Ich bildete mir ein, dass ich schon jetzt den Geruch von Verwesung wahrnehmen konnte.
Der saure Geschmack trat mir erneut auf die Zunge und ich sah weg, während ich hörte, wie die Frau, die ihn in den Tod getrieben hatte, schreiend das Weite suchte. Einerseits war es beruhigend zu wissen, dass sie den Tod nicht nur als einen faden Beigeschmack zum Sieg wahrnahm, andererseits schockierte es mich zutiefst, dass sie dazu bereit waren, aus freien Stücken Mitmenschen umzubringen.
Und wenn ich nicht aufpasste, könnte das auch mein Schicksal werden. Dann müsste statt dem harmlosen Stoffbeutel auch mein Kopf herhalten - und alleine bei dem Gedanken lief es mir heiß den Rücken hinunter. Panik flammte erneut tief in meinem Inneren auf und ich musste mir auf meine Zunge beißen, um nicht völlig Berserk zu gehen, auch wenn sogleich der ekelhafte, metallische Geschmack auf meine Geschmacksknospen traf. Gleichzeitig begannen meine Hände zu zittern und ich hatte das Gefühl, dass meine Sicht für einen Moment verschwamm.
"Du bist ja immer noch hier", die Stimme der Teenagerin riss mich aus meinem erstarrten Zustand heraus und mit glasigen Augen blickte ich in ihre Richtung, während sie ein weiteres Stück Käse in den Eimer schmiss und damit auch den letzten Anteil an Benommenheit von mir riss.
Die Mäuse haben ein Käsestück in ihr Nest gebracht! Katzen, seid auf der Hut!
"Der Mann- ", meine Stimme klang piepsig, "Er- Er ist wirklich gestorben!" Mein Blick glitt zurück zu der Leiche, während ich vor Adrenalin zitterte.
"Ach echt? Es ist ja nicht so, als hätte ich dir genau das vor etwa fünf Minuten prophezeit", erwiderte sie schnippisch und mein Blick schnellte zurück zu ihr, während ich meine Verblüfftheit kaum verbergen konnte. Sie lehnte sie an die Holzwand und sah mich wieder mit diesen wachen Augen an, die einem eine Gänsehaut über den Rücken jagte. "Das ist das Borderland, Baby. Es ist besser, dass du dich an diesen Anblick gewöhnst. In diesem Höllenloch sterben tagtägliche hunderte Menschen - und davon nicht wenige durch den Einfluss anderer. Wenn du dem Tod nicht ins Auge sehen kannst, wirst du hier nicht lange überleben", sie runzelte die Stirn, "Und hier habe ich gedacht, dass du so einiges auf dem Kasten hast. Du wirkst nicht gerade wie der Typ, der sich vor Angst in die Hose macht."
Ich sah sie mit offenem Mund an, während sie sich ihre Haare wieder einmal aus ihrem Gesicht strich. Ihre aufgeschlossene Redensart war ungewohnt und neu für mich, doch in diesem Moment zeigte sich ein wohlwollender Effekt - meine vernebelten Gedanken wurden wieder klarer und überließen mir die Fähigkeit, endlich wieder etwas rational zu denken. "Du klingst so, als würdest du aus Erfahrung sprechen", würgte ich hervor, "Und ich glaube es dir sofort."
Zum ersten Mal in dieser Nacht sah ich ein ehrliches Lächeln ihrerseits, bevor sie mir ihre Hand hinhielt. Für einen Moment starrte ich diese perplex an, bevor ich sie nahm und schüttelte.
"Ich bin Heiya Akane", stellte sie sich plötzlich vor, "Ich freue mich, dich kennenzulernen. Du bist zwar immer noch ein bisschen zu tollpatschig und ängstlich für meinen Geschmack, aber du hast Temperament.
Das war definitiv ein Kompliment ihrerseits, weshalb ich die versteckten Beleidigung vorerst gekonnt ignorierte. "Shiraishi Myne", erwiderte ich die Vorstellung und sie begann zu grinsen, bevor sie sich urplötzlich von der Wand abstieß und mich an der Hand mit aus dem Spielhaus herauszog. Im ersten Moment stieß ich ein erschrockenes Wimmern aus, welches mir aber sofort in der Kehle stecken blieb, als ich realisierte, dass wir jetzt nicht mehr in der sicheren Zone waren und jedes Geräusch sofort unser Aus sein konnte.
Meine Muskeln spannten sich wieder einmal instinktiv an und ich riss die Augen auf, als Heiya mich ohne Vorwarnung losließ und dann im Gebüsch verschwand. Sie hatte mich absichtlich mit über die Türschwelle gezogen, um mir dabei zu helfen, meinen inneren Schweinehund zu überwinden. Ich musste ihr lassen, dass sie wirklich mit allen Wassern gewaschen war.
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Down The Rabbit Hole | Chishiya
Fanfic„Würdest du mir bitte sagen, welchen Weg ich von hier aus nehmen soll?" „Das hängt sehr davon ab, wo du hinwillst." „Es ist mir ziemlich egal, wohin." „Dann ist es auch nicht so wichtig, welchen Weg du nimmst." „Aber ich werde an meinem Ziel ankomme...