36 | Aufgesammelte Scherben

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David

Es fühlte sich komisch an, wieder vor Annas Haus zu stehen. Mir fiel es schwer, den nötigen Mut aufzubringen, die Klingel zu betätigen. Zwar hatte ich mir akribisch überlegt, was ich ihr sagen wollte, aber bereits jetzt bröckelten die Erinnerungen an meine zurechtgelegten Worte. Und ich wollte es nicht vergeigen, nachdem sie sich nach über zwei Wochen endlich bereiterklärt hatte, mit mir zu sprechen.

Ich atmete tief ein und drückte auf die Klingel. Bereits während ich die Klingel aus dem Inneren des Hauses hörte, wurde es eng in meiner Brust. Reiß dich zusammen, dachte ich. Anna öffnete die Tür und musterte mich ausdruckslos. Sie trug eine Leggings und ein weites, weißes T-Shirt, das über ihren ausgewölbten Bauch fiel.

»Hallo Anna«, sagte ich und biss mir auf die Unterlippe. Sie wandte den Blick ab und nickte, aber erwiderte nichts. Stattdessen machte sie mir den Weg frei und ging in die Küche, während ich mir die Schuhe auszog. Zögerlich folgte ich ihr in die Küche, wo sie sich gerade an den Tisch gesetzt hatte. Vor ihr lag das Tablet von Weihnachten, für den Bruchteil sah ich noch ihre Zeichnung, ehe der Bildschirm schwarz wurde. Es sah aus wie Concept Art von einem Kleid, wie sie die Frauen früher auf Tanzbällen getragen haben.

»Wie läuft das Zeichnen?«, setzte ich an, aber Anna gab ein zischendes Geräusch von sich.

»Spar dir den Small-Talk.«

Ich hielt mich an der Lehne des Stuhls fest, hinter dem ich stand, und atmete tief ein. »Es tut mir leid.«

Sie sagte nichts dazu, sie sah mich nicht einmal an, sondern hatte ihre Augen starr auf den schwarzen Bildschirm ihres Tablets gerichtet.

»Anna, ich wollte nicht, dass es so zwischen uns läuft.«

»Nichts für ungut, aber ich will keine Entschuldigung von dir hören«, antwortete Anna in einem ruhigen, aber zugleich kalten Ton, den ich selten bei ihr gehört hatte. »Der einzige Grund, warum ich mit dir rede, ist das Kind in meinem Bauch. Wenn es nach mir ginge, würde ich deine Nummer löschen und dich nie wieder sehen wollen.«

Ihre Worte versetzten mir einen Stich. Ich biss die Zähne zusammen, bis meine Wangenknochen hervortraten. Jedes ihrer Worte hatte ich verdient, dessen war ich mir bewusst.

»Ich verstehe das«, presste ich bemüht unberührt hervor.

»Ich brauche auch dein Verständnis nicht. Du wolltest mit mir sprechen, also sag, was du sagen willst, damit wir das hier hinter uns bringen können.«

Genauso gut hätte sie mir mit der Faust ins Gesicht schlagen können, das hätte sich sicherlich ähnlich angefühlt. Ich hatte all unsere schönen Jahre zunichte gemacht. Ihre Wut, ihre Kälte verletzte mich, aber ich konnte sie nachvollziehen.

Ich brauchte einen Moment, um mich zu sammeln. Um mich zu erinnern, was ich ihr eigentlich hatte sagen wollen. Mit tiefen Atemzügen versuchte ich die Unruhe in mir unter Kontrolle zu kriegen. Dann räusperte ich mich und setzte zum Sprechen an: »Ich wollte dir sagen, dass ich mein Studium abgebrochen habe. Ich werde mir vielleicht eine Ausbildung suchen, aber das wird dieses Jahr nichts mehr. Dementsprechend habe ich viel Zeit für das Kind und du musst keine Elternzeit nehmen.«

Sie lehnte sich mit verschränkten Armen in den Stuhl und begutachtete mich mit einem skeptischen Gesichtsausdruck, bevor sie ihr Schweigen brach. »Das passt schon. Ich nehme einfach die Elternzeit und du kannst... was auch immer tun.«

Ich hatte befürchtet, dass sie etwas in der Richtung sagen würde.

»Anna, ich weiß, dass du deinen Job liebst. Und dass du Pläne hast. Was ist mit dem Zeichnen?«

Zwischen den Welten - Band 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt