nehmen, oder? Tonks. Nymphadora Tonks. Hasst es, bei ihrem Vornamen genannt zu werden. Ziemlich trottelig. Cousine von Sirius Black, welcher freigesprochen wurde. Befreundet mit..."
„Er wurde freigesprochen?", unterbrach er sie ungläubig.
Sie zwinkerte.
„Es fehlen noch ein paar Formalitäten, aber ja. Fudge und Amelia Bones sind überzeugt von seiner Unschuld. Dumbledore konnte es ihnen beweisen."
Seine Augen leuchteten.
„Ich fasse es nicht."

Ihre herabhängenden Mundwinkel zuckten. „Glaubst du, wir würden als Ehepaar durchgehen?"
Er sah zu dem Bahnhofsvorsteher, welcher eben die letzte Hexe durch die Mauer gewinkt hatte, dann nickte er.
„Klar."
„Na dann."
„Ich lasse nur Claudius schnell raus."
„Tu das."
Sie nahm ihren Zauberstab weg und humpelte auf die Mauer zu. Nachdem er den Kauz rausgelassen und den Käfig in seinem Koffer verstaut hatte, folgte er ihr und als sie sich gegen die Mauer gelehnt hatten und auf der anderen Seite wieder rausgekommen waren, nahm er das Aussehen eines älteren, pummeligen Mannes an, welcher neben ihr herschlurfte.

Sie verließen den Bahnhof und zum ersten Mal fiel sein Blick auf den Nebel. Er war einfach überall. Dicke, undurchlässige Schwaden lagen auf der Stadt und durch den zusätzlichen Nieselregen wurde das alles nur noch trostloser.
„Was ist denn hier los?", flüsterte er sich umschauend. „Wieso ist das hier alles so...trist?"
„Dementoren", antwortete Tonks ebenso leise. „Sie pflanzen sich fort, deswegen auch der Nebel."

Er warf ihr einen raschen Seitenblick zu. Die alte Frau mit den gekringelten Haaren lief jetzt fast noch gebeugter. Er war sich sicher, dass es an diesem Wetter lag.
„Dementoren", murmelte er. „Sogar die Muggel spüren es."
Tonks sah zu einer Gruppe von Männern in seltsamen Anzügen und nickte.
„Das ist grauenvoll", fügte er hinzu und wischte sich über das schüttere Haar, welches er sich hatte wachsen lassen.

Der Erbe des Prinzen - Die Entscheidung [Teil I]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt