8 | Süße Nostalgie

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David

Es war noch stockfinster, als ich in meinem schwarzen Mercedes zu Julian fuhr. Nur die Straßenlichter beleuchteten die Straßen Dortmunds, vereinzelt auch die Scheinwerfer weiterer Autos. Meine Augen brannten, weil ich die halbe Nacht nicht hatte schlafen können, doch zugleich war ich innerlich so unruhig, als würde ich heute meine Abschlussarbeit verteidigen müssen.

Bei Julian angekommen, hoben sich meine Mundwinkel. Er stand bereits an die Hausfassade gelehnt und näherte sich grinsend meinem Auto, nachdem ich zum Halten gekommen war. Ich presste die Lippen aufeinander und hatte keine Ahnung, was wir hier taten, aber es fühlte sich ungewohnt gut an. Ein Tag weg von hier, ein Tag keine Uni, keine Arbeit und keine Partnerin, die ich unter einen Hut kriegen musste.

Julian klopfte an die Scheibe der Beifahrertür, bis ich sie runterfahren ließ.

»Du kannst auch einfach die Tür öffnen, Julian.«

Er lachte. »Aber ich will fahren.«

Natürlich.

Ich verdrehte die Augen, stieg aus und ging um das Auto herum; im Vorbeigehen streifte Julian meinen Arm und trotz des dicken Mantels machte mein Herz einen Satz. Mein Blick fiel auf ihn, während er die Fahrertür öffnete, mich ansah und mit den Augenbrauen wackelte. Woher er die Energie so früh am Morgen nahm, wusste ich nicht, aber das hatte ich auch im Sommer schon nicht verstanden. Ich stieg ein und ließ mich direkt in den Sitz sinken, so müde war ich.

»Wohin fahren wir?«, fragte ich und rieb mir über die Augen.

Julian antwortete nicht, stattdessen bediente er das Navi meines Wagens, als wäre es sein eigenes Auto. Gebannt sah ich zu, wie er Buchstabe für Buchstabe unser Ziel eintippte.

Heidelberg.

»Das ist ungewöhnlich«, sagte ich.

»Findest du? Heidelberg ist laut Internet eine eurer schönsten Städte.«

Ich schmunzelte. »Ich glaube, dem sollte ich nicht widersprechen.«

Je mehr wir uns von meiner Heimatstadt entfernten, desto leichter wurden meine Schultern. Ich wusste, dass es nicht von Dauer sein würde, und mittlerweile hatte ich auch verstanden, dass Flucht meine Probleme nicht lösen konnte, aber vielleicht konnte mir die Auszeit dabei helfen, meine Gedanken zu sortieren. Meine Bedürfnisse zu filtern. Oder vielleicht würde ich vollends in die nächste Katastrophe schlittern, weil ich mich schon wieder auf Julian einließ, nachdem es beim letzten Mal bereits schiefgegangen war.

Wir hatten gerade die nordrhein-westfälische Grenze überschritten, als mich meine Gedanken zum Seufzen brachten.

»Alles okay?«, fragte Julian.

»Mhm«, machte ich.

Es kostete uns fast vier Stunden, bis wir in Heidelberg ankamen. Um uns herum erstreckten sich Wälder entlang der Berghänge; in dieser Jahreszeit wirkten sie jedoch beinahe trostlos. Wir fuhren über eine Brücke, die den Neckar überquerte und kamen wenig später auf dem Parkplatz des Hauptbahnhofs an.

»Frühstück?«, sagte Julian mit einem breiten Grinsen auf den Lippen.

»Kaffee«, antwortete ich und atmete tief durch. Nachdem ich mich aus dem Auto gequält hatte, streckte ich mich ausgiebig und fuhr mir über das Gesicht.

Stadteinwärts gingen wir die Straßen entlang, bis wir in der Altstadt Heidelbergs ankamen. Kopfsteinpflaster und Altbauten bildeten einen immensen Kontrast zu der Architektur, die ich aus Dortmund gewohnt war. Weihnachtliche Dekoration zierte die Gebäudefassaden, Bäume und Fußwege. Bereits jetzt tummelten sich trotz der Kälte und des trüben Wetters ungewöhnlich viele Menschen in der Stadt.

Zwischen den Welten - Band 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt