2 - redeemer

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D

"Den, bist du wach?"
Ich stöhnte leise.
Was weckte dieser Wichser mich jetzt auf.
Mitten in der Nacht.
"Ja, jetzt schon, was willst du?", fragte ich leise.
Ich öffnete meine Augen und meine Fragen klärten sich.
"Heilige Scheiße..."
Jetzt war ich wach.
"Es tut mir leid, aber ich trau' mich nicht, zu den Betreuern zu gehen..."
Ich setzte mich auf.
"Ich geh' ja schon."
So etwas passierte allerdings alltäglich, weil ich in der Psychiatrie war.
Ich stand auf und taumelte noch im Halbschlaf zum Büro.
"Was ist denn?", fragte mich die Pflegerin genervt.
Sie war wahrscheinlich genau so müde wie ich.
"Max hat sich 'nen Kältebrand gemacht, mit Deo oder so. Sieht übel aus."
"Oh je, nicht schon wieder."
Sie folgte mir in das Doppelzimmer und verdrehte die Augen, als sie meinen Zimmernachbarn sah, um ihn mitzunehmen.
Ich legte mich zurück in mein Bett.
Wieder einschlafen würde nach diesem Anblick schwer werden.
Ich war extrem getriggert.
Max der Hurensohn.
Ich ballte meine Faust und entspannte sie wieder, wie ich es in der Therapie gelernt hatte.
Aber der Skill brachte recht wenig und ich ging zurück zum Büro, um mir ein Chillibonbon zu holen, dass ich mir auf die Zunge legte.
Kontrolle und Schmerz, die zwei Dinge, für die ich den Kack machte.
Ich ging zurück in mein Zimmer und ließ das Gummiband an meinem Handgelenk gegen dieses schnalzen.
Sollte man eigentlich nicht machen, ja, aber was blieb mir anderes übrig.
Wenn sowieso nichts half außer die Klinge selbst.
Ich seufzte und wiederholte den unnötigen Faust-Move noch zehn Mal.
Ich wünschte, ich müsste bei Selbstverletzung keine Verhaltensanalysen schreiben.
Das musste ich hier halt leider.
Was vielleicht auch ganz gut war.
Dann überlegte man sich eher zwei Mal, ob man ein bisschen Kontrolle und Glückshormone für zwei Sekunden haben wollte, aber dafür zwei ekelhafte Seiten schreiben musste, warum man das getan hatte, obwohl man es selbst nicht wusste, oder nicht.
Ich seufzte und steckte mir meine Kopfhörer in meine Ohren, um ein bisschen meine 'Emo-Scheißmusik' zu hören, wie es mein Vater gerne nannte, zu hören.
Palaye Royale.
Redeemer.
Ich seufzte.
Dieses Lied brachte mich zum Heulen.
Aber ich musste es laufen lassen, weil es einfach mein Leben beschreibte.

Now i'm caught in something
My eternal suffering
Looking for the meaning of all
But i got nothing
This eternal sadness
Now I fade to blackness
Don't know where I go when I die
Must be better than this...

Und ich heulte schon wieder.
Ich war so schwach.
Ich konnte nicht mal mit mir selbst klar kommen.
Klar, ich war auch in der Psychiatrie.
Seit fucking sieben Monaten.
Meine Eltern hatten mir gesagt, sie würden mich am nächsten Tag wieder abholen, also hatte ich zugestimmt.
So eine Nacht in der Psychiatrie nach einem Selbstmordversuch wäre ja nicht schlimm.
Aber jetzt war ich ja offensichtlich noch hier.
So schlimm war es auch wieder nicht, aber ich wollte einfach nach Hause.
Mein normales Leben zurück.
Aber das bekam ich auch bald wieder.
Ich wurde in vier Tagen entlassen.
Ich erinnerte mich an meine schreckliche erste Nacht.
Zwei Fixierungen und massenhaft Diazepam in einer Nacht war echt nicht mein schönstes Erlebnis.
Und wegen den zwei verkackten Fünf-Punkte-Fixierungen war ich hier so lange festgesteckt.
Beziehungsweise, steckte immer noch fest.
Ich strich über die hervorstehenden Narben auf meinem linken Arm und schnappte noch ein paar Mal mit dem Gummiband gegen mein Handgelenk.
Dann legte ich mich zurück und versuchte zu schlafen.
Was ich natürlich nicht schaffte, ich lag nur die restlichen zwei Stunden vor dem Morgensport mit geschlossenen Augen in meinem unbequemen Bett und dachte über mein Leben nach.

Die Tür öffnete sich, wir wurden geweckt und völlig übermüdet schleppte ich mich mit einem neuen Pulli und einer Jogginghose ohne Fäden in das winzige Badezimmer, um mich umzuziehen.
Ich starrte mich -wie jeden Morgen- im Spiegel an und fing bei diesem Anblick fast an, zu heulen.
Ich war nicht wirklich hässlich, nur... unterdurchschnittlich.
Ich zog an meiner Vape und zog meinen riesigen Hoodie so wie meine Jogginghose an, bevor ich wieder ins Zimmer ging.
Morgensport.
Oder, besser gesagt, ein Mal ums Krankenhaus spazieren.
Aber naja, besser als richtiger Sport.

codeine (bittersüße vodkaküsse 3)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt