28 - the last song

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D

Ich starrte seit ungefähr drei Stunden auf die nackte Krankenhauswand.
Geschlossene.
Schon wieder.
Außerdem hatte ich echt Schiss, dass man mich wieder mal länger einsperren würde.
Schiss war noch sehr mild ausgedrückt, es war, als schnürte sich mein Brustkorb zu und ich könnte mich nicht bewegen.
Panik.
Das war das richtige Wort, ja.
Jetzt durfte ich nur nicht instabil rüberkommen, allerdings hatte die Stationsärztin meine neuen Wunden schon gesehen und ich war auf gut Deutsch gesagt gefickt.
Max kam ins Zimmer und setzte sich gegenüber von mir auf sein Bett.
"Willst du mal mehr sehen als nur weiß?"
Ich sah zu ihm.
"Was meinst du?"
"Wie wär's mit rot? Oder Gelb, ich weiß ja nicht, wie du heute drauf bist."
Er warf einen Gegenstand auf mich und verwirrt hob ich diesen hoch.
"Heilige Scheiße, wo hast du das her?"
Er schmunzelte.
"Privat."
Ich seufzte und nahm eine Klinge raus.
"Danke."
Ich gab ihm die restlichen Klingen zurück.
"Mach's ruhig vor mir, ich hab' das verdient", sagte er leise.
"Nein, hast du nicht."
"Na gut, ich lass' dich alleine. Nur bitte, bring dich nicht um. Die kommen dann auf mich."
"Und du petzt nicht?"
Er schüttelte den Kopf und verschwand aus der Tür.
Ich krempelte meinen langen Ärmel hoch und zog einmal so fest ich konnte durch.
In der ersten Sekunde realisierte ich gar nicht, was ich getan hatte, aber in der zweiten Sekunde fühlte sich die Erkenntnis an, als würde ich in der Brandung schwimmen und ein riesiger Felsteil hätte sich gelöst, der jetzt auf meinen Kopf fiel.
Ich traute mich zwar nicht, richtig hinzuschauen, aber eins wusste ich.
Ich hatte mich in meinem ganzen Leben nicht mal annähernd so tief geschnitten.
Und verheimlichen konnte ich die Scheiße auch nicht mehr, mein ganzes Bettlaken war voller Blut.
Ich schaute nur eine halbe Sekunde auf die Wunde und mir wurde sofort schwindelig.
"Fuck, fuck, fuck...", flüsterte ich und kippte auf den Boden.
Ich war nur noch halb bei Bewusstsein.
Die Tür ging auf und eine Betreuerin rannte sofort zu mir.
"Deniz?"
Ich stöhnte leise vor Schmerz auf.
Sie drehte mich um und sah das gesamte Ausmaß.
"Oh, scheiße."
Wenn eine Betreuerin in der Psychiatrie so etwas sagte, wusste man sofort, dass alles am Arsch war.
Meine Augen fielen zu und ich verlor endgültig mein Bewusstsein.

Als ich meine Augen wieder öffnete, fand ich mich in einem schön weichen, warmen Krankenhausbett wieder.
Nein, keins aus der Klapse.
So ein richtig gemütliches.
Ein riesiges Upgrade zu dem, in dem ich...
Was war überhaupt passiert?
Ein Blick an mir runter verriet mir schon etwas mehr.
Ich sah langsam nach oben, aber nein - hier war niemand.
Kein Arzt, keine Krankenschwester, nicht mal meine Eltern, und leider auch nicht Nina.
Ich vermisste sie extrem, aber ich wollte auch auf Distanz bleiben.
Sie hatte mich wirklich verletzt.
Ihre Schuld war das alles nicht, nein.
Kein Mensch auf der Welt war das wert.
Das Problem war ich.
Einzig und allein ich.
Früher hatte ich anderen die Schuld gegeben, ja.
Das war einfacher.
Aber es war nicht wahr - ich war das Problem.
Das Problem, das beseitigt werden musste.
Und da ich jetzt nicht mehr auf der Geschlossenen war, fiel mir das deutlich einfacher.
Die Tür ging auf und ein Arzt kam rein.
"Du bist wach. Gut."
Ich nickte.
"Das wird leider sehr unschön verheilen, die Naht geht vielleicht auch auf. Kannst du mir bitte sagen, woher du die Rasierklinge hast?"
"Ich hab' die selbst reingeschmuggelt. Es tut mir leid, es war ein Fehler, es war dumm, und-"
"Bitte mach dich nicht so runter."
Ich seufzte.
"Kann ich mein Handy haben?", fragte ich leise.
"Wofür?"
"Ich will besucht werden."
Er seufzte.
"Ausnahmsweise, ja. Gib mir einen Moment."
Er verschwand und kam kurz darauf mit meinem Handy wieder.
"Hier."
"Können Sie raus gehen, während ich telefoniere?", fragte ich leise.
Er schüttelte den Kopf.
"Du wärst gerade eigentlich eingesperrt, also bitte nutze das nicht aus. Über Nacht werden wir dich auch fixieren müssen, tut mir leid, aber ist so."
Ich seufzte und nahm mein Handy.
Ich ging sofort auf den Chat mit Nina und rief sie an.

codeine (bittersüße vodkaküsse 3)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt