12 | Unfreiwillige Versprechen

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Julian

Lena folgte Sam in ihre Küche. Ich wollte den beiden ebenfalls hinterherlaufen, doch meine Beine rührten sich nicht. Zusammengekauert saß ich auf der Couch und fluchte innerlich darüber, wie schnell meine Lüge aufgeflogen war. Lenas Lüge vielmehr. Aber es war meine Schuld. Und wenn jemand erfuhr, was zwischen David und mir lief, würde er mich womöglich erst recht aus seinem Leben schmeißen. Fuck.

»Sam, leg die Weinflasche weg«, hörte ich Lena in der Küche rufen und drehte mich zu den beiden um. Sam hatte die noch geschlossene Weinflasche aus dem Kühlschrank geholt und geöffnet. Er trank einen großen Schluck.

»So viel kann ich gar nicht trinken, wie ich kotzen will«, stieß Sam aus und stellte die Flasche ab. Endlich schaffte ich es, mich aufzuraffen und schlich langsam zu Lena, die noch im Türrahmen zur Küche stand. Klug war das jedoch nicht gewesen, denn als Sam mich erblickte, wurde sein Blick feindselig. Nur kurz schaute er mich an, ehe er sich wieder Lena zuwandte.

»David war im Sommer in Madrid, du hast mir das noch gesagt, Lena. Und rein zufällig hast du nun jemanden aus Madrid hier.« Er verschränkte die Arme und sah zu mir. »Was hast du mit David zu tun? Weißt du, was er für ein Mensch ist?«

»Das ist ein Missverständnis, okay?«, sagte ich, doch ich bezweifelte, dass wir ihn noch irgendwie täuschen konnten. Vielleicht konnte ich zumindest verhindern, dass er zu viel erfuhr.

»Ist es das?« Er schnaubte. »Ich hab die Nachricht vorhin gesehen. Von David. Ich hab mir nichts bei gedacht, denn, scheiße, der Name ist ja nicht gerade selten. Sicher, ich war kurz verwirrt, aber erst jetzt ergibt es Sinn. Deswegen frage ich dich noch einmal: Was hast du mit David zu tun?«

Ich hatte das Gefühl, jeder Muskel in mir war angespannt. »Warum interessiert es dich so?«

»Du wolltest doch wissen, wie es meinem besten Freund geht, von dem ich erzählt habe, oder? Nun ja, Überraschung, er lebt nicht mehr.«

Das war der Moment, in dem ich zu verstehen begann. Davids Schulkollege. Der, der sich das Leben genommen hatte, nachdem er von seiner Klasse gemobbt wurde, weil David eine Lüge rumerzählt hatte. Das hieß, dass Sam mit hoher Wahrscheinlichkeit ebenfalls in Davids Klasse gegangen war. Hatte er vielleicht sogar mit in der Schussbahn gestanden?

»Du wirkst nicht überrascht«, sagte Sam und funkelte mich böse an. Selbst Lena musterte mich mittlerweile irritiert. Ich schluckte.

»Du weißt es.« Sam zischte. »Ernsthaft?«

»Er hat es mir erzählt«, antwortete ich leise und lehnte mich gegen den Türrahmen. Ich versuchte, Fokus zu halten, doch die Umgebung um mich herum wurde schwammig, als stünde ich neben mir. Es war das gleiche Gefühl wie vorhin am Esstisch, als ich den Fragebogen beantwortet hatte, und ich befürchtete, dass meine Beine nachgeben könnten. Der Halt des Türrahmens kam mir mehr als gelegen.

»Er hat es dir erzählt?«, wiederholte Sam ungläubig. »Warum hast du dann noch Kontakt mit ihm? Und warum sollte er dir überhaupt – «

Er stoppte. Nachdenklich runzelte er die Stirn. Mein Herz schlug mir bis zum Halse, weil ich das Gefühl hatte, er war kurz davor, alles zu verstehen. Ich biss die Zähne aufeinander und versuchte angestrengt, meine Gesichtszüge zu wahren.

»Wie wär's, wenn wir uns erst mal beruhigen und in Ruhe darüber reden, wenn wir alle nüchtern sind?«, sagte Lena versöhnlich, aber Sam schüttelte den Kopf, ohne sie anzusehen. Noch immer lag sein Blick auf mir, ich konnte die Zahnräder in seinem Gehirn förmlich arbeiten sehen. Er setzte die Puzzleteile zusammen, Stück für Stück. Und ich war nicht imstande, ihn davon abzuhalten. Mein Kopf war leer. Kein Satz fiel mir ein, der Sam davon abhalten konnte, das Puzzle zu lösen.

Zwischen den Welten - Band 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt