9. Kapitel

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Der Raum war stockdunkel.
Ich hasste diese Dunkelheit, es war, als würde ich mit jeder Minute stärker von ihr verschluckt werden.
Nicht mal Geräusche waren von draußen zu hören, es schien, als würde ich mich alleine am Ende der Welt befinden.

Tränen flossen über mein Gesicht. Ich konnte und wollte nicht stark sein, das Einzige, was ich wollte, war frei oder tot zu sein.
Alles war besser als gefangen zu sein, in der Dunkelheit der Ungewissheit.
Ich wusste nicht, wie lange ich in dieser Dunkelheit alleine lag, aber mit jeder weiteren Sekunde die verging wurde es schlimmer.

Am liebsten hätte ich laut geschrien, doch ich wusste, es würde mir sowieso nichts bringen. Mein Vater würde es wahrscheinlich nicht mehr bezahlen, sonst hätte er es sofort getan. Sein Entschluss stand schon fest, so wie ich ihn kannte. Aber in mir blieb die Hoffnung, obwohl ich es besser hätte wissen sollen.
Ich war dazu verdammt zu sterben, ohne je richtig gelebt zu haben. Das geschah, wenn man zu einer der mächtigsten Familien Italiens gehörte, seit ich denken konnte, wusste ich das.

Die Tür öffnete sich, jemand trat in den Raum. Aber da kein Licht an war, konnte ich nicht erkennen, wer es war.
»Ella.«
Es war Damianos Stimme. Ich schwieg weiter, aber ich spürte seinen Atem, er war nicht mal ein paar Zentimeter von mir entfernt.
»Antworte«, verlangte er ungerührt, seine Stimme emotionslos. 

»Si«, flüsterte ich, dabei klang meine Stimme sehr zittrig vom Weinen, aber ich hoffte, er würde es nicht bemerken.
Damiano berührte auf einmal meine Wange und strich über die Tränen.
»Ella«, murmelte er und zog mich an sich, sodass mein Gesicht an seiner Brust lehnte. Ich konnte seinen Herzschlag spüren. Er roch wie immer nach Sandelholz und Moschus, dieser unfassbar vertraute und tröstliche Geruch, der mich alles vergessen ließ. Genauso wie seine Nähe, obwohl er mein Feind war.

»Alles wird gut, Ella«, flüsterte er immer wieder in meine Haare, als ich mein Gesicht an seinem Oberteil vergrub. Ich wusste nicht, wie lange wir so verharrten, mein Kopf an seiner Brust, bis meine Tränen versiegten.
»Ella, du musst mitkommen und genau das tun, was ich dir sage, verstanden?«
Ich nickte nur. 

Er verwirrte mich, von sanft zu ernst, wütend zu nett, wie zwei verschiedene Fassaden, die von Sekunde zu Sekunde wechselte. Gestern hatte er mich noch gedemütigt, während er mich heute tröstete.
Damiano zog mich auf die Beine und führte mich aus dem Raum hinaus in den steinernen Flur.
Der Gang wurde von den Fenstern hell erleuchtet. Er führte mich ein Stück weiter in den Gang, bis wir bei einer Metalltür ankamen.

Damiano schloss die Tür mithilfe eines Codes auf.
Er tippte ein paar Mal schnell auf dem Display herum, dabei versuchte ich die Zahlen zu erkennen. Jedoch konnte ich nur zwei der Zahlen erkennen, 7 und 1.
Die Tür öffnete sich sofort, hinter ihr kam ein hell beleuchteter Raum zum Vorschein.
Er führte mich durch den weißen Raum zu einer Tür. Wieder schloss er die Tür auf.

Ich schrie auf.
Da waren Schlangen, viele sich bewegende Schlangen. Sie besaßen braun, grüne Schuppen. Sie bewegten sich überall in dem kleinen Raum.
Meine Beine begannen, vor Panik zu zittern.
Damiano führte an die Schwelle des kleinen Raumes.

Überall auf dem Boden waren Schlangen, die uns aufmerksam beobachteten.
Keine schnellen Bewegungen ruhig bleiben, redete ich mir immer wieder ein. Bei einer falschen Bewegung würden sie mich sonst beißen, dann würde ich mit Sicherheit sterben. 

Ich glaubte nicht einen Moment lang an die Illusion von einem Gegengift, dass sie mir geben würden.
Aber ich konnte mich nicht beruhigen, es schien, als hätte ich keine Kontrolle über meinen Körper, denn meine Beine zitterten immer stärker.
Damiano berührte von hinten meine gefesselten Hände, als wollte er mich beruhigen.

»Entspann dich, El, alles wird gut«, raunte er an meinem Rücken.
Mein Atem ging langsamer, ich atmete nur noch ein und aus und versuchte mich nur darauf zu konzentrieren.
Je mehr ich mich beruhigte, desto weniger zitterten meine Hände.
»Du gehst da rein und setzt dich langsam auf den Boden, Ella. Jemand wird dir Fragen stellen, versuch sie alle zu beantworten, dann hast du nichts zu befürchten.«
Mit diesen Worten schob er mich in den Raum voller Schlangen, doch ich drehte mich verzweifelt zu ihm um. Mein Blick traf auf seine Augen, blau und grün, die genauso unterschiedlich waren wie er selbst. Einen Moment lang, sahen wir uns nur an, bevor Damiano seine Augen schloss und die Tür hinter sich zu zog - mich alleine zurückließ. 

Stille legte sich in dem Raum, nur ich und die Schlangen waren da. Sie schauten zu mir nach oben, beobachteten mich, als wollten sie mich jeden Moment umbringen, wie ein Beutetier.
Ruhig. Langsam atmen, nicht zittern, nicht schreien.
Immer wieder wiederholte ich das Mantra in meinem Kopf.
Langsam ließ die Panik nach und mein Körper entspannte sich etwas, aber ich beobachtete die Schlangen immer noch misstrauisch. 

Die Schuppen leuchteten in den verschiedensten Braun- und Grün-Tönen, sie waren etwas länger als mein Arm. Zwar hatte ich keine Ahnung von Schlangen, aber ich konnte einfach nur hoffen, dass sie nicht tödlich giftig waren.
Aber vielleicht war es besser, so zu sterben, als gedemütigt und in Qualen zu sterben.
Dieser Gedanke brachte mich dazu, mich doch auf den Boden zu setzen, egal was passierte, ich würde stark bleiben, für meine Familie, für Bella, bis zum Ende.

»So sieht man sich wieder, Ella de Parisi«, begrüßte mich eine dunkle Stimme. Sofort wusste ich, wer es war, Domenico.
Ein Schauder ging über meinen Rücken.
Mein Blick ging zu dem Glasfenster, durch das ich Domenico erkennen konnte. Seine blauen Augen wirkten noch viel kälter als sonst.
Ganz anders als Damianos, seine beruhigten mich und gaben mir Hoffnung, obwohl es keine gab. Der Gedanke an ihn ließ den Wunsch in mir aufsteigen, ihn zu sehen, obwohl ich genau wusste, wir waren Feinde.

Mein Blick fiel auf die Tür, ich hoffte, sie würde sich öffnen und mich aus dieser Hölle befreien, doch nichts geschah.
»Dein Vater soll angeblich mit einer Mafia aus Mexiko und Kolumbien zusammen arbeiten, stimmt das?«, fragte er, dabei sorgte seine Frage für Gänsehaut auf meinen Armen.
Was die Liberta tat, wusste ich zwar so ungefähr, doch ich antwortete nicht, denn ich wusste, was sie sonst versucht hätten.
Also schwieg ich, wie immer in diesen Verhören. Der einzige Mensch, mit dem ich seit meiner Entführung gesprochen hatte, war Damiano.

Aber ich konnte es mir nicht erklären, warum er so anders war als alle anderen. Denn ich wusste, ich konnte ihn nicht vertrauen und trotzdem sprach ich mit ihm.
»Ella, wo ging dein Bruder zur Schule? Wie heißt er wirklich, Antworte verdammt nochmal!«, schrie er mich an, sogar durch die Scheibe zuckte ich zusammen.
Doch ich blieb stumm, denn es kam nicht infrage, meine Geschwister in Gefahr zu bringen, jetzt da ich wusste, dass ich so oder so sterben würde.

Wenn mein Vater nicht bezahlte, würde ich vielleicht noch fünf Tage zum Leben haben, oder weniger Tage.
Mein Blick fiel zu einer der Schlangen, die sich langsam auf mich zu schlängelten.
Langsam aus und einatmen.
Ich konnte nur beten, dass sie mich in Ruhe ließ, doch sie kam immer näher.
Bis sie meine Füße erreichte, nicht bewegen.

»Ella, glaub mir, wenn du nicht kooperierst, werden wir härtere Mittel ergreifen«, drohte Domenico.
Härtere Mittel, mir war klar, was er meinte.
Aber ich konnte nichts tun, ich würde alles ertragen, für meine Geschwister.
Die Schlange schlängelte sich an meinen Beinen hoch, ich versuchte mich nicht zu bewegen.
»Wie du willst Ella, wir werden uns mit härteren Mittel wiedersehen.«

Damit wandte er sich von dem kleinen Fenster ab und ging weg, ließ mich in dem Raum mit den Schlangen alleine. 

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Ich hoffe es hat euch gefallen❤️Was würdet ihr tun, wenn ihr nur noch fünf Tage zu leben hättet? Irgendwie lässt mich diese Frage nicht los

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Was würdet ihr tun, wenn ihr nur noch fünf Tage zu leben hättet? Irgendwie lässt mich diese Frage nicht los...
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Lontano. Bis wir uns wiedersehen.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt