Teil8

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In der kommenden Woche hatte ich eindeutig weniger zu tun und mein Kalender war nur moderat mit einfachen Kunden gefüllt.
Das gab mir genug Zeit, mich mal ein wenig um Little Ireland zu kümmern.
Der Historische Garten brauchte Pflege, damit sich die Besucherinnen und Besucher wohlfühlten und er auch weiterhin als Ausflugstipp in den Reiseführern stand.
Die vielen alten Obstbäume blühten schon, viele verströmten einen süßen Duft und wurden von Bienen umschwärmt.
Es war ein friedlicher, ruhiger Ort, den ich gerne besuchte, um von meiner Arbeit runterzukommen.
Der Frühling war in diesem Jahr früh gekommen, es war gerade mal April, aber man fühlte sich schon wie mitten im Mai.
Natascha war sicher schon mit den Vorbereitungen für das Ceili beschäftigt, das jedes Jahr in diesem Monat stattfand und auf das ich mich immer besonders freute.
„Ein schöner Platz", sagte jemand hinter mir. „Man könnte wirklich meinen, man sei im Paradies gestrandet."
Ich drehte mich um und strich mir eine lockere Haarsträhne hinters Ohr.
„Hallo", sagte ich und lächelte. „Ja, nicht wahr? Das war der Sinn hinter Little Ireland. Ein kleines Stück vom Paradies. Es freut mich, dass das rüberkommt."
Meine Gesellschaft war ein Mann um die 30, vielleicht etwas älter. Genau in meinem Alter. Ich musterte ihn neugierig, fragte mich, ob er einfach nur ein Besucher des Hofes war oder ein potenzieller Kunde.
„Mein Name ist Joris", stellte er sich vor. „Du bist Trinity, oder? Andre sagte mir, ich würde dich hier finden."
„Oh! Hatte ich unseren Termin vergessen?"
Wie peinlich. Dabei hätte ich schwören können, dass wir erst für den nächsten Tag verabredet gewesen waren.
„Nein. Ich war nur neugierig, wollte wissen, ob es hier wirklich so aussieht wie auf den Bildern im Internet. Und ich muss wohl ein wenig verloren ausgesehen haben. Aber es freut mich, dass du gerade nichts zu tun hast. Also ... du weißt schon. Nicht nichts zu tun, sondern ..."
„Nicht anderweitig beschäftigt, sondern bei der Gartenarbeit", half ich ihm aus.
„Genau! Ist es okay, dass ich einfach so reingeplatzt bin? Wenn ich störe, bin ich auch ganz schnell wieder weg. Ich wollte unseren Termin nicht vorziehen, sondern mich nur umsehen, wie gesagt."
„Ich habe nichts gegen Gesellschaft", erwiderte ich. „Und wir können uns genausogut hier unterhalten, solange niemand zuhört. Ich bin nicht so pingelig, was Termine angeht. Erstgespräche sind ohnehin gratis."
Ich sah mich um, weit und breit war niemand zu sehen.
„Komm, suchen wir uns eine Bank. Das ist gemütlicher, als in der Gegend rumzustehen."
Ich steuerte eine Bank unter einem blühenden Kirschbaum an und setzte mich.
Joris schlenderte hinter mir her und schien die ganze Umgebung in sich aufzusaugen.
„Kommst du aus der Stadt?", fragte ich. Das würde zumindest seine Überwältigung erklären.
„Ein-Zimmer-Wohnung im grauen Wohnblock."
Ich verzog das Gesicht. Kein Wunder, dass ihm Little Ireland wie das Paradies vorkam.
„Und wie hast du uns gefunden?"
„Foren. Ihr seid sowas wie der Geheimtipp. Etwas ab vom Schuss, großartiger Kaffee und toller Kuchen. Dazu noch die familiäre Atmosphäre und die gut ausgestatten Spielzimmer. Wenn man sich einen Service backen könnte, würdet ihr dabei herauskommen."
„Rabatt gibt es auch mit Komplimenten nicht", warnte ich vorsorglich vor. „Außer beim Kuchen, da lassen wir mit uns reden."
„Das reicht doch schon. Aber im Ernst. Sowas wie euch findet man eigentlich nirgendwo. Was ihr hier gemacht habt ... ist fast unmöglich."
„Disziplin, gutes Wirtschaften und Kundenfreundlichkeit. Das sind unsere Geheimnisse. Wenn unsere Gäste zufrieden sind, empfehlen sie uns weiter. In beiden Bereichen. Außerdem soll das hier ja ein Platz sein, an dem sich alle Menschen wohlfühlen. Wir uns also auch."
Joris seufzte.
„Paradies", wiederholte er.
„Also", versuchte ich, das Gespräch auf das Geschäftliche zu lenken. „Willst du mir erzählen, was du dir so vorstellst? Was deine Vorlieben sind und so?"
„Machst du auch Rollenspiele?"
Ich musste an Jonathan und Vampirella denken, was ich Joris natürlich nicht erzählen konnte.
„Ja", sagte ich nur. „Kommt zwar auf die Art an, generell aber schon. Was stellst du dir vor?"
„Beichte. Inquisitorin und Hexe. Auf dem Scheiterhaufen verbrannt werden."
Hui. Das war schwerer Tobak.
„Folter?", fragte ich. „Richtig mittelalterlich?"
„Wenn das geht. Ich erwarte nicht, dass du mir die Fingernägel herausreißt oder mich räderst. Aber ... glühendes Eisen könnte ich mir schon vorstellen."
„Und die Narben?"
Ich hatte schon mit Feuer gearbeitet, auch mit heißem Metall, aber das waren meist Nadeln gewesen, die so winzige Brandnarben hinterließen, dass man sie eigentlich nicht sah.
„Ich unterschreibe, dass ich mir über die Narbenbildung durchaus bewusst bin und sie akzeptiere."
„Okay."
Irgendetwas in mir regte sich, ich wusste nur nicht, ob es gut oder schlecht war. Es reizte mich schon, Joris' Wunsch auszuprobieren, das war noch mal ein ganz anderes Kaliber, selbst als Jonathan. Aber irgendwie hatte ich auch ein ungutes Gefühl dabei.
Klar, man betrieb BDSM, weil man Spaß daran hatte, weil es einem etwas gab, das man auf eine andere Art vielleicht nicht bekam. Doch bei manchen Vorlieben fragte man sich schon, ob da nicht mehr dahintersteckte. Und genau bei Joris hatte ich dieses Gefühl.
„Stimmt was nicht?", fragte er. „Ist mein Wunsch doch zu viel?"
„Nein. Ich frage mich nur, ob diesem Wunsch etwas zugrunde liegt, das ich wissen sollte", antwortete ich ehrlich. „Es ändert nichts daran, dass ich den Wunsch gerne erfülle. Aber ich weiß gerne, worauf ich mich einlasse. Falls es zu unerwarteten Reaktionen kommt, zum Beispiel."
Joris schwieg und beobachtete lieber eine Biene, die sich gerade auf meinem Knie ausruhte. Ich interpretierte das mal als: Ja, es gab etwas, aber er wollte nicht darüber reden.
„Das reicht mir schon", sagte ich. „Alles gut. Hast du sowas schon mal gemacht? Oder stellst du dir nur vor, dass es gut werden könnte?"
„Selbstgeißelung." Er grinste mich schief an, aber es wirkte nicht ehrlich. „Tut höllisch weh, macht auf die Dauer aber irgendwie nicht glücklich."
„Also magst du eher Schmerzen oder das Gefühl, dass da jemand ist, der durch Schmerzen deine Sünden ausmerzen kann?"
„Letzteres."
„Okay. Kriegen wir hin. Brauchst du nur das Mindsetting oder auch die entsprechende Kleidung?"
„Mindsetting. Übrigens ... ich meinte es ernst, als ich sagte, dass ich auf dem Scheiterhaufen verbrannt werden will. Mir ist schon klar, dass das nicht funktioniert, aber ... die Illusion wäre schön."
„Bist du dir ganz sicher?"
Ich wusste, dass es nichts gab, das es nicht gab, und ich hatte auch mit ausgefallenen Fantasien keine Probleme. Entweder, ich konnte es mir vorstellen oder eben nicht.
Aber gerade bei sowas musste ich doch sichergehen. Und es würde einige Sitzungen dauern, bis wir diese Fantasie würden erfüllen können. Wir mussten uns beide herantasten, und das brauchte Zeit.
„Bin ich. Ich weiß, dass ich es in dem Moment bestimmt nicht mögen werde, aber danach wird es mir gut gehen."
„Bei dir ist die Einwilligungserklärung auf jeden Fall mehr als notwendig. Aber okay. Wenn du das willst, steht dem nichts im Wege."
„Wirklich?"
„Wirklich", sagte ich. „Im Ernst, wenn es dich glücklich macht und ich dir das geben kann – alles bestens. Das einzige, was ich will, ist abgesichert sein. Und nichts tun, bei dem es mich schon beim bloßen Gedanken daran schüttelt. Das ist alles. Unser Credo ist, dass hier jeder so sein kann, wie er möchte, ohne, dass er verurteilt wird. Für uns ist das der Kern unseres Geschäfts. Der Kunde ist König und wenn er nicht glücklich ist am Ende, sind wir es auch nicht. Ich glaube, es kam bisher zwei Mal vor, dass Leute abgelehnt wurden, weil sich wirklich niemand von uns mit den Fantasien anfreunden konnte. Die haben wir dann an Kollegen verwiesen und alle waren zufrieden."
„Klingt fast zu schön, um wahr zu sein."
„Das glauben viele auch. Du kannst dir vermutlich vorstellen, wie viele im ersten Moment total ungläubig sind. Und dann aber immer wiederkommen, weil wir halten, was wir versprechen. Du musst dich nur darauf einstellen, dass ich deine Wünsche nicht von heute auf morgen erfüllen kann. Wir müssen rausfinden, was gut ist, was funktioniert ... vielleicht anfangs kürzere Sitzungen miteinander haben, zum Ausprobieren."
„Klingt nur fair."
„Gut."
Damit waren die Rahmenbedingungen erst mal gesetzt und wir konnten uns wieder dem Smalltalk zuwenden.
„Was machst du so beruflich?"
„Ich bin Tierarzt."
„Kleintiere?"
„Versuchst du, mich anzuwerben?"
„Vielleicht."
Die Tiere hier machten viel Arbeit, gerade auch, was die Veterinärmedizin anging. Wir hatten zwar einen Tierarzt, aber es schadete nie, einen zweiten zu haben.
„Ich kann euch gerne in meinen Kundenstamm mit aufnehmen", sagte Joris. „So ausgelastet bin ich tatsächlich noch nicht. Und ihr seid eine zuverlässige Einkommensquelle."
„Dann haben wir ja einen Deal."
Ich hielt Joris meine Hand hin, damit er einschlagen konnte, doch er zögerte.
„Probleme mit privatem Körperkontakt?", fragte ich.
Damit wäre er nicht der erste, ich musste es nur berücksichtigen.
„Nein", sagte er. „Es ist nur lange her, dass ich die Gelegenheit hatte, jemandem die Hand zu geben."
Seltsame Bemerkung, aber ich hinterfragte sie nicht. Vielleicht waren die Herrchen und Frauchen seiner Patienten allesamt mürrische Einzelgänger, die nicht mal „Guten Morgen" sagten.


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