Kapitel 4 Die Trinkbar

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Der Nachmittag mit Elli füllte die sonstige Leere aus. Meine beste Freundin war eine Meisterin darin mich abzulenken und auf andere Gedanken zu bringen. So kam es dazu, dass wir nach dem Cafébesuch im Britzer Garten spazieren gingen, um das rastlose Berlin kurz hinter uns zu lassen. Ich hatte die Tickets bezahlt, dankbar darüber, dass Elli so geduldig mit mir war. Der Landschaftspark war im Frühling wunderschön, wenn alles aufblühte. Als ich die Augen schloss, konnte ich schon jetzt die milde Frühlingswärme auf meiner Haut spüren. Das Zwitschern der Vögel die aus dem Süden zurückkehrten und den Geruch von dem typisch süßlichem Frühjahrsroma. Was witzig war, denn dieser rührte nicht von den blühenden Pflanzen, sondern von der Substanz Gesomin. Diese wird durch Mikroorganismen im Boden freigesetzt, wenn die Erde sich erwärmte. Aber zu sagen, dass der Frühling nach Liebe roch, klang deutlich besser als eine wissenschaftliche Erklärung. Doch so bald man dieses Wissen besaß, nahm es ein Stückchen den Zauber des Frühjahrs.

Mit Elli hatte ich für einen kurzen Moment meine sonstigen Gedanken vergessen können. Ihre Ablenkungen waren wichtig für mich, schufen kurz etwas Leichtigkeit. Doch sobald die Erinnerungen in einem friedvollen Augenblick zurückkehrten, prasselte die Schwermütigkeit auf mich nieder. Das atmen, welches sich soeben mühelos anfühlte, brannte plötzlich wie Absinth, wenn man die wehrmuthaltige Flüssigkeit anzündete, und unsichtbare Steine legten sich auf meinen Brustkorb nieder, der sich durch die Last schwerlich hob und senkte. Es war, als hätte sich mein Leben in zwei Teile geteilt. Es gab diese Zeit mit Shay und diese Zeit ohne sie, welche mittlerweile länger anhielt. Gedankenverloren trat ich mit meinen dicken wasserfesten Winterstiefel durch den Neuschnee und zog mir die mattschwarze Steppjacke enger an den Körper. Abends war es extrem kalt in Berlin. Die Temperaturen schwankten auf Minus acht Grad und ich war auf dem Weg zur Trinkbar.

Susanoo erwartete mich schon sehnsüchtig, als ich Minuten später die mit bunten Stickern übersäte Tür öffnete. Ich ließ den Blick über meinen Arbeitsplatz gleiten. Kleine verschiedenförmige Glühbirnen hingen von der hohen Decke und spendeten ein gedimmtes Licht, dass eine angenehme Atmosphäre herbeizauberte. Von den karminroten Wänden hingen imponierende Schwarzweißbilder von gemischten Drinks. Diese waren bei einem Fotoshooting entstanden, für die mich ein Fotograf beim Mischen der Getränke fotografierte. Die Ergebnisse konnten sich wahrlich sehen lassen. Auf der linken und rechten Seite befanden sich jeweils vier Massivholztische, die nicht einen Kratzer aufwiesen. Susanoo ragte hinter dem Herzstück der Bar hervor; den Tresen. Dieser bestand aus einem dunkelbraunen, fast schon schwarzen Makassarebenholz. Dahinter breitete sich ein dreistöckiges goldverziertes Regal aus, mit, auf den Millimeter genau geordneten Alkoholflaschen, die keinen Wunsch offenließen. Wir öffneten schon bald, doch zunächst einmal begrüßte ich den asiatischen Sturmgott, der nicht einen Tag älter als von fünf Jahren wirkte. Seine langen schwarzen Haare waren zu einem Zopf zusammengebunden und seine freundlichen Lippen verzogen sich nach unten, sobald er auf mein Gesicht sah.

»Du siehst scheiße aus« , kam statt einer Begrüßung aus seinem Mund. Die dunklen Augenbrauen angestrengt zusammenkneifend sah er mich an, bis der Groschen fiel.

»Die verflixte Zeit nach Weihnachten?« Ich nickte bedacht, ohne ein Wort von mir zu geben. Auch Susanoo blieb stumm, wobei aus den Lautsprechern ein sanfter rhythmischer Beat erklang und den leeren Raum erfülle. Nur vier Tage trennten uns vom neuen Jahr. Vier Tage bis zum gottverdammten fünften deine große Liebe wurde von einem wahnsinnigen entführt Jubiläum. Susanoo griff nach einem tulpenförmigen Glas und einer Flasche Hennessy VSOP, die er nur für seltene Fälle hervorholte. Ohne mich aus den Augen zu lassen goss er einen kleinen Schwung ins Glas und vergoss dabei nicht einen einzigen Tropfen des guten Alkohols. Der stechende Geruch des Cognacs traf meine Nase, wobei Susanoo es mir entgegen schob und auch sich ein Gläschen eingoss.

»Na dann werden wir den hier brauchen. Ich bin für dich da Yasmin.« Mein guter Freund, der ebenso eine Vaterfigur innehielt, stieß sein Glas gegen meines und wir stürzten den Hennessy unseren Kehlen hinab. Danach leckte ich mir über die Lippen und kam zu ihm hinter die Theke.

»Elli fragt Bruce nachher, bei ihren nächtlichen Videocalls, ob er dieses Jahr zurückkommt, um mit der alten Crew in die Parallelwelt zu gehen, um einen Toast auf ihr Grab auszusprechen und Shay zu gedenken.« Am Anfang ihres Verschwindens, als ich noch voller Hoffnung war, hatten wir ihren seelenlosen Körper mit Bruce Energie am Leben erhalten, sodass es nicht zerfiel. Doch als die Jahre vergingen und die Hateful and Loveable Creatures sich mehr und mehr auseinanderlebten, traf ich die schwere Entscheidung, Shay an dem Ort ihres Verschwindens zu begraben, um zumindest einen Platz zum Trauen zu erschaffen. Einen an dem man einmal im Jahr zurückkehren konnte, um zu sagen, was alles geschah, währenddessen sie fortblieb. Die Parallelwelt, in welcher der Kampf stattfand, war zwar kein persönlicher Ort, doch zumindest einer an denen niemand den Leichnam, eines verschollenen Mädchens fand.

»Ich werde dich begleiten, wie jedes Jahr.« Susanoo legte seine Hände auf meinen Schultern und schenkte mir ein zuversichtliches Lächeln. Dann löste er sich von mir und ich verschwand durch eine Tür in den Vorbereitungsraum. Dort tauschte ich meine Straßenkleidung gegen eine schwarze Schürze. Ursprünglich wollte ich mich direkt an die Arbeit machen und Susanoo nicht länger warten lassen. Stattdessen sank mein Kopf jedoch gegen den Spind vor mir und mein Körper leuchtete in einer meeresblauen Farbe auf, da ich die unguten Emotionen nur schwerlich in den Griff bekam.     

Hateful and Loveable Creatures 2- Die Zeitstadt (girlxgirl) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt