37 | Gemeinsamer Weg

14 3 20
                                    

Julian

September

Spätsommerliche Sonnenstrahlen kitzelten mein Gesicht, während David und ich durch den Park schlenderten. David war abgelenkt von Emilia, seiner kleinen Tochter, die in der Tragetasche hing und glucksend zu ihm aufsah. Sie strampelte wild mit ihren Armen und Beinen, als hätte sie die Energie von mindestens drei Babys getankt. Abgelenkt blieb David stehen und sprach mit ihr in einer ungewohnt hohen Stimme. Ich beobachtete ihn schmunzelnd.

»Alles so spannend, hm?«, sagte er zu ihr und stützte ihren Kopf. Eine Art entzücktes Kreischen entwich Emilia. Er runzelte die Stirn, ehe er mir einen hilfesuchenden Blick zuwarf. Ich lachte.

»Sorry«, nuschelte er, dabei wusste ich nicht, wofür er sich überhaupt entschuldigte. Er lief weiter und kam an meine Seite. Sanft fasste ich ihm an den Oberarm, entlockte ihm ein seliges Lächeln.

»Sie ist echt ablenkend«, sagte er.

»Das ist in Ordnung«, gab ich amüsiert wieder und fuhr mir matt über die Stirn.

»Du bist immer noch so erschöpft, oder?«, fragte er.

Ich atmete tief durch und zuckte mit den Schultern. An diesem Wochenende war ich das erste Mal in Dortmund, seitdem ich meine stationäre Therapie in Neuss begonnen hatte. Mehr als zwei Drittel der Zeit hatte ich geschafft und ich konnte nicht behaupten, dass ich mich gut fühlte, aber zumindest fiel es mir leichter, mit meinen Emotionen, Gedanken und Gefühle umzugehen – meistens. Doch die Traumatherapie schlauchte. Sie schlauchte ungemein.

Dass ich die meiste meiner freien Zeit wie ein Häufchen Elend in meinem Bett lag und wahrscheinlich häufiger weinte als Emilia, das verschwieg ich David. Aber ich war mir sicher, dass er es sich denken konnte. In der Klinik sagten sie, dass das Teil des Prozesses einer Traumabewältigung war. Ich kam damit klar – meistens. Aber es erschöpfte mich. Dabei fassten wir nur einen Bruchteil der Ereignisse an, die ich nicht verarbeitet hatte. Das war die Tücke daran. Manchmal fühlte ich mich, als sei alles für umsonst, denn je länger ich in der Klinik war, desto mehr Erinnerungen kamen zum Vorschein, die ich in den Tiefen meines Kopfes vergraben hatte. Mittlerweile verstand ich, was das Komplexe an dieser Krankheit war, und ich hasste jeden Teil davon, auch wenn ich ihn Stück für Stück zu akzeptieren lernte. Ich hatte mich damit abgefunden, dass es ein Teil meines Lebens bleiben würde und das erste Mal in meinem Leben fühlte ich mich dem gewachsen. Meistens.

»Verlängert ihr die Therapie?«, fragte David nun, den Blick auf Emilia gerichtet, die ihm die meiste seiner Aufmerksamkeit abverlangte.

»Nein«, antwortete ich. »Ich will danach ambulant weitermachen.«

»Dann wärst du bald wieder hier.«

David strahlte wie ein kleines Kind und ich lächelte. Ich war immer wieder fasziniert davon, wie er seine Gefühle ausdrückte, seit die meisten Konflikte aus dem Weg geräumt waren. Er war so viel entspannter und lockerer geworden, auch wenn die dunklen Schatten unter seinen Augen die kurzen Nächte andeuteten, die er durch Emilia hatte.

»Können wir uns kurz setzen?«, fragte er, als wir an einer Bank vorbeiliefen und ich nickte. Mit einem tiefen Ausatmen ließ er sich auf der Bank nieder und wich dem Hieb von Emilias Hand aus, den sie mitten auf sein Gesicht gerichtet hatte. Sie fing an, nach allem zu greifen, stellte sich dabei aber noch unbeholfen an. Ich setzte mich neben ihn und winkelte ein Knie an, um das ich meine Arme schlang.

»Was ist mit dir? Hast du schon eine Entscheidung getroffen?«, fragte ich.

Er war mit Emilia beschäftigt, die noch wilder strampelte und unzufrieden schien.

Zwischen den Welten - Band 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt