Teil20

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Als ich das nächste Mal aufwachte, lagen Alis und Joris noch neben mir, doch das war schnell vorbei, als jemand gegen meine Wohnungstür hämmerte.
„Trinity! Wir wissen, dass du da bist, mach die Tür auf!"
„Scheiße!"
Ich hatte vergessen, dass meine Familie heute meinen Freund begutachten wollte.
„Zieht euch was an!"
Dann war ich jetzt eben in einer Dreierbeziehung. Stimmte ja auch irgendwo, damit würde meine Familie hoffentlich klarkommen. Wenn nicht ... gut. Dann war das so. Würden sie wenigstens nicht mehr auftauchen.
Die ganze Wohnung roch bestimmt nach Sex, aber auch das war nicht mein Problem. Meine Mutter glaubte ja eh nicht daran, dass ich in einer Beziehung war, also war das sogar gut.
Nur mussten Alis und Joris ihr in ihrem Zustand nicht nackt gegenübertreten.
„Ich komme ja schon!"
Wie viel Uhr war es überhaupt?
Als ich die Tür öffnete, standen dort allerdings nicht meine Eltern, sondern der Bluthund – und dahinter meine Eltern. Das war ... großartig. Nicht.
„Guten Morgen", sagte ich so würdevoll wie möglich. „Bitte, kommt doch rein."
Ich fühlte mich in meinem Morgenmantel mit dem Schmetterlingsmuster zwar eher wenig bis gar nicht für ein solches Gespräch gerüstet, aber die Situation konnte ja jetzt nicht mehr viel schlimmer werden.
„Möchtet ihr Kaffee? Oder Tee?"
Dabei sah ich den Bluthund an, dessen Boss schließlich einen Teesalon besaß.
„Gerne", sagte er. „Kann ich helfen?"
„Warum nicht?"
Er würde uns ja jetzt wohl kaum umbringen, sonst hätte er das schon längst getan.
„Kommt rein!", rief ich meinen Eltern zu. „Und entschuldigt die Unordnung, es ging etwas drunter und drüber die letzten Tage."
Joris und Alis kamen aus meinem Schlafzimmer und fühlten sich sicher alles andere als wohl in ihrer Haut, das war ihnen deutlich anzusehen. Vor allem, als sie den Bluthund bemerkten.
„Möchtest du ... uns nicht mal vorstellen?", fragte meine Mutter zögernd.
Immerhin, sie fühlte sich auch nicht wohl.
Mein Vater und mein Bruder hatten sich offenbar auch etwas anderes vorgestellt und sahen aus, als würden sie am liebsten die Flucht ergreifen. Dagegen hätte ich bestimmt nichts.
„Komm", sagte ich zum Bluthund. „Oder sind wir wieder beim Sie? Ich bin mir nicht so ganz sicher."
„Du mochtest „Kleine", also ..."
„Beim Du."
Auch, wenn ich mir nicht sicher war, wie lange noch, schließlich stellte er eine Gefahr für Alis und Joris dar. Und vielleicht sogar für mich.
Meinem Bruder sprangen fast die Augen aus dem Kopf, als der Bluthund „Kleine" sagte, sagte aber nichts.
Das würden später lustige Gespräche werden.
„Ihr beiden stellt euch selbst vor?", bat ich Alis und Joris, nahm den Bluthund am Arm und zog ihn mit mir in die Küche. Wenigstens war meine Kaffeemaschine so laut, dass ich mich ungestört mit ihm würde unterhalten können.
„Was willst du?", fragte ich, sobald die Kaffeemaschine die ersten Geräusche von sich gab.
Hier mussten irgendwo noch Brötchen oder Brot sein ... und ich wusste immer noch nicht ... oh. Schon zwei Uhr nachmittags. Also Kuchen.
Ich riss das Tiefkühlfach auf und förderte tatsächlich noch eine Tiefkühltorte und einzelne Stücke Kuchen zutage. Sehr gut.
„Der Auftrag ist schiefgelaufen."
„Das weiß ich. Ich wollte deinem Boss einen Vorschlag machen, aber Alis und Joris meinten, es sei keine gute Idee."
„Gilt der Vorschlag noch?"
„Würde ihnen das helfen oder ist es zu spät dafür?"
„Der Boss mag dich. Du hast Eier. Und würdest gut zu uns passen. Wen er mag, darf um Gefallen bitten. Und er versucht, es zu vermeiden, die Menschen, die er mag, zu verletzen."
„Also wären die beiden in Sicherheit, wenn ich in euer Geschäft einstiege?"
Der Bluthund nickte.
„Dann ist die Sache doch klar, oder?"
„Dann bräuchte ich nur noch den Vorschlag. Ganz offiziell. Um dir den Vorschlag des Bosses zu unterbreiten."
Das klang nicht gut. Ich sollte ihn doch nicht etwa heiraten? Wobei, das wäre eigentlich egal. Denn erstens konnte ich dann im Zweifel nicht zu einer Aussage gezwungen werden und zweitens würden Alis, Joris und ich ohnehin niemals den Bund der Ehe eingehen. Falls wir überhaupt eine Beziehung hatten.
„Ich würde ihn an den Einnahmen meines Geschäfts beteiligen", antwortete ich.
„Er würde dich adoptieren."
Beinahe ließ ich die Teller fallen, die ich gerade aus dem Schrank geholt hatte.
„Bitte was?"
„Du erinnerst ihn an seine Tochter. Meine ehemalige Verlobte."
„Oh ... tut mir leid?"
Das klang so, als ob sie gestorben wäre. Oder sie war einfach nur aus dem Geschäft ausgestiegen. Das wäre zumindest die bessere Variante – außer, der Bluthund erwartete jetzt, dass ich ihn heiratete. Dann würde es kompliziert werden. Vielleicht.
„Sie ist ins Ausland, weil sie mit dem Geschäft nichts mehr zu tun haben wollte. Aber der Boss hat mir das Leben gerettet und ..."
„Du konntest den Verrat nicht mit dir vereinbaren", schlussfolgerte ich. „Könnte ich vermutlich auch nicht." Ich seufzte. „Okay. Wenn er die beiden dafür in Ruhe lässt und vor möglichen Killern beschützt ... die beiden haben den Auftrag vermasselt. Ich weiß nicht, wie sicher sie noch sind."
Dre Bluthund nickte.
„Die Einzelheiten solltest du mit dem Boss besprechen. Von unserer Seite aus sind sie sicher."
„Wisst ihr auch, was für ein Gewerbe ich hier betreibe, wenn ihr mich schon verwanzt oder verfolgt habt?"
„Natürlich. Es gibt auch schon einige Interessenten bei uns. Organisiertes Verbrechen ist kein einfacher Job, Kleine. Ich möchte dir wirklich raten, dass du dir darüber im Klaren wirst, worauf du dich einlässt."
„Würdest du darüber nachdenken, wenn es um Menschen geht, die dir wichtig sind?"
Er sah mich einen Moment an, dann schüttelte er den Kopf.
„Du passt in unsere Familie. Treu bis in den Tod, oder?"
„Wahrscheinlich. Ehrlich gesagt, ich möchte das nicht austesten müssen. Aber ... ja. Wahrscheinlich."
„Schade, dass du die beiden so gern hast."
Ich sah die Sehnsucht in seinen Augen, die Wehmut. Mir zog es vor Bedauern das Herz zusammen.
„Wir werden sehen, was passiert", sagte ich. „Keiner kann in die Zukunft sehen. Wobei ... ich gerade schon. Wenn ich nicht schnell da draußen bin, mit Kaffee und Tee, dann bekomme ich gewaltige Probleme. Bekomme ich bald zwar ohnehin, aber ich würde es gerne hinauszögern."
Der Bluthund nickte, nahm mir die Teller aus der Hand und ich öffnete die Küchentür.
Im Wohnzimmer herrschte ein Schweigen, das so dick war, dass man es mit einem Messer hätte durchschneiden müssen.
„Ist alles in Ordnung?", fragte ich betont unbedarft, während der Bluthund den Tisch deckte.
„Ja", sagte mein Vater steif.
Meine Mutter hingegen sah aus, als wäre sie vom Blitz getroffen worden.
„Gut! Der Kuchen braucht noch einen Moment, ich musste ihn erst auftauen. Wobei wir natürlich auch ins Café gehen können, wenn ihr das wollt. Omid freut sich sicher, euch zu sehen, ihr macht immer so tolle Komplimente."
„Hier ist schon okay!", versicherte meine Mutter eilig. „Wir mögen die ... Gemütlichkeit hier."
Was unterm Strich so viel hieß wie „Wir wollen uns da draußen nicht mit dir zeigen, wenn du einen privaten Swingerclub betreibst." Anstatt mich einfach zu fragen, wer zum Beispiel der Bluthund war. Nun ja. Es war jetzt eben so.
Immerhin wusste ich, dass ich adoptiert werden würde. Seltsam, dass ich mir gar nicht die Frage gestellt hatte, was meine Familie davon halten würde. Hatte ich mich innerlich schon längst von ihnen verabschiedet und es nur noch nicht realisiert?
„Also ... ihr habt euch miteinander bekannt gemacht?", erkundigte ich mich. „Ich hoffe, ihr habt euch gut verstanden."
„Sehr", sagte mein Bruder.
Oh je. Je einsilbiger meine Familie antwortete, umso größer das Donnerwetter später.
Na gut. Ich hatte bald ohnehin eine andere. Oder eine zweite. Je nachdem, wie man es betrachtete.
„Also, was führt euch denn her?", fragte ich. „Joris und Alis kennt ihr ja jetzt. Joris' Wohnung muss saniert werden, deswegen habe ich ihm angeboten, bei mir zu wohnen. Und da wir drei über kurz oder lang ohnehin zusammenleben wollen, dachten wir, wir nutzen das mal als Experiment, ob wir gut miteinander auskommen. Joris ist übrigens Tierarzt und hat eine mobile Praxis."
„Aha. Und Sie sind ...?"
Mein Bruder sah den Bluthund an.
„Ein Freund der Familie."
Hui. Er hatte seine Körperhaltung nur ein klein wenig verändert, aber das allein reichte, um alle weiteren Fragen zu unterbinden. Keine Ahnung, ob sie ihn jetzt für meinen Zuhälter oder sonstwas hielten, aber es herrschte auf jeden Fall Ruhe im Karton.
Meine Mutter sprang förmlich auf.
„Ich glaube, wir gehen besser. Ich sehe, du hast ein volles Haus, da wollen wir nicht stören. War schön, dich mal wieder gesehen zu haben und ... viel Spaß mit deinem Ceili. Vielleicht schauen wir vorbei."
Sie rauschte ab, ohne sich wirklich von den anderen zu verabschieden. Mein Bruder und mein Vater murmelten nur ein „Bis dann", dann folgten sie ihr.
Dem Geräusch des Automotors nach zu urteilen, verließen sie den Hof fluchtartig. Und dabei hatten sie nicht mal die Spielzimmer gesehen.
„Na, das lief doch nicht schlecht", seufzte ich. „Sondern viel mehr katastrophal. Aber jetzt habe ich wohl Ruhe vor ihnen."
Und wir konnten uns wieder den wichtigen Dingen zuwenden.
„Was willst du hier?", fragte Joris den Bluthund. „Uns entsorgen?"
„Mit der Kleinen sprechen. Was ich bereits getan habe. Wir haben uns geeinigt."
Joris und Alis sahen mich an.
„Ich lasse mich von Mumpitz adoptieren. Alles weitere wird sich dann klären. Aber damit seid ihr beiden erstens aus dem Schneider und zweitens sicher vor der Rache durch die Killer der anderen Seite."
Ich konnte nicht einschätzen, wie sie darauf reagieren würden. Theoretisch waren sie jetzt noch mehr in die Sache verwickelt als vorher.
Joris' Miene war wie versteinert. Dann stand er auf und ging wortlos nach draußen. Alis folgte ihm nicht, doch auch sie sah alles andere als glücklich aus.
„Ihr werdet aus allem rausgehalten", versprach der Bluthund. „Der Boss hält, was er verspricht."
Ich hoffte, dass Joris nicht auf die Idee gekommen war, zu Mumpitz zu fahren, um ihn zur Rede zu stellen.
„Ich gehe duschen und dann können wir in die Stadt", sagte ich zum Bluthund. „Bis gleich."
Im Bad versuchte ich, die Erinnerungen an den gestrigen Abend abzuschütteln, weil sie mich jetzt nur aufhalten würden.
Ich hatte ein Ziel, und das Ziel war es, die zu beschützen, die mir wichtig waren. Und denen ich wichtig war. Die mich akzeptierten, mit allem, was ich tat.
Ich beeilte mich, so gut ich konnte, zog mich an und ging dann zurück in die Küche, um meinen Fahrer abzuholen.
„Wir können", sagte ich.
Alis sah mich nicht an und ich hatte das Gefühl, dass sie bei meiner Rückkehr nicht mehr da sein würde. Was dann alles umsonst werden ließ.
„Wirst du noch da sein, wenn ich wiederkomme?", fragte ich sie. „Wenn nicht, dann ... geh jetzt. Dann lohnt sich nämlich alles nicht, wenn du und Joris verschwindet."
Ich konnte sehen, wie Alis mit sich haderte, doch letztlich nickte sie.
„Ich werde noch da sein. Und Joris wird auch nach Hause kommen."
Nach Hause. Das klang irgendwie schön.
Ich beugte mich zu ihr und küsste sie sanft. Als ob wir schon in einer Beziehung wären.
„Bis später", sagte ich, nickte dem Bluthund zu und ging nach draußen.
Auf dem Hof herrschte schon reger Betrieb, ich wurde gegrüßt, aber gleichzeitig misstrauisch beäugt.
Der Abgang meiner Eltern war wohl nicht unbemerkt geblieben und natürlich war der Bluthund eine auffallende Erscheinung.
„Ich bedaure, wie es gelaufen ist", sagte er, sobald wir im Wagen saßen.
„Schon okay. Irgendwann musste die Blase ja platzen. Und die Vertreibung aus dem Garten Eden war nur noch eine Frage der Zeit. Es ist doch immer so."
„Dass kein Glück vollkommen ist, meinst du?"
Vollkommen. Gestern kam es mir noch so vor. Aber ja. Eine Frage der Zeit.
„Genau das. Wir müssen mit der Unvollkommenheit leben, auch, wenn wir manchmal einen kleinen Vorgeschmack auf das bekommen, wie es sein könnte. Die süße Frucht der Erkenntnis. Oder so."
Ich lehnte meinen Kopf an die Scheibe und beobachtete, wie die Landschaft an mir vorüberzog. Organisiertes Verbrechen.
Immerhin hatte meine Familie ab heute keine Tochter mehr. Das machte sie weniger verwundbar.
„Was wir tun, ist nicht so schlimm, wie es sich anhört", versuchte der Bluthund, mich aufzumuntern. „Und der Boss ist wirklich in Ordnung. Es gibt auch ... normale Geschäftszweige."
„Welche, die keine Leben zerstören, meinst du?"
Ich wusste, dass es hart war und ich mir den Schuh auch selbst anziehen müsste. Ich bot schließlich eine Dienstleistung an, die mit Sicherheit schon die ein oder andere Ehe gekostet hatte. Hatte ich deshalb darauf verzichtet, verheiratete Personen in meine Kartei aufzunehmen? Nein. Mein moralischer Kompass war schon etwas vom Kurs abgekommen und es stand mir nicht zu, zu urteilen.
„Du fühlst dich bestimmt wohl. Der Boss wird sich gut um dich kümmern."
Ich nickte nur und der Bluthund verstand den Wink. Er ließ mich den Rest der Fahrt über in Ruhe.
Als wir angekommen waren, stieg er aus und öffnete mir die Tür.
„Danke", sagte ich und folgte ihm zum Teesalon.
Auch hier öffnete er mir die Tür und brachte mich dann ein Stockwerk nach oben. Dorthin, wo Joris gestern gewesen war.
Mumpitz schien uns schon erwartet zu haben, er öffnete die Tür und lächelte mich an. Ich glaubte, so etwas wie Bedauern darin zu erkennen.
„Trinity", sagte er und streckte die Arme aus. „Komm rein, mein Kind."
Ich trat ein, der Bluthund blieb draußen und schloss die Tür hinter mir.
„Ich habe von den Komplikationen gehört", sagte ich. „Dass es einen ziemlich hohen Kollateralschaden gab und der Auftrag noch nicht abgeschlossen ist. Die Sache ist aus dem Ruder gelaufen."
„Das stimmt wohl. Und wir müssen einen Weg finden, diesen Fehler zu bereinigen."
„Durch meine Adoption."
Mumpitz nickte.
„Darf ich fragen, wieso? Ich meine, ich hätte auch so eine Beteiligung an meinem Geschäft angeboten. Oder meinetwegen auch Geldwäsche, auch, wenn ich von sowas keine Ahnung habe. Wieso dieser Umweg?"
„Weil ich einen Nachfolger brauche. Oder eine Nachfolgerin, in diesem Fall."
„Sie sind krank? Oder gehen Sie in Rente?"
Er schüttelte den Kopf und bot mir einen Platz auf einem roten, gepolsterten Sofa an. Er selbst setzte sich mir gegenüber in einen Sessel.


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