11: "Brennen müssen sie..."

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1692,
SALEM, MASSACHUSETTS...

Das ferne Heulen eines einsamen Wolfes ist über die stillen Felder des kleinen Dorfs zu hören, während der Mond friedlich und eins mit den Sternen am Himmel steht und beinahe völlig mit der Nacht verschmilzt.

"HINTERHER! PACKT SIE EUCH!", brüllt eine männliche Stimme, woraufhin eine kleine Meute ihre Fackeln, samt den gewetzten Mistgabeln in die Luft hebt.
Die hektischen Schritte einer jungen Mutter, welche an der Hand eilig ihre kleine Tochter führt, eilen durch die dunklen Wälder, während das Brüllen und Schreien der Dorfbewohner in der Ferne zu hören ist. Die Blätter reiben aneinander und die Äste knacken laut, als die halb kaputten Stiefel von der jungen Frau über diese hinweg eilen. Das kleine Mädchen atmet angestrengt aus.
"Mama, wie weit ist es noch?", keucht sie ängstlich und voller Tränen in ihrem kleinen bleichen Gesicht.
"Es ist nicht mehr weit Schatz, bald sind wir Zuhause.", stammelt die Mutter und versucht ihr Kind zu beruhigen, trotz den vielen Menschen die hinter ihr her sind.

In der Ferne ist ein kleines Holzhaus zu sehen, an dessen Tür eine winzige Laterne glimmt und den dunklen Wald etwas erhellt. Doch plötzlich stürzt das Mädchen in die nassen Blätter, welche den Waldboden bedecken.
"MAMA!", schreit sie und fasst sich schmerzerfüllt an das Knie. Die Mutter schreckt auf und fällt fast aus allen Wolken, als sie ihren Sprössling verletzt sieht.
"Joyce! Warte, Schatz.", murmelt sie, trotzdem wandern ihre Augen zwischen den Bäumen hindurch, da die Meute immer lauter wird. Sie bückt sich zu ihrem Kind und legt ihre Hand schützend auf die blutige Wunde.
"Alles wird gut, mein Engel.", flüstert sie und als sie ihre Hand von der Wunde entfernt ist diese gänzlich verschwunden. Sie hebt ihre Tochter hoch und sprintet zur Hütte.

Wenig später knallt sie die Tür der Hütte hinter sich zu und verriegelt diese mit einem leeren Schrank. Provisorisch, aber es gibt Virginia das Gefühl von Sicherheit. Die kleine Joyce schaut sich neugierig in der Hütte um, während ihre Mutter nervös nach etwas sucht. Binnen Sekunden durchwühlt sie Schubladen, Schränke und Kerben bis sie es in der Hand hält. Einen grünen Smaragd, welcher sich an einer dünnen Schnur befindet.

"Schatz.", ruft sie ihre Tochter und beobachtet wie Joyce mit einer leeren Schüssel herumspielt, welche das kleine Mädchen sofort weglegt als sie die Stimme ihrer Mutter hört. Ihre jungen Beine tappsen zu ihr herüber.
"Siehst du das? Das hier ist ein Geschenk.", lächelt Virginia und hängt ihrer Tochter den Smaragd um. Joyce hüpft kichernd auf der Stelle.
"Ich mag Geschenke, Mama. Wie hübsch.", mustert sie den Stein und dreht diesen zwischen ihren kleinen Händen umher. Virginia ist den Tränen nahe und greift ihre Joyce an beiden Schultern.

"Mein Engel, du musst mir genau zuhören. Dieses Geschenk wird dich beschützen wenn ich es nicht kann. Du hörst die bösen Leute da draußen, oder?", fragt sie und bemerkt das unschuldige Zucken in Joyces Pupillen als das Gebrülle der Meute immer und immer näher kommt.
"Mama, ich habe Angst.", wimmert sie nun und spannt ihre Schultern an. Virginia laufen unzählige Tränen aus den Augen, doch sie bleibt stark. Sie umarmt ihre Tochter kräftig.
"Wenn diese Nacht vorbei ist wirst du die letzte Montgomery sein und das ist eine ganz ganz besondere Aufgabe die du bekommst. Aber egal was du denkst, ich werde immer bei dir sein und über dich wachen. Jede Sekunde, mein Engel.", schluchzt Virginia und streichelt nervös über den Kopf ihres Kindes. Plötzlich öffnet Virginia ihren kleinen Lederbeutel und holt ein dickes Buch aus diesem heraus. Alt und staubig, aber voller Wissen.

Wissen welches sie sich in den letzten zwei Jahrhunderten angeeignet hat um die zu beschützen die sie liebt.

Sie drückt es Joyce in die Hand und wischt sich die Tränen aus dem Gesicht.
"Wenn die Zeit gekommen ist wirst du wissen was zu tun ist. Du wirst eines Tages die mächtigste Hexe die die Welt je gesehen hat. Sogar viel mächtiger als ich es je war.", lächelt sie stolz und fährt über die Wange ihres Kindes, welches verwirrt in der Mitte der Hütte steht und ängstlich das Buch in ihren kleinen Händen hält.
"Und wann kommst du wieder?", fragt Joyce wimmernd.

"ÖFFNE DIE TÜR, HEXE!", brüllt die Stimme eines Mannes, während die Meute vor dem Haus wartet und wütend gegen die dünnen Holzwände schlägt und einige Männer versuchen die Tür gewaltsam aufzubrechen.

"Sehen wir uns wieder wenn ich tot bin?", fragt Joyce und ist erneut kurz davor in Tränen auszubrechen. Doch Virginia hält inne und atmet stark aus.
"Nein...du wirst mächtig genug sein um alles zu tun was du willst. Sogar den Tod zu umgehen.", keucht sie und lässt ihre Tochter los.
"Mama, ich verstehe nicht..", winselt sie doch ihre Mutter hebt beide Hände.

"Ich liebe dich.", lächelt sie und schließt die Augen. Ein lilanes Licht erfüllt die Hütte und Joyce verschwindet ins Nichts, während die Hütte, samt Virginia in lodernden Flammen aufgehen...

--- GEGENWART ---

Mit geschlossenen Augen steht Joyce an den Docks der Stadt und hält ihre Kette fest umklammert in der Hand.
"Bald habe ich es geschafft, Mutter. Ich werde dich nicht enttäuschen...", flüstert sie und schaut auf das weite Meer, als sie sich die Kette wieder umhängt.

"Eine Barriere? So weit ist es also gekommen?", fragt die Stimme von Nicole hinter ihr, als ihre Schritte über das Holz des Steges schreiten. Joyce setzt binnen Sekunde ihr düsteres Gesicht auf und dreht sich zu ihrer Klassenkameradin.
"Dir auch einen schönen guten Mittag, Nici.", spielt die Montgomery ihr künstlich ein völlig falsches Selbstbewusstsein vor. Nici schüttelt den Kopf und nähert sich ihr furchtlos.
"Nein, Joyce. Nein."
Nicole zeigt auf das Meer und keucht einmal kräftig.
"Wieso tust du Tessa das an? Sie ist die Einzige die uns retten kann, genauso wie Michael. Wir haben doch dasselbe Ziel. Niemand von uns will, dass die Tore zwischen den Welten sich öffnen. Wir stehen auf der selben Seite.", macht Nici ihr klar, doch alles was Joyce tut ist die Hexe missgünstig zu betrachten. Voller Abscheu.
"Wir sind also auf einer Seite? So nennst du es also wenn dir alles genommen wird was du je hattest.", entgegnet Joyce und sieht wie die letzten Fischer die Docks verlassen und die beiden gänzlich alleine lassen.
"Es war nur ein Buch.", antwortet Nicole und seufzt stark.

Die Pupillen der Montgomery ziehen sich zusammen.

"ES WAR DAS BUCH MEINER MUTTER!", brüllt sie und reißt ihre Hand in die Luft. Nici reißt es den Boden unter den Füßen weg und sie wird gegen eine der vielen Bootshäuser geschleudert, woraufhin ein Fischernetz über den Steg gleitet und sich langsam um sie wickelt. Joyce geht mit dumpfen Schritten auf sie zu und schaut ihr tief in die Augen. Fast schon in ihre Seele.
"Blossom nahm mir das Buch wegen eurem beschissenen Plan und du erwartest Rücksicht? Es war das Einzige was mir hätte helfen können. Jeder von euch verlangt Verständnis und Geduld, aber alles was ich die letzten Jahrhunderte tat, war nach einem Weg zu suchen meine Familie zu bekommen. Meine Mutter...du..du hast keine Ahnung wie sich so etwas anfühlt.", zischt sie und presst ihre Finger stärker aufeinander, woraufhin Nici an der Wand des Bootshauses zu würgen und keuchen beginnt.
"D..du kannst mit uns a..arbeiten. Wir können g..gewinnen.", winselt Nici und schnappt immer mehr nach Luft, während die Schlinge im wahrsten Sinne des Wortes immer enger wird. Joyce senkt ihre Hand,
"Nein. Nicht wir gewinnen. Ich werde es."

Die Montgomery verschwindet mit dem nächsten Augenzwinkern von Nici wie aus dem Nichts, so als wäre sie nie da gewesen, woraufhin sich das Netz löst und Nicole dumpf auf den Steg knallt. Stark atmet sie ein und schaut in den blauen Himmel über Nighthowl Bay.

"Fuck."

VENGEANCE - Hölle auf ErdenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt