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"Wo willst du hin, Wildfang?"


Langsam nahm die Frau ihre Hand von meiner Schulter und ich drehte mich vorsichtig um, während sich das Abbild des Besitzers der Stimme vor mir aufbaute. Meine Augen trafen auf ein anderes Augenpaar und ich zuckte unmerklich zusammen, während wir uns gegenseitig anstarrten.

Sie war wunderschön. Ihr schwarzbraunes Haar fiel ihr wellig über die Schultern, welches ihre zierliche Statur weiter betonte. Ihr Gesicht war ebenfalls schmal, aber dafür scharf geschnitten und zeigte keinerlei Makel. Ihre Augen war mandelförmig und ausdrucksvoll, und sie hat einen mysteriösen und verführerischen Blick, in welchem allerdings auch Härte und Erkenntnis versteckt lagen.

Sie mochte auf dem ersten Blick wie eine schwache Teenagerin wirken, doch das war ein Trugbild. Sie hatte eine gefährliche Aura, das war mir sofort klar. Ihre Augen besaßen dieses Funkeln, welchem man lieber nicht begegnen wollte.

"Also? Wohin des Weges?", ihre Stimme war ausdrucksvoll, aber gleichzeitig gelassen, welches ihr eine überhebliche, wenn nicht sogar arrogante Note gab. Ihre Präsenz übertönte plötzlich alles um uns herum und ich konnte meinen Blick einfach nicht von ihr abwenden, so prägnant erschien sie mir. Gleichzeitig verspürte ich nun aber umso mehr das Verlangen, diesen Ort schnellstmöglich zu verlassen und alles hinter mir zu lassen, doch der Drang, ihr eine Antwort zu geben, überrannte mich förmlich.

"Ich muss weg von hier. Warum sollte ich ein Kinderspiel spielen, wenn ich diese Zeit auch dafür nutzen könnte, einen Weg nach Hause zu finden?", erwiderte ich, während ich versuchte, meine Stimme so fest wie möglich klingen zu lassen, "Ich habe keine Ahnung, was all das hier soll, aber es ist mir nicht geheuer."

Sie brach in schallendes Gelächter aus, während sie eine widerspenstige Locke aus ihrem Gesicht strich. "Du bist also eine Neue, ich habe es mir schon fast gedacht. Ganz schön naiv von dir, meinst du nicht? Nach Hause? Glaube mir, dass wollen wir alle", antwortete sie schließlich, "Du wirst den Weg aber nicht finden, indem du dieses Gelände verlässt." Sie drehte sich um und setzte sich in Bewegung. Augenblicklich bemerkte ich das Humpeln und sofort musterte ich ihre Füße.

Ihr gesamtes linkes Bein unter dem Knie fehlte, stattdessen hatte sie eine Beinprothese - und es schien ihr scheinbar noch schwerzufallen, sich damit ohne Schmerzen zu bewegen. Die Wunde war noch frisch, da war ich mir fast zu hundert Prozent sicher. Und dann konnte sie sich trotzdem so grazil halten?

Anscheinend hatte sie mein Starren bemerkt, denn plötzlich blieb sie wieder stehen und drehte ihren Kopf so, dass sie mich direkt ansah. "Wenn du einmal über die Grenze getreten bist, gibt es kein Zurück mehr", meinte sie kühn, während sich meine Augen leicht weiteten. Ich hatte zwar nicht verstanden, was sie mit dieser Aussage meinte, aber ihre Stimme klang wie Gift, was einen Körper langsam lähmte, wenn er auch nur mit einem kleinen Tropfen davon in Kontakt kam. Sie wusste mehr - oder sie hatte mehr gesehen, als ich es mir je vorstellen könnte.

"Was meinst du?", krächzte ich nach einer kurzen Pause, "Wieso gibt es kein Zurück mehr? Es hält uns doch nichts zurück." Ich nickte in Richtung Parkeingang. "Ich sollte ja wohl in der Lage sein, frei entscheiden zu dürfen, wohin ich gehe und wie ich meine Zeit sinnvoll verbringe."

Sich lachte erneut, dieses Mal aber grimmig, bevor sie mit zwei schnellen Schritten wieder bei mir war und meinen Arm unsanft packte. Im nächsten Moment zog sie mich schwungvoll mit in Richtung Parkeingang, von welchem ich eben noch selbstbewusst gesprochen hatte - doch mittlerweile fragte ich mich, ob ich meine Worte nicht vielleicht bereuen sollte.

Als wir das kleine, eiserne Tor erreichte, fummelte sie einen kleinen Stoffbeutel von ihrem Gürtel ab und hielt diesen provokativ zum Ausgang. "Sieh und Staune", murrte sie, bevor sie das kleine Teil nach draußen warf. Keine Millisekunde später wurde das Säckchen von einem roten Laser durchlöchert.

Down The Rabbit Hole | ChishiyaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt