Teil15

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Es dauerte nicht lang, bis ein adrett aussehender Mann zu mir kam, mir eine kleine Karte brachte und sich dann diskret zurückzog, bis ich meine Wahl getroffen hatte.
Er wirkte fast eher wie ein Diener, nicht wie eine Bedienung.
Halb konzentrierte ich mich auf die erlesene Auswahl an Tees, halb auf die Geräusche, die vielleicht aus dem Obergeschoss zu mir nach unten drangen.
„Den gelben Drachentee, bitte", sagte ich zu dem Mann, der nur nickte und dann verschwand.
Es war verlockend, einfach die Einrichtung hier zu bewundern, den Service, und vollkommen zu vergessen, wieso ich eigentlich hier war und dass Joris mich möglicherweise als Schutzgeisel verwendet hatte.
„Verzeihen Sie die Störung."
Unbemerkt war ein Mann eingetreten, von dem ich vermutete, dass es „der Boss" war. Er strahlte eine natürliche Autorität aus, ohne furchteinflößend zu wirken, was ihn bestimmt umso gefährlicher machte, weil der Versuchung erlag, ihm zu vertrauen. Ich musste vorsichtig sein.
Als ich Anstalten machte, aufzustehen und ihn zu begrüßen, hob er die Hände.
„Nicht doch", sagte er. „Darf ich mich zu Ihnen setzen oder ist Ihnen das unangenehm?"
„Das kommt darauf an, was Sie von mir wollen und ob Joris noch lebt", antwortete ich.
„Es geht ihm gut", sagte er – was natürlich zu erwarten gewesen war.
„Kann ich ihn sehen?"
Der Mann seufzte, stand auf und ging zur Tür.
„Die Dame wünscht Gesellschaft", sagte er nach draußen und kurz darauf kam Joris herein. Er sah nicht glücklich aus, aber schien weder verletzt noch eingeschüchtert.
„Gut", sagte ich. „Sie dürfen sich zu mir setzen. Was kann ich für Sie tun?"
„Eigentlich wollte ich nur die erstaunliche Frau kennenlernen, die meinen besten Mann so durcheinander gebracht hat", antwortete er und reichte mir die Hand. „Wenn Sie gestatten, mein Name ist Mumpitz. Der Große Mumpitz, um genau zu sein."
„Sie nehmen mich doch auf den Arm."
„Der Große Mumpitz". Das sollte ich glauben?
„Es ist ein ... Künstlername", erwiderte er. „Den Sie mir hoffentlich verzeihen mögen."
„Künstlername für was?"
„Etwas, das Sie besser nicht wissen sollten, wenn Sie weiter unbehelligt leben möchten. Sie scheinen überhaupt keine Angst zu haben. Darf ich fragen, woran das liegt?"
„Es würde mir in meiner Situation nicht helfen."
„Eine bewunderswert pragmatische Einstellung", sagte Mumpitz. „Wirklich schade, dass Ihr moralischer Kompass so gut funktioniert. Sie würden gut zu mir passen. Und mein Bluthund würde sich über Ihre Gesellschaft freuen." Er seufzte. „Genießen Sie Ihren Tee. Und seien Sie versichert, dass Sie jederzeit bei uns willkommen sind. Auch, wenn Sie an einer Geschäftsbeziehung intererssiert sein sollten. Wir haben Kooperationen mit verschiedenen Cafés, die ihren Tee von uns beziehen."
Mafia. Eindeutig. Natürlich sprach ich es nicht aus, aber anders konnte ich mir dieses Angebot nicht erklären. Und dann war es auch fast klar, für was sie Joris brauchten.
Sie brauchten ihn als Auftragsmörder.
Oder ich irrte mich total und sah Gespenster. Unterm Strich hatte ich keine Ahnung.
„Danke für das Angebot", sagte ich. „Ich werde darüber nachdenken."
Das meinte ich sogar ernst. Man bekam nicht jeden Tag das Angebot, mit der Mafia zusammenzuarbeiten.
Mumpitz lächelte und stand auf.
„Genießen Sie Ihren Tee", sagte er. „Sie haben eine exzellente Wahl getroffen. Ich lasse Sie nun allein. Es steht Ihnen beiden frei, jederzeit zu gehen.
„Vielen Dank."
Mumpitz verließ das Zimmer, die Bedienung brachte mir meinen Tee und ließ Joris und mich dann ebenfalls alleine.
„Mafia?", fragte ich, weil ich doch neugierig war.
Joris nickte.
„Aufträge?"
Er nickte wieder und ich seufzte.
„Wusstest du, dass das passieren würde?", fragte ich.
„Nein. Sonst hätte ich dich mit Sicherheit nicht in die Stadt mitgenommen. Ich habe keine Ahnung, wie sie mich gefunden haben. Und ich weiß nicht, was mir mehr Angst macht. Wie gut du dich mit ihnen verstanden hast oder wie schnell sie von dir eingenommen waren."
Ich zuckte mit den Schultern.
„Irgendein Talent hat jeder Mensch. Und, hast du nachgegeben? Erzählst du mir davon? Ich finde, das bist du mir schuldig, nachdem du mich in so eine Situation gebracht hast. Vielleicht kann ich helfen."
Ich hatte zwar keine Ahnung, wie, aber wenigstens fragen musste ich. Vielleicht gab es ja wirklich eine Möglichkeit. Die Leiche verschwinden lassen oder so. Schweine fraßen schließlich alles.
„Ich wüsste nicht, wie", seufzte Joris. „Eigentlich wollte ich damit aufhören, aber das ist so ein Gewerbe, aus dem man nicht mehr so leicht herauskommt. Wie bei deinem auch."
„Wie kam es dazu?", fragte ich. „Ich meine ... da rutscht man doch nicht einfach so rein, oder?"
Der Tee war großartig, Mumpitz hatte recht gehabt. Es würde sich allein schon deswegen lohnen, wiederzukommen. Schade, dass er nicht sauber war.
Joris zuckte mit den Schultern, er wollte wohl nicht darüber reden. Das konnte ich verstehen, würde es dieses Mal aber nicht akzeptieren.
„Du hast kein Recht mehr, Geheimnisse vor mir zu haben. Deinetwegen habe ich die Mafia beeindruckt. Ich finde, ich habe Antworten verdient."
„Du hast nicht vor, zur Polizei zu gehen?"
Das schien ihm am meisten Sorge zu bereiten.
„Nein. Ich habe keine Lust, mich in irgendjemandes Angelegenheiten einzumischen, sofern es sich vermeiden lässt. Helfen ja, die Dinge selbst in die Hand nehmen nein. Außerdem würde ich mich damit selbst in Teufels Küche bringen, sollte ich Mumpitz doch nachgeben. Verlockend ist sein Angebot schon, sofern man sich nicht erwischen lässt, hat man ausgesorgt und eine Zusammenarbeit wäre finanziell sehr reizvoll."
Ich spürte, dass Joris so schnell wie möglich hier weg wollte, also trank ich meinen Tee, bedauerte die Eile und stand auf.
„Fahren wir zurück", sagte ich. „Und du bleibst erst mal bei mir, wie wäre es damit? Wir holen ein paar Sachen und du tauchst eine Weile lang bei mir unter. Ich weiß, dass du aus dem Job erst mal nicht raus kommst, aber wir können ja ein bisschen nachdenken. Ich sorge gut für meine Kunden."
„Ich ..."
„Das war keine Frage, bei der du eine Option hast. Du bleibst bei mir, wir denken nach und handeln dann. Komm jetzt. Den Instrumentenkauf verschieben wir erst mal."
Ich nahm Joris am Arm und zog ihn mit mir.
Vor der Tür wartete der Bluthund, der jetzt, wo er mich nicht mehr entführte, eigentlich recht ansehnlich wirkte. Und mit sich im Reinen, was beneidenswert war.
„Der Boss bat mich, Ihnen das hier zu geben", sagte er und gab mir einen Zettel. „Wenn Sie es sich anders überlegen, ist er jederzeit für Sie da."
„"Kleine" gefiel mir irgendwie besser als das „Sie"", sagte ich. „Aber danke. Ich denke darüber nach."
Ich steckte den Zettel in meine Handyhülle und verstaute es wieder in meiner Handtasche.
Ich war mir sehr sicher, dass uns jemand nach Little Ireland folgen würde, sobald wir dorthin fuhren, aber das war nicht zu ändern. Ich hatte nichts, womit man mich erpressen konnte.
Und ein Massaker unter meinen Kolleginnen und Kollegen würden sie kaum anrichten. Ich war schließlich keine Konkurrenz für irgendein Geschäft.
Schweigend gingen Joris und ich zum Auto, stiegen ein und fuhren zu seiner Wohnung.
„Ich komme mit hoch", sagte ich. „Damit du nicht auf die Idee kommst, dich zu verbarrikadieren."
Er war nicht begeistert davon, dass ich seine Pläne durchkreuzte, nickte aber trotzdem.
„Du weißt aber, dass du das nicht tun musst", sagte er. „Das ist meine Schuld und mein Problem, nichts davon betrifft dich. Du hast Eindruck hinterlassen und dir Respekt verschafft. Mumpitz wird dich in Ruhe lassen."
„Und unter welchen Bedingungen wird er dich in Ruhe lassen?"
„Unter keinen, fürchte ich. Aber wie gesagt ... das ist allein meine Sache. Lass dich nicht mit reinziehen, das wäre das letzte, was ich wollte."
„Ich bin schon mit drin. Los, pack deine Sachen. Die Wohnungen sind gerade alle vermietet, also schläfst du auf meinem Sofa."
Ich wartete, während Joris eine Reisetasche packte und dachte nach.
Mit BDSM war es damals genauso gewesen, ich hatte es nie in Betracht gezogen, bis mich jemand darauf gebracht hatte. Was, wenn es dieses Mal genauso laufen konnte? Vielleicht konnte ich Joris freikaufen. Was natürlich dämlich war, denn was lag mir schon an ihm? Aber er brauchte Hilfe. Und das wäre immerhin eine Entschuldigung dafür, wieso ich mich mit dedm organisierten Verbrechen einließ.
Ich wusste nicht, ob mir der Gedanke Angst machen sollte, dass ich nach Ausreden für eine Zusage suchte. Aber verdammt, es war bestimmt aufregend. Und die ganzen wichtigen Menschen, die man kennenlernte, das Prestige, das man sich erarbeiten konnte ... das war in meinem Job gerade nicht wirklich möglich.
Ob es das war, was ich vermisste? Ein großes Ganzes zu haben, etwas, das mir Einfluss verschaffte? War ich so einfach gestrickt, dass man mir nur Macht und Geld anbieten musste, damit ich umkippte?
Nicht nur über Joris musste ich nachdenken, sondern ganz dringend auch über mich und meine Prinzipien – wenn ich welche hatte.
Joris hatte seine Tasche gepackt und folgte mir schweigend zu seinem Wagen. Er hatte jeglichen Widerstand aufgegeben, was gut war.
Sobald die Tür hinter mir ins Schloss gefallen war und Joris den Motor startete, fragte ich: „Also. Was sollst du tun?"
„Jemanden umbringen."
„Lass mich raten, du verrätst mir nicht, wen?"
„Wieso willst du das wissen? Die Person zu warnen, wäre dein Todesurteil. Und ihr würde es kein bisschen nutzen, weil sonst jemand anderes auf sie angesetzt wird. Das ist ein Dilemma, aus dem man nicht herauskommt. Besser also, du weißt es nicht."
„Hat die Person etwas Schlimmes getan?"
Eigentlich war es eine dumme Frage, das wusste ich. Einen Mord rechtfertigte es auch nicht, wenn die andere Person ein schlechter Mensch war – zumindest, wenn man in einer Gesellschaft mit Gefängnissen lebte. Bei indigenen Völkern, die noch eine Stammesstruktur hatten, mochte das vielleicht anders sein. Aber das spielte hier ja keine Rolle.
Joris seufzte.
„Ja", sagte er dann. „Irgendwie schon. Aber das rechtfertigt nicht seinen Tod. Früher dachte ich, es wäre so leicht. Als ich damit angefangen habe. Und dann ... kamen mir Zweifel. Ob das wirklich richtig ist. Aber dann kam ich nicht mehr raus. Aus dem Milieu kommt man nie ganz raus."
„Was war das Schlimme, das er getan hat?"
„Er nutzt seine Macht, um schwächere Menschen zu unterdrücken und sie loszuwerden."
„Du bist also ein guter Killer."
„Es gibt keine guten Killer."
„Es gibt gute Menschen, die Killer werden. Und schlechte Menschen, die ein gesetzestreues Leben führen, aber scheiße sind. Ich mag die guten Menschen, die andere töten, lieber. Wenn ich es auch nicht unbedingt gut finde, was sie tun. Aber wie Mumpitz schon sagte ... ich glaube, mein moralischer Kompass ist nicht verschoben genug. Obwohl mich die Macht, die er mir angeboten hat, durchaus reizt, wenn ich ganz ehrlich sein soll."
„Mumpitz hat sehr viel Macht. Das macht ihn gefährlich. Als Mensch ... wenn die Verbrechen nicht wären, wäre er in Ordnung. Wirklich. Deswegen bin ich auch bei ihm gelandet. Seine Leute sind ihm wichtig, niemand tut ihnen etwas."
„Also war das vorhin ein Bluff von dir? Als du meintest, dass du sie umbringen könntest?"
„Ich wäre so oder so tot gewesen. Und das wäre vielleicht besser gewesen, als wieder abzurutschen."
„Möchtest du deswegen dieses Rollenspiel?", fragte ich. „Hexe und Inquisitor? Um zu büßen für das, was du getan hast?"
„So gesehen ... ja. Es läutert mich. Und die Last der Schuld wird weniger. Es tut mir gut, ich weiß das. Es hilft mir, das alles zu verarbeiten."
„Möchtest du heute Abend anfangen?"
Das war vermutlich keine gute Idee nach einem Tag wie heute, vielleicht aber auch genau das richtige. Das konnte man erst wissen, wenn man es versuchte.
Aber Joris schüttelte den Kopf.
„Danke für das Angebot, aber ... ich habe keinen Kopf dafür. Tut mir leid."
Ich legte ihm eine Hand auf den Arm.
„Kein Grund, sich zu entschuldigen. Es war nur eine Frage. Oh ... wenn ich indiskret sein darf ... der Tote im Nachbarort. Warst du das?"
„Nein. Aber ich kenne die Person, die es war. Er wäre mein Auftrag gewesen, aber ... ich wollte nicht. Sie hat ihn für mich übernommen."
„Und das ist jetzt keine Option mehr?"
„Nein."
„Okay."
In was für eine verrückte Welt ich da hineingeraten war. Da führte ich nichtsahnend jahrelang einen wunderschönen, paradiesischen Hof, dann kam Joris um die Ecke und im Handumdrehen verwandelte sich mein Paradies in ein Tollhaus. Aber gut. Immerhin bekam mein Leben dadurch ein wenig mehr Pep. Vielleicht nicht den, den ich mir vorgestellt hatte, aber ... es war Pep.
„Die Person ist der Bruder meiner Aushilfe von neulich. Deswegen geht es nicht. Und ... deswegen fällt mir das „Ja" auch so schwer. Bei jedem anderen würde ich sagen „Augen zu und durch", vor allem, weil ich jetzt dich habe. Aber hier ... ist das unmöglich."
Das war scheiße. Richtig scheiße.
„Kennst du die Schwester gut?", fragte ich. „Oder seid ihr nur ... Berufskollegen?"
„Wir kennen uns etwas besser. Also ... wir hatten ein kurzes Verhältnis miteinander. Seitdem sind wir sowas wie Freunde.
Und egal, welche Entscheidung ich treffe, sie wird darunter leiden. Und das möchte ich nicht."
Was für eine ätzende Situation. Ich konnte verstehen, wieso er sich davor drücken wollte.


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