47. Kapitel

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Atme.

Der Drang zu husten erfasste mich, aber mein Hals zu trocken, so als hätte ich Tage lang nichts getrunken.

Jemand hielt mich an meinem Oberkörper fest und stützte damit meinen Rücken.

Ich schlug meine Augen auf.

Das grelle weiße Licht blendete mich, bis ich mich daran gewöhnt hatte. Nur langsam beruhigte sich meine Atmung und mein rasender Herzschlag. Mein Blick fiel auf die Regale voller Erste-Hilfe-Kästen und anderen medizinischen Geräten. Die Hände hinter mir ließen mich langsam los.

Ich schlang meine Arme unter Wärmefolie enger um mich. Bei der Bewegung spürte ich an meiner Hand die Infusion. Doch ich beachtete sie nicht weiter, stattdessen herrschte nur ein Gedanken in meinem Kopf.

»Lebt Bella noch?«, fragte ich verzweifelt, meine Stimme zitterte bei der Frage, denn ich hatte Angst vor der Antwort. Angst vor der Wahrheit.

Aber die Person hinter mir drückte mich, sanft aber bestimmt, zurück nach hinten auf in die Matratze. Ich hatte keine Wahl, als mich zurück sinken zu lassen.

Die Person stand auf, stellte sich neben mich. Es war eine Frau mit zurückgebundenen braunen Haaren und einem weißen Kittel, wahrscheinlich war sie eine Krankenschwester oder Ärztin. Ihre Lippen waren zu einem warmen Lächeln verzogen.

»Sie dürfen sich nicht so schnell bewegen, ihre rechte Rippe ist gebrochen. Aber hier bekommen sie die besten Behandlung, damit das wieder wird«, wich sie meiner Frage aus, mit einer fast schon fröhlichen Zuversicht.

Ich wollte aber nichts davon hören, ich musste es jetzt wissen. Es würde mich umbringen, in dieser Ungewissheit zu leben.

»Bella, was ist mit ihr?«, fragte ich sie verzweifelt, meine Stimme brach dabei wie von selbst und Tränen traten in meine Augen. Ich musste wissen, ob sie gefunden wurde. Oder das was von ihr übrig war.

Die Frau wich meinem Blick einen Moment aus, ehe sie mich wieder ansah. Das Lächeln war aus ihrem Gesicht verschwunden, stattdessen sah sie mich ernst an.

»Im Moment wird in einem Radius von 25 Kilometern im Wasser nach einem zweiten Mädchen gesucht, außerdem wird die Küste parallel dazu abgesucht«, gab sie zu.

Aber ich wusste es besser, ich hatte gesehen, wie das Wasser sie mit sich riss und ihre Schreie erstickte. Die ganze Zeit hatte ich auf das Wasser gestarrt, doch ich war alleine gewesen. Die Wahrheit war, dass Bella nicht mehr lebte, dass sie ertrunken war, meinetwegen.
Ich trug die Verantwortung für den Tod meiner eigenen Schwester.

Tränen traten in meine Augen, als ihre Schreie in meinem Kopf nicht aufhören. Es war meine Schuld, ich hatte sie in diese Gefahr gebracht, weil ich so naiv gewesen war, zu glauben, niemand würde uns finden können. Weil ich in die falsche Person mein Vertrauen gesetzt hatte.

Die Frau sah mich mitleidig an und nahm meine Hand, um mich irgendwie zu trösten.

»Machen sie sich keine Sorgen, die Carabinieri werden sie finden. Und bis dahin werden sie, hier im Krankenhaus, ganz schnell wieder gesund.«

Unausgesprochen blieb, dass sie Bella nur tot finden würden.

Bella würde niemand zurückbringen können.

»Der ermittelnde Staatsanwalt wird bald hier sein, er wird ihnen Fragen stellen, versuchen sie alle zu beantworten, nur so können sie uns helfen«, kündigte sie an, bevor sie mir noch einmal aufmunternd zulächelte und aus der Tür rauschte.

Ich starrte aus dem vergitterten Fenster, durch das helle Sonnenstrahlen ins Zimmer fielen.  Der Himmel war helle blau, mit kleinen weißen Wolken.
Tränen liefen über meine Wangen.
Vielleicht war Bella da oben?
Ich war noch hier, sie nicht.
Warum nur?
Ich öffnete meine Lippen, konnte das Schluchzen nicht mehr unterdrücken.
Hemmungslos fing ich an zu weinen, rollte mich zur Seite und vergrub meinen Kopf in den Stoff des Kissens.
Warum nur?
Unter Tränen sah ich zum Fenster auf.
»Es tut mir leid«, brachte ich heraus, bevor ich erneut auf schluchzte.

Lontano. Bis wir uns wiedersehen.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt