Muggellondon

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Tief durchatmend starrte Felix auf die Bruchstücke seines alten Zauberstabes. Noch nie war ihm eine so indirekte Drohung so deutlich vorgekommen. Seine zitternden Finger strichen über das raue, eingekerbte Holz. Es kam ihm so vor, als würde er die Bruchstelle spüren können - es tat ihm fast weh.
Er schloss seine Augen, dann verschloss er die zwei Stücke wieder mitsamt der kaputten Uhr seines Ziehvaters in seinem Nachttisch und erhob sich, um nach unten zu gehen. Mittlerweile war es schon fast sieben Uhr und schlafen würde er heute sowieso nicht mehr.

Schon vor der Tür hörte er das Klappern des Küchengeschirrs und schluckend hielt er inne.
Es war nur ein Traum, erinnerte er sich. Nichts weiter, nur ein Hirngespinst. Tief atmete er ein, dann öffnete er die Tür und betrat die Küche.
Remus stand mitten im Raum und ließ Geschirr und ein Körbchen voller Brötchen auf den Tisch schweben. Eine dampfende Kanne folgte.

Felix zuckte ein wenig zusammen, als die Tür hinter ihm zufiel und ein lautes Geräusch verursachte. Lächelnd drehte Remus seinen Kopf zu ihm.
„Du bist ja schon wach. Guten Morgen."
Felix erwiderte sein Lächeln.
„Ja. Ich dachte mir, ich bereite das Frühstück vor, aber du bist ja schon eifrig dabei."
Remus grinste. „Tja. Da jedes Frühstück unser letztes gemeinsames sein könnte, mache es besser ich. Wir wollen ja, dass es etwas wird."
„Ha ha." Felix schnitt eine Grimasse und ging dann an ihm vorbei, um sich ein Glas Wasser zu holen. Heißer Kaffee half bei einer trockenen Kehle wenig.

„Guten Morgen", holte ihn eine euphorische Stimme ein.
„Guten Morgen", erwiderte er ebenso laut und hätte dabei fast die gebrummte Antwort von Remus überhört.
Verwundert drehte er sich um und starrte ihn an. Die Ohren des Zauberers hatten einen roten Schimmer angenommen, das Gesicht selbst war jedoch einige Töne blasser geworden.
Schnell besorgte Felix sich sein Wasser, dann stellte er sich betont lässig zu Remus und wartete, bis Tonks selbst in der Küche verschwunden war.
„Sag mal, ist alles in Ordnung?"
„Hm?" Remus sah auf. „Oh ja, alles bestens."
Felix zog seine Stirn in Falten.
„Ist dir schon einmal in den Sinn gekommen, dass du auch ein schlechter Lügner bist?"
Bevor Remus antworten konnte, trat schon Tonks lächelnd zu ihnen, sodass ihm nichts anderes übrig blieb, als seinen früheren Professor nach dem Essen zu löchern.

Während diesem konnte Felix ihn jedoch weiterhin beobachten und etwas verwundert bemerkte er, dass er Tonks kaum ansah. Felix hatte immer gedacht, er würde sie mögen. Hatten sie sich etwa gestritten?
Remus war doch eigentlich jemand, der nach so etwas gleich mit der betreffenden Person darüber sprach und versuchte, sich wieder zu versöhnen. Fast schweigend - nur unterbrochen von grottenschlechtem Smalltalk - leerten sie ihre Teller.

„Lass nur stehen", murmelte Remus, als sich Tonks am Ende des Frühstückes erhob, um ihren Teller in die Küche zu räumen.
Aber sie antwortete nicht einmal, sondern nahm das Geschirr einfach mit, um es mit lautem Klappern abzustellen. Dann kam sie zurück und schnappte sich ihre Jacke, die sie über die Stuhllehne gehängt hatte.
„Bin im Büro. Habt noch einen schönen Tag, Jungs."
Laut fiel die Tür hinter ihr ins Schloss. Verdattert starrte Felix darauf.
„Sag mal...was ist da los bei euch?"
Er sah zu Remus, welcher jetzt eben aufstand.
„Was soll schon los sein? Sie ist einfach nur ein wenig gestresst. Das Aurorenbüro ist momentan viel gefragter."
„Na ja, ich dachte nur...keine Ahnung, du bist zurzeit etwas distanziert." Felix zuckte mit den Schultern. „Es hat auf jeden Fall den Anschein", fügte er leise hinzu.
Remus lächelte.
„Es ist alles gut, keine Sorge."
Damit strebte er bestimmten Schrittes auf die Küche zu.

Kurz noch stand Felix einfach nur da und starrte auf die geschlossene Zwischentür, hinter der lautes Klappern hervordrang, dann beschloss er, dass er frische Luft brauchte. Dringend!
Mit einem tiefen Seufzer machte er auf dem Absatz kehrt, schnappte sich im Flur noch seinen Umhang, der vom Haken hing - der, der sein letztes Weihnachtsgeschenk war, wohlgemerkt - dann trat er auf die frischen Straßen Londons. Ein Passant, ein Muggel, rannte fast in ihn hinein, wich aber gerade noch so aus. Felix warf einen Blick über die Schulter, aber die dunkle Haustür des Grimmauldplatzes war verschwunden. So weit so gut.
Die Hände in den Hosentaschen versenkt, sah er sich um. Eigentlich war es ja egal, wohin. Hauptsache, er kam vorwärts und konnte seine Gedanken ein wenig ordnen. Den Blick auf den Boden gerichtet stapfte er los. Er würde schon sehen, wohin er kam.

~

Auf seinem Weg ließ sich der junge Mann wie selbstverständlich von dem Treiben Muggellondons führen. Die großen Busse, die ihn ein wenig an den Fahrenden Ritter erinnerten, unaufhörlich hupende Taxis und natürlich all die Muggel in ihrer seltsamen Kleidung selbst. Fast ein wenig schmunzelnd betrachtete er eine Gruppe von Muggel, die etwa in seinem Alter sein mussten. Sie trugen kunterbunte Jacken mit dicken Ärmeln und einer von ihnen hielt einen kleinen Kasten in der Hand, von welchem dünne Schnüre bis in seine Ohren führten. Ab und zu gab er ein leises Summen von sich und betrachtete seine Freunde gar nicht weiter.

Felix setzte seinen Weg fort und kam bei einem Geschäft an, dessen Schaufenster er fast ehrfürchtig bestaunte. Staubsauger!
Professor Burbage wäre sicher begeistert. Allein die Farben waren unglaublich, im Unterricht hatte den Schülern immer nur ein graues Exemplar zur Verfügung gestanden und das sah aber auch einige Jahre älter aus als diese hier.

„Sie scheinen sich für unsere neue Kollektion zu interessieren. Wenn Sie wünschen, kann ich Sie gerne im Falle eines Kaufes beraten."
Felix hob seinen Kopf zu der Frau, welche im Eingang des Geschäftes lehnte und ihn erwartungsvoll ansah. Er schenkte ihr sein charmantestes Lächeln, in der Hoffnung, er besaß dieses.
„Verzeihung, aber ich habe kein Geld dabei. Ein andermal vielleicht."
„Oh." Sie straffte ihre Schultern und zog ihre Mundwinkel in die Höhe. „Dann kann ich es kaum erwarten, Sie beim nächsten Mal in unserem Geschäft zu begrüßen zu dürfen."

Freundlich verabschiedete sich Felix und schlenderte weiter. Ab und zu musste er ein paar Kindern ausweichen, welche entweder auf klapprigen Fahrrädern oder auf ihren eigenen Beinen an ihm vorüberflitzten und einmal blieb er sogar abrupt stehen, als das seltsamste Tierwesen vor ihm auftauchte, das er je gesehen hatte.
Es sah aus wie ein Hund und wurde auch an einer Leine geführt, aber - das lockige Fell war durch und durch pink. Wie ein pinkes Schaf mit einer Schleife auf dem Kopf. Unwillkürlich musste er an Umbridge denken. Dann blieb das Wesen auch noch vor ihm stehen und schnupperte ein wenig skeptisch an seinem Umhang. Ob es Fleisch fraß? Unbedingt musste er, sobald er wieder Zuhause war - nachschlagen, was...

„Alles in Ordnung, Sir?"
Felix sah auf, als der ältere Mann das Wesen ein Stück zurückzog. Oder er fragte einfach.
„Ähm...ja. Natürlich. Aber darf ich fragen, was...das ist?"
„Verzeihung, wie bitte?"
Felix hielt die Luft an. Der Muggel sah ihn an, als hätte er nicht mehr alle Tassen im Schrank, dann lächelte er aber.
„Ich verstehe. Meine Frau hat eine Schwäche für Modeerscheinungen. Erst musste der Pudel ins Haus, dann sollte er unbedingt so aussehen. Mit ihm Gassi gehen muss trotzdem ich." Er zuckte mit den Schultern. „Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag, Sir."
Mit tiefen Falten in der Stirn sah Felix dem Duo hinterher. Ein Pudel. Davon musste er Sirius erzählen. Und seinen Freunden.

Immer noch in Gedanken bei dem Tier lief er weiter und sah sich nach weiteren seltsamen Tierwesen um. Sicher gab es noch mehr lustige Haustiere der Muggel.
Als er aber um die nächste Ecke bog, blieb er abrupt stehen. Ein Band flatterte ein paar Meter vor ihm und Muggelpolizisten liefen vor diesem auf und ab. Jeder Schaulustige wurde sofort abgewimmelt. Vorsichtig ging Felix näher, dann erkannte er die Brücke. Oder das, was einmal davon übrig gewesen war.
„Die Brockdale-Brücke", murmelte er ungläubig und starrte auf die Bruchstücke.
Langsam ging er näher. In der Zeitung hatte es schon schlimm ausgesehen, aber in echt war der Anblick nochmal um so einiges grausamer. Er war froh, bei dem Einsturz nicht dabeigewesen zu sein.

„Entschuldigung, Sir. Hey! Gehen Sie zurück, Sir!"
Felix blieb stehen und starrte auf den Mann, der sich vor ihm aufgebaut hatte. Die strengen Augen musterten ihn von Kopf bis Fuß, die Augenbrauen schoben sich nach oben, dann wiederholte er näselnd:
„Ich muss Sie bitten, zurückzubleiben. Sir."
Felix nickte nur und wandte sich nach einem letzten Blick auf das Unglück ab.
Was für ein arroganter Kerl, der müsste mal seinen Aufzug sehen. Allein der Helm war schon lächerlich, so einen trug man doch allerhöchstens beim Quidditch!
Kopfschüttelnd entfernte sich der junge Mann.

Der Erbe des Prinzen - Die Entscheidung [Teil I]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt