Kapitel 24

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Lia wird schließlich entlassen.

Müde und kraftlos kommen wir zu Hause an.

Unsere Eltern sitzen im Wohnzimmer.
Sehen uns sofort an, als wir die Tür öffnen.
Jude ist da.
Nico ist da.

Aiden krabbelt fröhlich auf mich zu.
Greift nach mir und stemmt sich vom Boden hoch.

"Hey du" sage ich leise.
Aiden gluckst leise vor sich hin.
Sieht mich an und hält sich weiter an meinem Bein fest.

Schließlich beuge ich mich hinab.
Nehme ihn auf den Arm.

Lia setzt sich wortlos aufs Sofa.
Alle sehen uns an.
Alle warten auf irgendetwas von uns.

Ich schüttle schließlich den Kopf.
Blinzle die Tränen fort.

Lia schluchzt leise.
Jude nimmt sie in den Arm.

Keiner sagt irgendwas.
Schock macht sich breit.

Sie versuchen uns zu trösten.
Versuchen uns halt zu geben.

Doch keiner von ihnen hat bisher ein Kind verloren.
Keiner von den Frauen hat ein Kind tot gebären müssen.

Lia und ich reden kaum.
Der Spalt zwischen uns wächst von Tag zu Tag.
Die Trauer trennt uns Stück für Stück.
Doch jedem von uns fehlt die Kraft dazu, auf den anderen zuzugehen.

Wir kümmern uns abwechselnd um Aiden.
Lachen für ihn.
Weinen abends.

Wie soll es weiter gehen?
Sollen wir es nochmal versuchen?
Oder wird es erneut passieren?

Fragen über Fragen.

Und mittendrin.
Lia.
Ich.
Aiden.

Eine Familie.
Und doch irgendwie keine.

Lia lässt sich nicht berühren.
Redet fast nie.
Manchmal kaufe ich ihr Blumen.
Sie sieht sie kaum an.

Isst wenig bis gar nicht.
Verkriecht sich.

Bis es mir irgendwann mehr weh tut sie so zu sehen, als der Verlust meines Kindes.

"Wir brauchen dich Lia" sage ich sanft "Aiden braucht seine Mutter" Ich schlucke "Ich brauche dich."

Lia reagiert nicht.
Starrt weiter aus dem Fenster.
"Steh auf verdammt" brülle ich dann.
Aiden beginnt zu weinen.

Und Lia sieht mich endlich mal an.
Steht auf und wirft sich in meine Arme.
Bricht in Tränen aus.

Ich halte sie fest.

Die Wochen vergehen.
Die Trauer bleibt.

Lias Periode setzt wieder ein.
Erinnert uns erneut daran, dass sie nicht mehr schwanger ist.

"Wir sollten es nochmal versuchen" sage ich eines Tages leise.
Wir liegen noch im Bett, keiner möchte aufstehen.
Lia lehnt an mir.

"Ich weiß nicht" antwortet sie leise.
"Wir beide wünschen uns weitere Kinder" fahre ich fort "Also sollten wir es versuchen."
Lia bleibt stumm.

"Lass es uns langsam angehen Karim" sagt sie dann.
Ich nicke.
"Wenn dein Körper bereit ist" ich schlucke "Dann wirst du wieder schwanger werden."

Schließlich wacht Aiden auf.
Ich hole ihn aus seinem Bett, lege ihn zu uns.
Mittlerweile versucht er schon zu gehen.
Er wird wahnsinnig schnell groß.

Und als er sich im Bett aufsetzt und uns wachsam ansieht öffnet er den Mund.

"Mama" sagt er.
Seine Hände strecken sich in Lias Richtung.

"Was hast du gesagt Aiden?" frage ich nach.
Staunend und überrascht.

"Mama" sagt er erneut.

Und endlich.
Endlich erscheint wieder ein Lächeln auf Lias Gesicht.

Highway to love | Karims VersionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt