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"Guten Morgen", wurde ich von einem Pfleger geweckt.
Ich grummelte nur etwas in mein Kissen.
"Steh' auf und nimm deine Tabletten."
Ich seufzte und drehte mich zu ihm.
"Die Scheiße bringt bei mir doch sowieso nichts..."
"Sag das deinem Psychiater, aber nicht mir. Mein Job ist es, aufzupassen, dass du das nimmst, was du verschrieben bekommst, also tu mir den Gefallen und steh' auf."
"Meinetwegen."
Ich stand auf und schleppte mich aus meinem Zimmer, um mir meine Tagesdosis Antidepressiva zu gönnen.
Nina war auf der Couch und starrte auf den ausgeschalteten Fernseher.
Sie sah aus, als könnte sie Gesellschaft gebrauchen, also setzte ich mich neben sie.
"Morgen."
"Morgen", grummelte sie.
"Hast grad' nicht die beste Laune, hm?"
Sie schüttelte den Kopf.
"Aber immerhin wirst du entlassen."
Sie zwang sich ein Lächeln auf.
"Stimmt, immerhin. Aber...", sie sah sich um, "ich will fucking Drugs."
"Hast du wenigstens gut geschlafen?"
"Ich hab gar nicht geschlafen", murmelte sie, "ich kann nur in meinem richtigen Bett schlafen."
"Mies. Ja, wie gesagt, du wirst sowieso entlassen. Mit etwas Glück musst hier nicht mehr hin. Sag deinen Eltern einfach, wie scheiße es war, die verstehen das doch bestimmt."
Sie lachte leise auf.
"Meine Eltern verstehen gar nix."
"Sag denen, du kannst wegen deinem ADHS nur in deinem eigenen Bett schlafen, das verstehen die vielleicht eher. Psychische Krankheiten machen Eltern immer Angst."
Sie seufzte.
"Mein Dad weiß, wie es hier ist. Außerdem wissen meine Eltern das mit dem Schlafen, ich hab' immer als Antwort zurück bekommen, dass ich nicht alles auf mein ADHS schieben darf."
"Krise."
"Jap."
"Weißt du, wann du entlassen wirst?"
"Keine Ahnung, aber heute auf jeden Fall."
"Gut."
Ich seufzte.
Ich wäre auch gerne nach einer Nacht entlassen worden.
Auch wenn mir der Aufenthalt wenigstens im Betracht auf Selbstverletzung und Suizidgedanken wirklich etwas gebracht hatte.
Meine Stimmung war zwar durchgehend scheiße, und mein Leben war nichts wert.
Aber ich hatte noch Dinge zu erledigen.
Mich zu verabschieden.
Würde ich mich rein hypothetisch jetzt in dieser Sekunde umbringen, hatte ich meine Freunde seit sieben Monaten nicht mehr gesehen, weil sie keinen Bock gehabt hatten, mich in der Klapse zu besuchen.
Und ich wollte auch wenigstens versuchen, irgendwie zu arbeiten oder so.
Zwar nicht jetzt, dazu war ich definitiv nicht in der Lage, aber irgendwann in ein, zwei Jahren mal.
"Woran denkst du?", fragte Nina und sah mich an.
"An Dinge, über die ich nicht reden darf", murmelte ich.
"Ritzen oder Selbstmord?"
"Beides kritische Wörter", redete ich gezielt an ihrer Frage vorbei.
"Was denn jetzt?"
Ich verdrehte die Augen.
Sie war echt ziemlich aufdringlich.
"Ich gehe im Kopf mit meinen Suizidgedanken um", sagte ich leise.
"Du hast Suizidgedanken?"
"Ich bin HIER, was erwartest du."
Sie zog die Augenbrauen hoch.
"Du siehst nicht aus wie jemand, der Suizidgedanken hat."
"Wie sieht denn so jemand für dich aus?", fragte ich belustigt.
"Keine Ahnung, wie ein Emo."
"Ich höre tatsächlich Musik, die Emos hören. Ich zieh' mich nur nicht wie einer an."
"Krass."
Wir schwiegen uns an.
"Deniz, du hast jetzt Therapie."
Ich seufzte und stand auf.
"Falls wir uns nicht mehr sehen, tschüss", lächelte ich Nina an.
"Ja, wir sehen uns."
"Schreib mir."
Ich folgte meiner Therapeutin und ließ mich auf einen Stuhl fallen.
"Wie ist deine Stimmung?"
"Bei... hm..."
Ich überlegte.
Wie war meine Stimmung eigentlich.
"Drei Komma Fünf", entschied ich mich.
Sie schrieb meine Antwort auf ihren Zettel, der in meiner viel zu dicken Akte heftete.
Ich war hier schon viel zu lange, und von außen sah man auch keine Besserung.
Aber selbst von innen sah ich selbst keine Veränderung.
Ich starb jeden Tag ein bisschen mehr.
Immer, wenn ich dachte, da wäre nichts mehr, das zerbrechen konnte, zerbrach etwas neues in mir.
Jeden Tag kämpfte ich, um am Leben zu bleiben, aber ich tat es nicht für mich.
Ich lebte nur weiter, damit meine Therapeutin keine Schuldgefühle bekam.
Seit sieben Monaten kämpfte sie mit mir zusammen um etwas, das ich nicht erhalten wollte.
Mein verkacktes Leben, in dem ich seit siebzehn Jahren nichts auf die Reihe bekommen hatte.
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codeine (bittersüße vodkaküsse 3)
Teen Fiction»ich bin einfach viel zu jung für die scheiße und viel zu kaputt für die scheiße.«