Teil17

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Mehr, um mich abzulenken als wirklich aus Interesse, schaute ich auf mein Handy, und stellte überrascht fest, dass Alis mir geschrieben hatte und um eine weitere Session bat. Es sei dringend.
Auch das noch.
Eigentlich hatte ich keine Kraft für eine Session. Und frei war auch nicht wirklich was.
„Klappt leider nicht", schrieb ich. „Aber ich kann dir ein offenes Ohr anbieten, falls das hilft."
Es dauerte eine Weile, und ich dachte schon, Alis würde gar nicht mehr antworten, als die Nachricht eintraf: „Ich stecke in der Klemme. Mein Bruder steht auf einer Todesliste."
Mein erster Impuls war, dass sie sich an die Polizei wenden solle, aber dann hielt ich inne. Was, wenn diese Zufälle so irre waren, dass sie Joris' Freundin war, die den letzten Mord für ihn übernommen hatte? Und Mumpitz sie jetzt auf ihren Bruder angesetzt hatte?
Ich ließ es einfach mal drauf ankommen.
„Hat es etwas mit dem Großen Mumpitz zu tun?"
Dieses Mal dauerte es noch länger, bis sie antwortete. Als der Text schließlich kam, klopfte es an der Tür und Joris trat ein.
„Wir sollten unser Gespräch fortführen", sagte er und ich las Alis' Antwort.
„Ich komme vorbei."
Joris und ich warteten schweigend auf Alis' Ankunft. Ich war mir sicher, dass irgendeine Gottheit dort oben gerade vor Lachen auf dem Boden lag. Das, was hier passierte, konnte einfach kein Zufall sein. Dafür war das viel zu abgedreht und viel zu komplex.
Als sie schließlich da war, war es schon egal, dass wir zu dritt auf meinem Bett im Schlafzimmer saßen, das machte die Situation nicht absurder.
„Kann mir irgendwer versprechen, dass das nicht von einem großen Trickster geplant wurde?", fragte ich. „Oder von einem von euch, aus welchem Grund auch immer?"
„Versprochen", sagte Alis leise.
Sie wirkte vollkommen fertig mit den Nerven, was nur allzu verständlich war.
„Ich habe nur leider keine Ahnung, wie ich euch helfen kann. Wäre es nur Joris, hätte ich gesagt, ich mache mir die Hände schmutzig. Aber es ist dein Bruder und ..."
„Er ist ein Arsch", unterbrach Alis mich. „Aber ich möchte nicht, dass ihn jemand umbringt, den ich kenne. Obwohl er es verdient hat."
„Und, jetzt mal ganz naiv gefragt, das könnt ihr Mumpitz nicht einfach sagen? Auf mich wirkte er nicht wie jemand, mit dem man nicht reden kann."
Ich wusste in dem Moment, als ich es aussprach, dass ich mit ihm reden und ihn dazu bringen würde, die beiden aus dieser Aufgabe zu entlassen. Egal, was es kostete. Ja, ich konnte nicht aus meiner Natur.
„Wir haben nichts anzubieten", sagte Joris. „So läuft das halt in dem Geschäft. Jeder Gefallen kostet. Und wir haben ihm keinen getan, um von der Aufgabe entbunden zu werden. Und nichts, um ihn zu bezahlen."
Aber das hatte ich. Nur mussten die beiden das nicht wissen.
„Was hat dein Bruder getan, dass er auf dieser Todesliste steht?"
„Er ist einfach so gewesen, wie er ist. Ein rassistisches, homophobes Arschloch. Hat einen Polizisten gedeckt, der einen von Mumpitz' Männern getötet hat. Ohne, dass es nötig gewesen wäre. Es war eine einfache Drogenübergabe, der Junge war neu, verängstigt, hat sich sofort ergeben. Der Polizist hat trotzdem geschossen. Mein Bruder hat ihn rausgehauen."
Das machte den Tötungsauftrag nicht besser, aber wenigstens etwas nachvollziehbarer.
„Und der Mann vor einer Woche war ..."
„Der Polizist", nickte Alis. „Und da wusste ich, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis es meinen Bruder trifft."
„Deswegen kamst du zu mir."
„Du bist die Königin der Szene. Ich wusste, wenn es jemanden gibt, der mich irgendwo einschieben kann und nicht das Standardprogramm abruft, dann bist du das."
Und da liefen die Fäden zusammen. Ich war die Königin der Szene und deswegen saß ich jetzt so in der Scheiße. Und würde mich noch tiefer hineinreiten.
„Okay", sagte ich und holte tief Luft. „Ich habe einen Plan. Er ist aberwitzig, aber es ist ein Plan. Und damit mehr als wir vorher hatten."
Ein Krisentreffen hatten wir bisher noch nie gehabt, aber es war fest in den Verträgen, die ich abgeschlossen hatte, verankert. Dort stand, dass bei einem dringlichen Problem, das möglicherweise alle betraf, alle zu versammeln waren, egal, zu welcher Uhrzeit.
Joris und Alis hatte ich mitgenommen und hoffte, dass das reichte, um meine Leute von meinem Plan zu überzeugen. Immerhin ging es hier nicht nur um meine Zukunft, sondern auch um ihre.
Omid und Andre saßen mit gerunzelter Stirn auf ihren Plätzen, offenbar ahnten sie schon, dass dieses Treffen nichts Gutes bedeutete.
Ich beschloss, einfach die Bombe platzen zu lassen.
„Ich möchte euch bitten, in das organisierte Verbrechen einzusteigen."
Die meisten sahen aus, als würden sie denken, dass ich scherzte.
Erst, als ich nichts mehr sagte, dämmerte es ihnen nach und nach, dass ich es ernst meinte.
„Und ... wieso?"
Wow. Ich hatte mit einem „Kommt überhaupt nicht in Frage!" gerechnet. Das war schon mal besser als ich gedacht hatte.
„Weil wir hier zwei Menschen haben, die unsere Hilfe brauchen. Die Probleme mit dem organisierten Verbrechen haben und ihre Schulden nicht begleichen können. Weil sie ohne uns ziemlich in der Klemme stecken."
Ich hatte mich dazu entschieden, nicht die ganze Wahrheit zu sagen, um die Sympathien nicht zu verspielen. Dass es Fragen geben würde, war mir aber klar gewesen.
„Was habt ihr denn getan?", fragte Cora.
„Ich bin aus der Prostitution ausgestiegen."
„Schutzgeld."
Das waren wenigstens zwei harmlose, aber glaubwürdige Ausreden. Es musste reichen. Aber der Teil, der jetzt kam, war die Wahrheit.
„Der Tote, von dem neulich in der Zeitung die Rede war, war ein Polizist, der einen kleinen Drogendealer getötet hat, von dem wohl keine Gefahr ausging. Der Junge gehörte zu der Gruppe, bei der auch Joris und Alis waren. Jetzt haben sie die Aufgabe bekommen, Alis' Bruder umzubringen, weil er verhindert hat, dass der Polizist verurteilt wurde. Tun sie es nicht ... nun. Wir haben es mit der Mafia zu tun. Ihr könnt euch vorstellen, was das heißt."
„Und du schlägst vor, dass wir dieses Schicksal teilen, um den beiden zu helfen?", fragte Andre.
„Wir haben bessere Konditionen", entgegnete ich. „Besser gesagt, ich habe die. Euch möchte ich eigentlich gar nicht mit reinziehen. Ich wäre diejenige, die Jobs erledigt. Oder Geld abtritt. Ich möchte nur euer Einverständnis haben. Sollte ich irgendwie auffliegen, fällt das hoffentlich nur auf mich zurück und auf keinen sonst. Ich weiß, dass der Hof Schaden nehmen könnte. Oder wird. Wenn etwas passiert. Wegen dieses Risikos rede ich mit euch."
„Und ich hatte gehofft, es ginge nur um deine Eltern", murmelte Omid.
Falls er auf Lacher gehofft hatte, die blieben aus. Ich konnte das verstehen, sie alle mussten das erst mal sacken lassen.
Sie mussten nachdenken. Sie zu drängen wäre jetzt das falscheste gewesen, was ich hätte tun können.
„Und wenn wir einen anderen Weg gehen?", fragte Cora da. „Die Gruppe vernichten?"
„Das wird nicht klappen", sagte Joris leise. „Nicht, ohne sich mehr Probleme zu machen. Die Gruppe ist groß und gut vernetzt. Und ihr würdet zwar der Polizei einen Gefallen tun, euch aber selbst alle strafbar machen."
„Also lassen wir euch entweder ins Messer laufen, steigen ins organisierte Verbrechen ein – was gutgehen kann, aber nicht muss – oder setzen uns auf die Fahndungsliste", zählte Andre auf. „Das sind ja reizende Optionen."
Danach sagte niemand mehr etwas.
Dann, als ich merkte, wie Alis schon aufstehen wollte, sagte Andre: „Okay, wir machen es."
Ich starrte ihn an, dann die anderen.
Alle nickten.
„Ich ... ich weiß nicht, was ich sagen soll", stotterte ich.
„"Danke" wäre angebracht", sagte Omid. „Ich hoffe, es kommt nicht allzu dicke. Aber du machst das schon, Trin. So. Und jetzt würde ich gerne ins Bett gehen. Der Rest, bis auf etwaige Gewinne, ist deine Sache. Und wenn was passiert, wir wissen von nicht."
„Einverstanden."
Nach und nach verzogen sich alle, allerdings nicht, ohne Joris und Alis noch ein paar aufmunternde Worte mit auf den Weg zu geben.
Als nur noch wir drei da waren, schienen die beiden nicht zu wissen, was gerade passiert war.
„Haben sie wirklich zugestimmt?", fragte Joris. „Und hast du das wirklich vorgeschlagen?"
„Der Kunde ist König", seufzte ich. „Ja, habe ich. Ich weiß nur noch nicht, ob ich Mumpitz heute noch kontaktiere oder demnächst hinfahre. Wobei ein Besuch höflicher wäre."
„Und sicherer. Dein Handy kann ausgelesen werden."
„Und da schreibst du mir was von Todesliste?", fragte ich. „Sehr sicher."
„Ich war nicht ganz bei mir, als ich das geschrieben habe. Da hatte ich gerade die Nachricht bekommen und wusste nicht, was ich tun sollte. War dumm."
„Sowas passiert", erwiderte Joris. „Mach dir keine Gedanken."
„So viel zu „Ich will die große, böse Welt aus meinem Paradies fernhalten"", seufzte ich und sah mich um.
Das war mir ja super gelungen.
Jetzt hatte ich die große, böse Welt selbst eingeladen, sich hier breitzumachen.
Joris und Alis konnte ich keinen Vorwurf machen, sie hatten mich nicht gebeten. Das war allein meine Entscheidung gewesen.
Wie hatte alles nur so aus dem Ruder laufen können?
Allerdings halfen mir diese Gedanken auch nicht weiter, ich musste jetzt mit der Situation leben und irgendwie klarkommen.
Andre hatte mich wirklich richtig eingeschätzt: Ich war zu freigiebig.
Nur war das für den Moment nicht zu ändern.
Alis und Joris merkten, dass es mir nicht gut ging. Klar, wie konnte es das auch?
„Gehen wir schlafen", sagte ich und stand auf. „Das war vielleicht ein Tag."
Die beiden folgten mir zurück zu meiner Wohnung, doch sobald die Tür hinter uns ins Schloss gefallen war, blieben sie im Flur stehen.
„Was ist?", fragte ich.
Die beiden wirkten, als hätten sie etwas vor. Oder würden zumindest über etwas nachdenken.
„Mochtest du den Kuss vorhin?", fragte Joris undn brachte mich damit ziemlich aus dem Konzept. Was sollte das werden?
„Ja", sagte ich verwirrt. „Wie gesagt ... es hätte dir leidtun sollen, dass du aufgehört hast."
Kaum hatte ich das gesagt, zog Joris mich an sich und küsste mich, während Alis begann, meine Hose zu öffnen, danach die von Joris und ihre eigene.
Nun, das war nicht das, was ich erwartet hatte, aber vielleicht genau das, was ich brauchte. Ich wusste nicht, ob ich Gefühle für die beiden hatte, wie auch, wenn wir uns eigentlich nicht kannten, aber es war schön mit ihnen.
Es gab eine Nähe und Verbundenheit, die ich bisher nicht gespürt hatte, und das gefiel mir.
Trotzdem machte ich mich von Joris los, etwas ausßer Atem und mit Sicherheit rot im Gesicht.
„Dusche", sagte ich. Bevor einer der beiden widersprechen konnte, lief ich in Richtung Bad, versuchte auf dem Weg, meine Hose nicht zu verlieren.
Alis schloss die Tür hinter sich und im nächsten Moment hatten wir unsere Hände überall, genauso wie unsere Lippen.
Wer wen seiner Kleidung entledigte, wusste ich nicht, auch nicht, wessen Hände wo waren, aber verdammt, es fühlte sich einfach so gut an.
Irgendwie schafften wir es in einem Knäuel in die Dusche, die ich in weiser Voraussicht ebenerdig hatte einbauen lassen – und natürlich in Übergroße, sodass drei Menschen genug Platz hatten.
Ich wusste nicht, ob das richtig war, was wir hier taten, gerade in dieser Situation, aber was war schon richtig? Offensichtlich wollten wir das und das war die Hauptsache.
Ich stellte das Wasser an und gab mich ganz den Reize hin, die mich überfluteten.
Joris und Alis küssten mich, streichelten mich, begehrten mich.


Little IrelandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt