2. Kapitel

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Genau eine Stunde später saß ich auf dem Bett meines Hotelzimmers, in Mailand.
Meine Mutter und Bella waren schon auf der Fashion Week, deshalb hatte ich sie noch nicht gesehen. Wieder stieg in mir dieses Gefühl auf, als wäre ich es nicht mal wert begrüßt zu werden.
In meinem Inneren wusste ich auch genau, dass ich es für meine Mutter nie werden würde, in ihren Augen war ich nicht gut genug.

Langsam ließ ich meinen Blick durch das Zimmer schweifen, überall standen antike Gegenstände, die mit Gold verziert waren.
Es war wunderschön und trotzdem wäre ich lieber im Internat, als hier. Ich ging zu dem Garderobenständer, auf dem mehrere Kleider hingen, unter ihnen standen High Heels.

Sofort wusste ich, die Auswahl musste von meiner Mutter sein, denn keine andere Person hätte nur italienische Designer gewählt.

Ich lächelte verbittert, bei der Erinnerung daran, wie sie mir und Bella einen Vortrag über italienischen Nationalstolz gehalten hatte in Verbindung mit Mode, als ich elf gewesen war. Die Zeit für die Auswahl meiner Kleidung hatte sie, aber mich abzuholen nicht. Natürlich musste ich Stolz für die Familie bringen, mit meinem Aussehen, was sonst.

*

Als ich nach einer gefühlten Ewigkeit endlich fertig war, klopfte es an der Zimmertür.
Ich sah auf die Uhr, in zehn Minuten 18 Uhr. Es musste Alessio sein, pünktlich auf die Minute wie immer.
»Einen Moment«, rief ich ihm durch die Tür zu.

Ich erblickte einen der riesigen Spiegel, die eine komplette Wand des Zimmers einnahm, in ihm sah ich mein Spiegelbild.

Ein anderes Mädchen sah mich mit ihren großen blauen Augen an, die von schwarzer Mascara und goldenem Lidschatten umrahmt waren. Sie trug ein durchsichtiges Kleid aus Spitze, in einem wunderschönen Dunkelrot. Dazu trug sie einen durchsichtiges Cape aus Chiffon und ihre Haare fielen in langen Locken bis zur Taille.

Ich konnte nicht glauben, dass ich das war.
Das war nicht mehr die Amanda von vor zwei Stunden, sondern Ella, aber eine Ella, die ich noch nicht kannte, die ich nie wirklich kennengelernt hatte.
Auf einmal klopfte es wieder an der Tür.
»Signora Ella?«, fragte Alessio wieder, mir war nicht mal bewusst gewesen, dass ich ihn völlig vergessen hatte.

Ein letztes Mal sah ich den Spiegel.
Ich würde das schaffen.
Hoffentlich.
Dann drehte ich mich um, raffte den Rock nach oben, bevor ich zur Tür ging. Draußen warte Alessio in einem gelben Anzug, mit pinker Krawatte, an dem Wagen. Unwillkürlich musste ich Lächeln, beim Anblick des Anzugs.
Vorsichtig stieg ich hinten ein, darauf bedacht, weder über meine eigenen Füße oder das Kleid zu stolpern.

Je länger wir fuhren, desto stärker schwitzen meine Hände vor Nervosität.
»Wir sind fast da, Signora«, bemerkte Alessio.
Ich sah durchs Fenster nach draußen, überall standen Fotografen und Menschen, die hektisch durch die Gegend liefen. Die Gebäude wurden von hellen Lichtern beleuchtet, die Nacht schien förmlich zum Leben zu erwachen.

Die Härchen auf meinen Armen stellten sich auf. Irgendwie hatte ich es mir kleiner vorgestellt, nicht mit so vielen Menschen und Fotografen. Das letzte Mal war ich bei so einem Ereignis mit zehn, daran konnte ich mich aber nur dunkel erinnern. Sieben Jahre hatten sie mich fortgeschickt, aus diesem Grund.

Stopp.
Ich hatte mir geschworen, es zu vergessen, für immer.
Eigentlich mied meine Familie solche Events, da wir keine Aufmerksamkeit erregen wollten. Für uns war es besser im Hintergrund zu arbeiten, damit wir in aller Ruhe das Geld machen konnten, was wir benötigten. 

Aber wie es aussah, hielt mein Vater es hier für sicher genug. Oder er hatte hier für die nötige Sicherheit gesorgt, wie wollte ich lieber nicht wissen. Der Wagen hielt am Bürgersteig.
Jetzt musste ich alleine weiter.
Ich setzte mein schönstes Lächeln auf, öffnete die Tür des Wagens und stieg ohne zu zögern aus. Sofort blendeten mich die grellen Lichter der Fotografen, ich lächelte aber weiter und lief auf den Eingang des Gebäudes zu.

Lontano. Bis wir uns wiedersehen.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt