5 - lost

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N

Dieser Deniz war mir irgendwie sympathisch.
"Ist der Fernseher eigentlich mal an?", fragte ich ihn.
Er zuckte mit den Schultern.
"Mal so, mal so."
Er blickte auf die Uhr.
"Gleich ist Abendessen", seufzte er.
"Ist das Essen gut?"
"Gut ist es nicht, aber okay. Nur die Blechteller und Blechtassen nerven hart. Und sogar die sind weggesperrt."
"Ach du Scheiße."
"Jap."
Er stand auf und setzte sich an die Tischbank, die ebenfalls in dem kleinen Bereich stand.
Ich setzte mich neben ihn und beobachtete ein Mädchen, das sich zu uns setzte.
Sie hatte wahrscheinlich stundenlang geheult.
"Hey Lina, wie geht's dir?", fragte Deniz.
"Scheiße", murmelte diese und legte ihre Hände auf den Tisch.
Mein Blick blieb an diesen hängen.
Auf der rechten Hand klebte ein riesiges Pflaster, aber ich verkniff mir die Frage, was passiert war.
Ich konnte es mir denken, und würde ich fragen, würde ich vielleicht sogar Ärger bekommen.
"Was hast du eigentlich gemeint mit 'nicht ausrasten'?", fragte ich Den.
Er zog die Augenbrauen hoch und grinste diese Lina an.
"Ich glaub', für diese Information bist du noch nicht bereit", erklärte er mir.
"Hä?"
Dann meldete sich doch Lina zu Wort.
"Weißt du, was 'ne Fixierung ist?"
"Keine Ahnung, Zwangsjacke oder so?"
Deniz lachte in sich rein.
Verwirrt sah ich ihn an.
"Zwangsjacken gibt's schon ewig nicht mehr, vor allem nicht in der KJP. Aber das Konzept ist das gleiche, du wirst halt auf 'ne Liege geschnallt, bis du dich beruhigt hast."
Verstört sah ich ihn an.
"Das klingt deutlich schlimmer."
"Ist es auch, glaub' mir."
"Wieso? Hat man das mit dir gemacht?"
Er sah mich ein bisschen abgefuckt an.
Was hatte ich denn schon jetzt wieder falsch gemacht.
"Das fragt man nicht, aber ja."
'Das fragt man nicht', wow.
Ich war eigentlich keine Außenseiterin.
Aber hier fühlte ich mich wie eine.
"Sorry", sagte ich leise.
"Alles gut, du bist nur etwas... wie soll ich es sagen... direkt. Und du kannst ja nicht wissen, was man hier alles nicht sagen darf."
"Was darf man noch nicht sagen?", fragte ich vorsichtig.
"Man darf nicht über Selbstmord und dergleichen reden."
"Oh."
"Und du solltest niemanden fragen, 'was er hat', falls du das vorhast."
Hatte ich tatsächlich vor.
Aber gut.
Dann halt nicht.
Die Tür ging auf und eine Betreuerin, die einen Essenswagen vor sich her schob, kam rein.
"Endlich", murmelte Den.
Sie nahm einen Brotkorb, Butter und einen Teller mit Aufschnitt und Käse vom Wagen, bevor sie uns einen guten Appetit wünschte und mit dem Wagen wieder verschwand.
Ich seufzte und strich mir etwas Butter auf eine Scheibe Brot.
Den hatte nicht gelogen, der Blechteller fuckte ab.
Ich seufzte und trank einen Schluck aus der Tasse, die genau so abfuckte wie der Teller.

Ich legte meinen Teller auf den Essenswagen und ließ mich wieder auf die Couch fallen.
Deniz setzte sich neben mich und sah mich an.
"Was ist?"
Er schluckte.
"Bist du echt nur wegen dem positiven Drogentest hier?"
Ich seufzte.
"Mein Dad sagt immer, ich hab scheiß Gene was psychische Krankheiten angeht, aber ich hab' nur ADHS."
"'Nur' ist gut gesagt..."
Ich zuckte mit den Schultern.
"Ich nehme seit Ewigkeiten Ritalin, damit funktioniere ich aber ziemlich gut."
"Das freut mich. Wenn nur meine Antidepressiva funktionieren würden..."
"Welche nimmst du denn?"
"Fluoxetin. Bringt gar nichts."
"Hast du schon mal andere probiert?"
Er lachte leise.
"Ich hab' auch schon Setralin, Mirtazapin und Paroxetin durch. Meine Depression ist chronisch."
"Oh, scheiße."
Er seufzte.
"Ja, scheiße, aber was will man machen. Vielleicht gibt's in fünf Jahren ja ein Wundermittel oder so..."
"Hoffen wir's mal", lächelte ich aufmunternd.
"Du musst heute hier schlafen, weil's deine erste Nacht ist. Aus Sicherheitsgründen."
"Aber ich bin nicht selbstgefährdend", jammerte ich.
"Drogen sind Selbstgefährdung."
"Nein."
"Ist vielleicht deine Meinung, aber laut dem Gesetz ist das halt so."
"Fuck auf das Gesetz..."
Er lächelte.
"Da stimme ich dir zu."
Ich seufzte und half dem Pfleger, das unbequem aussehende Klappbett auseinander zu klappen.
Dann legte ich mich in dieses.
Was ein Abend.

codeine (bittersüße vodkaküsse 3)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt