30 | Unerträgliche Wahrheiten

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David

Meine Finger klammerten sich krampfhaft um das Lenkrad, mein Blick fiel starr auf die Straße. Warum war mir nicht aufgefallen, dass Julian Drogen nahm? Hatte er sie genommen, als ich bei ihm war? Oder davor? Ich kniff kurz die Augen zusammen in der Hoffnung, mich besser auf die Straße konzentrieren zu können.

Lena hatte recht gehabt, schon wieder. Warum hatte sie es bemerkt, aber ich nicht? Im Grunde genommen wollte ich die Antwort darauf nicht wissen, denn tief in meinem Inneren wusste ich bereits, dass sie nicht gut für mich ausfallen würde.

Als ich an einer roten Ampel halten musste, schlug ich frustriert mit den Händen gegen mein Lenkrad und warf den Kopf in den Nacken. Alles ging den Bach runter. Ich hasste dieses verfluchte Leben, ich wollte nicht mit Anna zusammen sein, nicht dieses sinnlose Studium absolvieren, ich wollte nicht mehr in die Gesichter meiner Eltern sehen. Gottverdammt, vielleicht sollte ich wieder abhauen und diesmal nicht zurückkehren.

Ich atmete tief ein und versuchte mich zusammenzureißen. Eigentlich hatte ich an der Ampel abbiegen wollen, um nach Hause zu fahren, doch ich entschied mich dagegen und fuhr geradeaus. Ich musste zu Lena. Wahrscheinlich würde sie mir die Tür vor der Nase zuschlagen, aber in dem Zustand konnte ich weder meinen Eltern noch meiner Freundin vor die Augen treten.

Keine Viertelstunde später kam ich bei meiner Schwester an und zu meinem Erstaunen öffnete sie mir die Tür, nachdem sie meine Stimme in der Gegensprechanlage vernommen hatte. Dass sie das jedoch nicht mit Vergnügen tat, verriet mir ihr finsterer Blick, als sie mit verschränkten Armen im Türrahmen stand.

»Es tut mir leid«, gab ich kleinlaut von mir. »Du hattest recht, okay?«

Sie hob das Kinn und musterte mich mit verengten Augen. »Was willst du, David?«

»Julian nimmt die Drogen, von denen du gesprochen hast.«

Bei den Worten atmete sie tief durch und ließ ihre Arme sinken. Für eine ganze Weile musterte sie mich nachdenklich, ehe sie einen Schritt beiseite ging und mich hineinwinkte.

Ich erzählte ihr alles. Ich erzählte davon, dass ich mit Julian geschlafen hatte, dass ich ihm gesagt hatte, ich würde meine Beziehung mit Anna beenden und dass ich die Drogen in seiner Schublade gefunden hatte, während er nicht im Raum gewesen war.

»Warum hat er mich angelogen?«, fragte ich, während wir auf Lenas Couch saßen, »und warum hat er dich belogen?«

»Die Fragen solltest du dir ganz einfach beantworten können«, erwiderte sie matt.

Stirnrunzelnd sah ich sie an. Was sollte das schon wieder heißen?

»Na, warum hast du denn gelogen, David?«, fuhr sie fort und rührte mit einem Löffel in ihrer Tasse mit grünem Tee.

Ich murrte. »Das ist nicht das gleiche.«

»Warum nicht?«

»Weil ich keine Drogen nehme!«

»Mhm«, machte sie nachdenklich. »Dir ist aber bewusst, dass Julian mit seinen Drogen nur sich selbst schadet, während deine Lügen mindestens drei weitere Menschen beeinflussen, oder?«

»Lena, wir reden hier von Drogen. Willst du das wirklich rechtfertigen?«

»Nein, aber wie genau hilft ihm das nun, wenn du ihn verurteilst?«

»Ich will ihn doch gar nicht verurteilen!«, erwiderte ich aufgewühlt, »aber wenn er mit mir darüber geredet hätte, dann hätten wir vielleicht eine Lösung finden können.«

Lena stieß zischend Luft aus. »So wie du den Menschen um dich herum die Wahrheit sagst?«

Ich ließ mich mit lautem Ausatmen in die Couchlehne fallen. »Wir drehen uns im Kreis.«

Zwischen den Welten - Band 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt