49. Kapitel

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Seine Augen verfolgten mich, jede meiner Bewegungen, während seine Lippen sich bewegten. Aus seinem Mund drangen Laute, die Worte formten, die Sätze bildeten, die ich nicht verstand.
In meinem Kopf herrschten tausend Gedanken zur selben Zeit, Gedanken, die ich verbannen wollte. Wie die Frage nach dem warum.

Warum hat er mich verraten?

Warum musste Bella sterben und ich nicht?

Ich verbannte jeden dieser Gedanken. Aber mit jedem Tag, der verging, ließen sich diese Gedanken immer schwerer verbannen. Seit ich das Krankenhaus hatte verlassen dürfen und in Schutzhaft war, verfolgten mich diese Gedanken.

In mir gab es nur Leere, eine Leere vor der ich fliehen wollte. Jedoch wusste ich, dass dies aussichtslos gewesen wäre, schließlich hatte ich dem hier zugestimmt, mich dafür entschieden, zu kooperieren und ihnen das zu geben, was sie wollte.

Einerseits wusste ich, dass ich Richtige tat. Meine Familie hatte so viele Leben zerstört, so viele Menschen leiden lassen, dass ich das Richtige tat. Auch wenn es nur kurzzeitig etwas ändern würde, wäre es immer noch besser als nichts und das war alles was zählte.
Jede Minute die jemand meiner Familie und Gefängnis kam war es wert.

Seit mein Vater mich damals fallen gelassen hatte, war ich ihm nichts mehr schuldig. Aber mir und Bella war ich es schuldig. Und meinen Brüdern.

»Ella, haben sie mir überhaupt zugehört?«, fragte er plötzlich.

Ich riss meinen Blick von seinem karierten Hemd los und sah ihn an. Seit über einer Stunde starrte ich jetzt schon auf dieses Hemd, seit Guerra damit begonnen hatte, mit mir zu sprechen. Oder besser gesagt, mich zu verhören.

Entschuldigend lächelte ich.

»Was haben Sie noch einmal gesagt?«

Er schüttelte, fast schon verzweifelt, den Kopf. So tat er mir fast schon leid.

»Das geht heute schon die ganze Zeit so, Ella. Ich verstehe ja, wie schwierig das alles für Sie sein muss, aber wir brauchen ihre Hilfe, auch um Sie beschützen zu können«, erklärte er nochmal, dieses Mal noch ruhiger.

»Sie haben ja recht, ich werde ab jetzt richtig zuhören«, versprach ich peinlich berührt und versuchte mich an einem aufmunternden Lächel, welches jedoch kläglich scheiterte. Es war nicht fair von mir, schließlich machte er hier nur seine Arbeit und ich war diejenige, die diesem Deal zugestimmt hatte. Zusätzlich verdankte ich ihm mein Leben und die Chance auf ein besseres Leben.

Guerra schwieg und warf einen Blick auf sein Handy, bevor er wieder aufsah.

»Das geht jetzt leider nicht mehr, aber wir werden das Gespräch später weiterführen. De Luca ist eingetroffen, er müsste jeden Moment hier sein.«

De Luca war hier? Damit hatte ich nicht gerechnet, vor allem nicht so schnell. In Wahrheit war ich sicher gewesen, dass er dieses Treffen ablehnen würde.

»Er hat genau eine halbe Stunde Zeit, nicht mehr und nicht weniger. Der gesamte Besuch wird aufgezeichnet und sollte jemand auch nur eine auffällige Bewegung machen, wird der Raum von meinen Männern gestürmt«, warnte er mich und dabei schwang unverkennbar eine Drohung in seiner Stimme mit.
Aus irgendeinem Grund versetzte es mit ein Stich, dass er so wenig Vertrauen in mich besaß.
Dachte er wirklich, ich würde nach all dem versuchen zu fliehen? Wohin denn?
Anderseits konnte ich ihm keinen Vorwurf machen, ich hatte ihm bislang auch keinen Grund geben mir mehr zu vertrauen.

Am liebsten hätte ich vor Ironie gelacht. Zu meinem Vater fliehen, damit er mich in Stücke reißen konnte?
Ganz bestimmt nicht.

»Dann muss ich mir keine Sorgen um meine Sicherheit machen«, konterte ich, lächelnd.

Lontano. Bis wir uns wiedersehen.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt