26 - waste

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D

Nina war vor fünf Minuten weggekippt, und ich wusste nicht, was ich tun sollte.
Krankenwagen?
Ja, super Idee.
Sie würde mich wahrscheinlich für immer hassen.
Ich tätschelte ihre Wange - allerdings schon wieder erfolglos.
Ich war wirklich kurz vorm Durchdrehen.
Alex stellte sich neben mich.
"Hast du jetzt irgendwas gefunden?", fragte ich verzweifelt.
Er schluckte und drückte mir ein Fläschchen Diazepam in die Hand.
"Sind das Tropfen, was will ich mit-"
Ich stockte, als er mir ein schwarzes Ledercase gab.
"Oh."
"Das wird nicht okay für sie sein, aber bevor ihr Herz stehen bleibt..."
Ich setzte mich neben sie und schnürte ihren Arm mit Alex' Gürtel ab.
Ich füllte die Spritze, die definitiv stark gebraucht war, mit Diazepam und stach in ihre Haut.
"Es tut mir leid", flüsterte ich und beförderte das Beruhigungsmittel in ihre Blutbahn.
Und endlich, sie öffnete ihre Augen, sah an sich runter, sah zu mir und verpasste mir ordentlich eine.
Ich hielt meine Wange, während sie schon die Spritze aus ihrem Arm riss und mit ihrer Handfläche auf die andere Seite meines Gesichtes schlug.
"Verpiss dich", sagte sie trocken.
"Ich hab' grad dein Leben gerettet, was-"
"Verpiss dich", wiederholte sie.
"Wo soll ich hin?", fragte ich belustigt.
"Keine Ahnung, hauptsache du verschwindest."
Ich sah sie kurz verletzt an, bevor ich aufstand, aus der Tür rannte und diese zuknallte.
Ich hatte wirklich keine Ahnung, wo ich hin ging.
Ich lief einfach, mal geradeaus, mal links, mal rechts, den Blick stets auf den Boden gerichtet.
Ich musste irgendwo eine Rasierklinge herbekommen.
Aber kaufen konnte ich keine, ich trug ein T-Shirt, klauen war unmöglich, weil es Klingen nur hinter der Kasse gab, ich hatte keine Freunde, und Zuhause waren meine Eltern.
Aber was wäre, wenn ich es einfach beenden würde...
Ohne Hilfsmittel.
Irgendwo runter springen.
Oder so.
Ich hob den Kopf und konnte es selbst kaum glauben.
Mein Instinkt hatte mich tatsächlich zum Fuß einer Autobahnbrücke geführt.
Wenn das kein Zeichen war...
Jeder Schritt nach oben fühlte sich schwerer an, es war, als wären Fäden über meinen Brustkorb gespannt, die mit jeden Schritt enger gezogen wurden.
Ich hatte es wirklich lange nicht mehr versucht.
Während ich in der Psychiatrie alles gegeben hatte, um schnellstmöglich nach Hause zu kommen - was offensichtlich überhaupt nicht geklappt hatte - hatte ich so vielen Menschen dabei zugesehen, wie sie sich mit irgendeinem Scheiß, den sie auf der Geschlossenen so gefunden hatten, umbringen wollten.
Kiri-Papier, Karotten, sogar Skittles.
Und das hatte alles eher so semi-gut funktioniert, also hatte ich es nie versucht.
Das letzte Mal in der Nacht, in der ich eingewiesen wurde.
Und jetzt war es Zeit für Versuch Nummer 3.
Ja, ich hatte schon Mal einen Versuch überlebt.
Da war ich aber vierzehn.
Hatte mir halbherzig über mein Handgelenk geschnitten, tatsächlich was getroffen, es danach selbst zugeklebt und am nächsten Tag bin ich in die Schule gegangen.
Und scheiße, ich war oben.
Ich wagte einen kleinen Blick nach unten, möglichst unauffällig.
Es drehte sich mir der Magen um.
War es das jetzt wirklich?
Ich hatte mich nicht mal von Nina verabschiedet...
Aber sie hasste mich sowieso.
Es war egal.
Ich zündete mir eine Kippe an und schaute noch mal kurz nach unten.
Ich zitterte schon ziemlich und mein junger Körper schien sich zu wehren.
Aber mein Geist, meine Seele, mein Kopf - all das war schon lange gestorben.
Ich konnte nicht mehr.
Ich musste aus diesem Körper raus.
Ich wollte, dass dieses elendige Leben zwischen Drogen und Selbstverletzung zu Ende war, und insgeheim wollten das alle anderen auch.
Zum Beispiel meine Eltern.
Oder Nina.
Ich war anstrengend.
Eine Last.
Eine verfickte Heulsuse.
Ein Loser.
Wenn es mir sehr schlecht ging, konnte ich tage- bis wochenlang nicht duschen, meine Zähne putzen, mein Zimmer verlassen, essen, clean bleiben, und den ganzen anderen Scheiß, den man tun musste, um zu funktionieren.
Ich war nicht gemacht, um zu funktionieren.
"Entschuldigung? Ist alles in Ordnung bei ihnen?"
Ich hob den Kopf.
Ein Polizist kam ziemlich schnell auf mich zu.
"Scheiße", flüsterte ich.
Ich musste mich JETZT entscheiden, also entschied ich mich und kletterte über das Geländer.
Er rannte auf mich zu und hielt mich fest.
Nicht mal mich umbringen brachte ich fertig.
Was für eine Scheiße.

codeine (bittersüße vodkaküsse 3)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt