Teil22

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Als ich am nächsten Tag aufwachte, fürchtete ich, wieder allein zu sein. Aber Morgan und Joris lagen noch neben mir und Enrique hielt meine Hand, hatte sie wohl die ganze Nacht nicht losgelassen.
Das war etwas, woran ich mich gewöhnen konnte.
„Guten Morgen", sagte Enrique leise, doch Morgan und Joris waren schon wach. Ich würde noch eine Weile brauchen, bis ich mich an „Morgan" gewöhnt haben würde, aber ich fand den Namen genauso schön wie Alis.
Ob sie deshalb so hatte genannt werden wollen? Weil sie sich den Namen bei Mumpitz gegeben hatte und für ihren Job hatte bestraft werden wollen?
„Wer macht Frühstück?", fragte ich. „Oder holt welches? Das Café hat bestimmt schon offen, ich weiß gar nicht, wie voll mein Kühlschrank ist."
„Immer der, der fragt", sagte Enrique. „Ist aber jetzt sogar sinnvoll, weil du die einzige bist, die nicht auf irgendeiner Liste steht und die man beruhigt allein lassen kann."
„Ich mag vernünftige Argumente nicht", seufzte ich. „Aber du hast trotzdem recht."
Ich wühlte mich aus dem Bett und vermisste sofort das Gefühl von Haut an Haut. Es war so kalt ohne den Körperkontakt.
Ich zog mir schnell etwas an und lief hinüber zum Café.
„Du hast dir ja einen ziemlichen Harem angelacht."
„Dir auch einen guten Morgen, Andre", erwiderte ich. „Wie geht es dir? Hast du den Schock verdaut?"
„Einigermaßen. Wobei ich immer noch sage, dass du zu freigiebig bist. Und jetzt hast du einen lupenreinen Beweis dafür. Du machst dich für die beiden strafbar."
„Ich mache mich für die beiden zur Patin. In zwei Jahren gehört der Laden mir, den Vertrag kann ich dir gerne zeigen, wenn er fertig ist."
Andre starrte mich an.
„Ist nicht dein Ernst."
„Mein voller."
„Was wird dann aus Little Ireland? Wirst du es verlassen? Oder zum Hotspot der organisierten Kriminalität machen?"
„Weder noch. Ich muss noch darüber nachdenken, aber ich werde es weder verlassen noch seine Prinzipien verraten. Das hier bleibt das Paradies. Und wenn ich es mit meinem Leben verteidigen muss."
„Große Worte, werte Patin. Wer war eigentlich der Kerl, mit dem du da gestern angekommen bist?"
„Meine Leibwache. Enrique. Und vielleicht mein zukünftiger Ehemann, je nachdem, wie konservativ es das organisierte Verbrechen haben möchte."
Andre schüttelte nur den Kopf.
„Wenn ich daran denke, wie unser Leben noch vor drei Wochen ausgesehen hat ... dann wünsche ich mir die Zeit wirklich zurück."
„Ich mir auch. Und gleichzeitig auch nicht. Ich weiß nicht. Wir müssen abwarten, was kommt. Jetzt hole ich erst mal Frühstück und dann sehen wir weiter. Aktuell geht es darum, dass Joris und Alis sich nicht umbringen lassen. Und Little Ireland aus der Schusslinie gehalten wird. Ich möchte nicht noch mal alles von neu aufbauen müssen."
„Klingt abenteuerlich. Wenn wir den Hof zu einer Festung ausbauen sollen, sag mir Bescheid. Ich habe schon Pläne gemacht, für den Fall, dass mal ein Zombievirus über uns hereinbricht."
„Mache ich. Wir sehen uns."
Ich holte mir ein Frühstück für fünf Personen und dachte über das Gespräch nach. Ich wusste nicht, ob es mich beunruhigen sollte, dass Andre die Sache so locker nahm. Ging es den anderen genauso? Oder machten sie sich mehr Sorgen, wollten damit aber nicht herausrücken? Ich kam vermutlich nicht darum herum, sie zu fragen. Vor allem dann nicht, wenn das mit Enrique, Morgan, Joris und mir etwas Ernstes wurde.
Aber das waren Gedanken für einen anderen Tag. Ich musste im Hier und Jetzt leben.
Als ich in die Wohnung zurückkam, war der Tisch schon gedeckt.
Die Stimmung war nicht schlecht, aber etwas angespannt, niemand sprach miteinander.
„Was ist los?", fragte ich, als ich meine Beute abstellte. „Ist etwas passiert oder seid ihr noch nicht ganz warm miteinander?"
„Es ist nur ... noch nicht in der Wirklichkeit angekommen", sagte Morgan. „Das hier, meine ich. Dieses seltsame Ding, das wir haben. Und die Gefahr, in der wir schweben. Dass du die Patin der Stadt bist und einen Teil der Unterwelt kontrollierst. Es muss alles erst noch in unseren Gehirnen ankommen."
Ich nickte. Mir ging es ähnlich. Ich wusste überhaupt nicht, wo und wie ich anfangen sollte. Und wie sehr ich mich aus der Sache mit dem angesetzten Killerkommando raushalten sollte.
„Was können wir tun?", fragte ich Enrique. „Wäre es sicher, wenn Joris seine Praxis hier eröffnet? Und ich Kunden empfange, das Ceili vorbereite oder mich um den Garten kümmere?"
„Im Prinzip geht alles", sagte Enrique. „Du brauchst allerdings eine neue Garderobe. Vor allem als Lady Rose."
„Die hätte ich schon längst, wenn mich nicht jemand entführt hätte, weil er an Joris herankommen wollte. Selbst schuld."
„Lady Rose?", fragte Joris. „Wie kommt das?"
„Es klang besser als Kleiner Mumpitz", sagte ich. „Außerdem passt es zu mir, denke ich. Mit den vielen Rosen, die es hier gibt."
„Wir gehen also demnächst mal shoppen", sagte Morgan. „Das klingt so unwirklich."
Das tat es wirklich.
Was den heutigen Tag betraf, konnten wir eigentlich nur hier sitzen und warten. Oder unserem Alltag nachgehen. Aber ob irgendeiner von uns den Kopf dazu hatte, konnte ich nicht sagen.
„Lasst uns nach dem Frühstück bei den Ceili-Vorbereitungen helfen", sagte ich. „Falls wir das überhaupt können, aber etwas anderes fällt mir gerade nicht ein."
Und auch darauf hatte ich nicht wirklich Lust, aber ich konnte auch nicht den ganzen Tag hier drin sitzen und nichts tun. Ich musste mich zu irgendwas aufraffen.
Doch gerade, als wir den Tisch abräumten, klingelte Enriques Handy.
Er nahm ab, hörte aber nur zu und sagte nichts.
„Wir bekommen Gesellschaft", sagte er. „Und zwar keine angenehme."
„Im Ernst? Ich dachte, Mumpitz will die Sache ruhig angehen lassen."
„Wollte er auch, aber Alis' Bruder kam dahinter, wer es auf ihn abgesehen hatte. Und ist jetzt mit einer Armada auf den Weg hierher."
„Mein Bruder? Scheiße!"
Morgan sprang sofort auf und rauschte davon, wohl, um sich anzuziehen. Joris folgte ihr einen Moment später.
Enrique und ich sahen uns an, unschlüssig, ob wir uns anschließen sollten.
„Was bedeutet das?", fragte ich Enrique. „Muss ich damit rechnen, dass in der nächsten Stunde aus Little Ireland ein Kriegsschauplatz wird?"
Er nickte und ich stützte meinen Kopf in die Hände. Da war ich schon diesen Vertrag eingegangen, und jetzt das. Wozu das alles? Nur, weil ich nicht aus meiner Haut konnte.
„Also dann", sagte ich. „Bereiten wir uns auf einen Kampf vor. Mit ungleichen Mitteln. Ich rufe den Alarm aus."
Falls auf dem Hof irgendwo ein Feuer ausbrach und jede helfende Hand gebraucht wurde, hatten wir ein Alarmsystem intstalliert, das ich jetzt benutzen wollte. Wenn wir aus der Sache rauskommen wollten, brauchten wir die Hilfe jedes einzelnen, sofern er dazu bereit war. Aber wenigstens die Tiere sollten in Sicherheit gebracht werden.
Ich hatte keine Ahnung, was hier auf mich zukam oder ob das jetzt zu meinem neuen Leben gehörte. Aber da musste ich jetzt durch.
„Wie schwer bewaffnet wird Morgans Bruder sein? Kann er den Hof dem Erdboden gleich machen?"
„Theoretisch. Aber ich weiß nicht mal, ob er mit der Polizei kommt oder mit seinen Spießgesellen. Das macht die Sache um einiges komplizierter. Der Boss ist schon auf dem Weg hierher."
„Also kann ich meinen Hof nach heute vergessen."
„Das wird nicht passieren."
Enrique klang so entschlossen, dass ich ihm fast glaubte. Aber die Sache war aussichtslos, wenn die Polizei hier auftauchte. Mein guter Ruf würde dahin sein, niemand würde sich mehr sicher fühlen.
Ich konnte nur verlieren.
Und wozu das alles? Für zwei Leute, mit denen ich danach das Bett geteilt hatte. Die nicht mehr hatten sein sollen als Kunden. Das passierte, wenn man seine Grundsätze über Bord warf. Leider würde mir diese Lektion für die Zukunft nur noch wenig helfen. Denn dann würde ich bereits alles verloren haben, was mir wichtig gewesen war. Meinen ganzen Lebensinhalt.
Morgan und Joris kamen aus dem Schlafzimmer und sahen so aus, wie man sich zwei Auftragsmörder für die Mafia vorstellte. Ganz in schwarz und möglichst unkenntlich gemacht.
„Wir werden Arthur an einen anderen Ort bestellen", sagte Morgan. „Deinem Hof wird nichts passieren. Das ist jetzt was Persönliches. Er ist dahinter gekommen, dass ich an diesem Auftrag beteiligt war und will Rache. Familie geht bei ihm über alles."
„Und wohin?", fragte Enrique. „Der Boss hat versprochen, euch zu beschützen und steht zu seinem Wort. Er hat seine Leute zusammengezogen."
Ich konnte nicht glauben, was ich da hörte. Kaum zwölf Stunden in der organisierten Kriminalität und schon war ich in einen Krieg verwickelt, der mich meine ganze Existenz kosten konnte. Oder meine Beziehungen, die gerade erst am Anfang standen.
Das konnte ich nicht zulassen.
„Hört auf."
Ich stand auf und blickte in die Runde.
„Kommando zurück, und zwar an alle. Etwas Persönliches hin oder her, aber das ist mein Job. Und ich werde mit Arthur reden. Allein. Ich will weder einen Krieg noch meinen Hof dichtmachen müssen. Und irgendwen verlieren schon gar nicht. Das Geschäft liegt jetzt in meiner Hand, ich dulde keine Widerrede und erwarte, dass mir jemand einen neutralen Ort für ein Treffen ausmacht. Ist das klar?"
Jetzt kam es mir zugute, dass ich seit Jahren als Domina arbeitete und an meiner Ausstrahlung gefeilt hatte.
Keiner der drei traute sich, auch nur einen Mucks von sich zu geben. Jetzt musste ich nur noch unter Beweis stellen, dass ich wirklich Eier in der Hose hatte. Und die Sache ohne Blutvergien beenden, im Idealfall. Ob mir das gelang, war eine andere Sache, aber wenigstens versuchen musste ich es.
Ich sah Enrique an.
„Lass Mumpitz einen Ort für ein Treffen ausmachen, nur Arthur und ich, und je ein Fahrer. Ich gehe nicht davon aus, dass er sich daran halten wird, aber vielleicht hat er ja Skrupel, sich mit einer Frau anzulegen. Falls ja, werde ich das ausnutzen." Ich seufzte. „Mumpitz will wirklich seinen Tod?"
Enrique hob die Schultern.
„Das ist der letzte Stand der Dinge."
Ich sah Morgan an.
„Er hat es verdient", sagte sie und ich war überrascht, wie kalt ihre Stimme klang. „Wenn du es tun kannst, dann tu es. Er hat keine Skrupel gezeigt, als es um meinen Tod ging. Er ist keine Familie mehr."
„Dann ist die Sache beschlossen."
Ich ging ins Schlafzimmer zu meinem Kleiderschrank und suchte mir etwas aus, in dem ich mich gut bewegen konnte, das aber gleichzeitig auch edel aussah. Wenn das schon mein Einstand war, sollte die ganze Welt wenigstens wissen, mit wem sie es zu tun hatte.
Ich hatte nicht vor, Morgans Bruder umzubringen, doch ich schätzte, dass mir keine andere Wahl blieb. Ihn zu entführen und hier einzusperren, war wohl keine praktikable Lösung. Am besten wäre es gewesen, wenn er sich selbst umbrachte, aber das würde kaum passieren.
Blut an den Händen. Das war mein neues Leben.
Jemand klopfte an die Tür.
„Darf ich reinkommen?", fragte Enrique.
„Du hast mich gestern schon nackt gesehen", erwiderte ich. „Also klar. Komm rein."
Enrique betrat das Schlafzimmer und schloss die Tür hinter sich.
„Der Boss ist dein Fahrer."
„Was?" Ich starrte ihn an. „Wieso das?"
„Weil er es so möchte. Und was der Boss sagt, gilt. Er kümmert sich um die Formalitäten und kommt dann her, um dich zu holen. Ich weiß nicht, was er vorhat. Dich beschützen, denke ich. Es war sein Fehler, der zu diesem Drama geführt hat. Und ich glaube, den möchte er ausbügeln, damit du nicht darunter leiden musst. Du bist jetzt immerhin seine Tochter. Und Väter beschützen ihre Töchter."
Ich setzte mich aufs Bett. Das, was Enrique da von sich gab, war die Idealvorstellung von Familie. Etwas, das ich so nie wirklich erfahren hatte. Wenn ich daran dachte, wie meine Familie abgehauen war, weil plötzlich zwei Männer und eine Frau in meiner Wohnung gewesen waren ... und wie sicher es war, dass ich bei ihnen nicht mehr willkommen war ...
„Wieso sind die Bösen in einer Geschichte eigentlich immer die, die man am liebsten hat?", seufzte ich. „Aber okay. Was der Boss sagt, gilt. Und ich hoffe, er überlebt es."
„Er hat schon ganz andere Sachen überlebt", versprach Enrique. „Mach dir darüber keine Sorgen."
Das war leichter gesagt als getan, aber ich versuchte, seine Worte zu beherzigen.
Mumpitz hatte viel mehr Erfahrung in diesem Milieu als ich und würde sie sicher auch ausnutzen. Vielleicht hatte er sogar einen Plan, von dem ich noch nichts wusste. Ich musste ihm nur vertrauen.
Ich zog mich an, hatte mit Enriques Hilfe etwas ausgesucht, das tatsächlich rosenhaft aussah, inklusive eines kleinen roten Hütchens, und ging dann zurück in die Küche.
„Nächstes Mal seid ihr dran", drohte ich. „Es kann ja nicht sein, dass nur Enrique dafür sorgt, dass ich schick aussehe."
„Tust du wirklich", sagte Joris und lächelte schwach. „Wann ist es soweit?"
„Der Boss dürfte gleich da sein", meinte Enrique. „Und dann liegt nichts mehr in unserer Hand.
Er behielt Recht, keine zehn Minuten später klingelte es an meiner Tür.
„Wir sehen uns später", sagte ich. „Und dann ist die Sache hoffentlich ein für alle Mal ausgestanden. Bis dann."
Ich küsste alle drei zum Abschied, Morgan und Joris nur ein wenig länger als Enrique. Ich musste erst noch herausfinden, ob wir zueinander passten.
Mumpitz wartete unten an der Tür auf mich.
„Du siehst schön aus", begrüßte er mich.
Er trug einen einfachen schwarzen Anzug, in dem man ihn locker für einen Chauffeur hätte halten können. Was er gerade auch offiziell war.
„Was hast du vor?", fragte ich. „Enrique sagte, du willst die Sache selbst in die Hand nehmen. Stimmt das?"
„Ich habe die Sache vermasselt, weil ich dem Starrsinn anheim gefallen war und nicht aus meinen Strukturen ausbrechen konnte. Und ich kann nicht dich darunter leiden lassen, so egoistisch bin ich nicht. Ich dachte, ich wäre es, aber je länger ich darüber nachdachte ... nun, ich kann dich nicht meine Kämpfe ausfechten lassen. Du hast mehr Mut als ich jemals hatte und haben werde, aber das bedeutet nicht, dass ich nicht versuchen kann, dir nachzueifern."
„Du schmeichelst mir", sagte ich. „Wie kommst du darauf, dass ich mutig bin? Andre, einer meiner Mitarbeiter, ist der Meinung, dass ich einfach zu schwach bin, um mich zu widersetzen."
„Das ist nur eine Schwäche, wenn du zulässt, dass es eine ist. Aber gleichzeitig kannst du mit dieser Gabe, dieser Liebe, die du gibst, Berge versetzen. Enrique hätte euch in dieser Gasse beinahe umgebracht, aber du warst bereit, dich für Joris einzusetzen. Lass dir von niemandem sagen, dass Mitgefühl Schwäche bedeutet. Es kann unsere größte Stärke werden. Und sogar die Welt verändern."
Das klang zwar sehr pathetisch, trotzdem taten mir seine Worte gut.
Wir machten uns auf den Weg zu dem neutralen Ort, von dem ich nicht wusste, wo er lag, und ich überlegte, wie ich das Gespräch fortführen konnte.
„Wie heißt du eigentlich wirklich?", fragte ich. „Nur, damit ich weiß, was auf deinem Grabstein stehen muss, wenn du die Sache nicht überleben solltest."
„Wie charmant." Mumpitz lächelte. „Reicht dir der Vorname?"
„Klar."
„Esteban."
„Und da holst du dir jemanden namens Trinity in deine Familie? Verstößt das nicht gegen die Tradition?"
„Was sind Namen denn schon? Ist nicht das Gefühl wichtiger? Außerdem kann man Namen ändern. Aber wenn du es genau wissen willst ... ich wollte dich auch wegen deines Namens adoptieren. Die Trinität ist göttlich. Ich habe es als einen Wink des Schicksals genommen."
„Du bist der erste, der an die Trinität gedacht hat. Sonst musste ich mich immer fragen lassen, ob meine Eltern Fans von Matrix sind."
„Schließt das eine das andere denn aus?"
„Nein."
Esteban also.
„Weißt du, ich bin Katholik. Gläubiger Christ. Und du hast mich gelehrt, dass man sich nicht fürchten sollte, sondern für das einstehen, woran man glaubt. Wie die ganzen Heiligen es getan haben."
„Du vergleichst mich jetzt aber hoffentlich nicht mit den Märtyrern."
„Nein. Ich sage nur, was meine Gedanken dabei sind. Dass es wichtig ist, keine Angst vor dem zu haben, was kommt, sondern darauf zu vertrauen, dass sich alles fügt."
Danach schwiegen wir wieder.
Ich fragte nicht, wo und was dieser neutrale Ort sein sollte, an den Esteban mich brachte und wo Arthur auf uns warten sollte.
Ich rechnete beinahe damit, dass uns bereits auf dem Weg jemand auflauerte, um uns noch vor dem Treffen auszuschalten, aber nichts geschah.
Schließlich kamen wir in einen noblen Vorort der Stadt und Esteban hielt vor einer großen Villa.
„Wir sind da", sagte er.
„Das ist ein neutraler Ort?", fragte ich. „Wem gehört das Haus?"
„Es steht zum Verkauf. Der Makler arbeitet sowohl für Arthur als auch für mich. So gesehen geht es kaum neutraler."
Das stimmte.
Wir stiegen aus und ich versuchte, mein wild pochendes Herz zu ignorieren.
Ich rechnete jeden Moment damit, von einem Heckenschützen ausgeschaltet zu werden, doch nichts geschah.
Unbehelligt gelangten wir ins Innere der Villa und warteten, was mehr an meinen Nerven zerrte als die Entführungssituation mit Enrique.
Als sich die Eingangstür schließlich öffnete, glaubte ich für einen Moment, Morgan wäre uns nachgekommen.
Sie und Arthur mussten Zwillinge sein – oder sich zumindest sehr ähnlich sehen. Das machte die Sache für mich nicht einfacher.
„Du bist also die neue Chefin des Kartells", sagte Arthur und beachtete Esteban gar nicht. „Für dich verrät Morgan also ihre eigene Familie."
Ich antwortete nicht, sondern beobachtete die Frau, die mit Arthur in das Gebäude gekommen war. Wie eine Fahrerin sah sie nicht aus – aber gut, was hatte ich erwartet? Esteban war schließlich auch keiner.
„Und wie ich sehe, ist der Große Mumpitz persönlich gekommen. Hat die Lady dich zum Fahrer degradiert?"
„Ich bin freiwillig hier", sagte Esteban ruhig. „Ich kann meiner Nachfolgerin nicht zumuten, direkt an ihrem ersten Tag alle Geschäfte zu übernehmen. Vor allem, wenn der fatale Ausgang meine Schuld ist."
„Wir können immer noch verhandeln", bot Arthur an, aber irgendwie traute ich ihm nicht. Etwas stimmte nicht. Allerdings konnte das auch nur meine Nervosität sein, doch ich hatte gelernt, mich auf meine Instinkte zu verlassen, wenn es darauf ankam. Also hielt ich die Augen offen und versucht, unaufällig meine Umgebung zu beobachten.
„Was sind deine Bedingungen?", fragte Esteban.
„Meine Schwester. Und die Hälfte deines Geschäfts. Das ist alles."
Mir wurde kalt. Würde Esteban darauf eingehen? Nein, oder? Das war gegen unseren Vertrag. Er hatte versprochen, dass Morgan nichts passieren würde. Oder versuchte Arthur nur, Zeit zu schinden? Wenn ja, für was? Das Eintreffen der Polizei?
Wahrscheinlich waren wir Hals über Kopf in eine Falle getappt, weil wir den Fehler gemacht hatten, Arthur zu vertrauen. Oder ich. Ob Esteban das getan hatte, wusste ich nicht.
„Wann wird die Polizei denn eintreffen?", fragte Esteban da. „Oder hat sie das Haus schon umstellt und wartet nur darauf, dass hier etwas Illegales passiert?"
„Keine Polizei", sagte Arthur. „Ich spiele so fair wie möglich. Außerdem würde mich das selbst in Bedrängnis bringen. Welchen Sieg hätte ich denn dann errungen?"
Bedrängnis. Klar. Weil er sicher keine Freunde bei der Polizei hatte, die sämtliche Unterlagen verschwinden lassen würden.


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