Kapitel 6 Besuch bei den Eltern

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Eine ganze Stunde später als ursprünglich geplant hielt das Taxi in der Sanderstraße, wo Elli und ich lebten. Dadurch, dass ich durch diesen seltsamen Mann meinen Nachtbus verpasste, war ich gezwungen ein Taxiunternehmen zu kontaktieren, da kein Uber in meine Richtung fuhr. Zum Glück hatte ich, noch eine abwetzte Karte im Portemonnaie gefunden. Ich bezahlte den geschwätzigen Mann, der mir gefühlt seine ganze Lebensgeschichte erzählte, wie auch, dass er mit zwölf Jahren einen Sportunfall erlitt. Durch den er jahrelang mit seinem Knie zu kämpfen hatte, bis er im letzten Jahr eine OP bekam, in der ihm ein künstliches Kniegelenk eingesetzt wurde. Ich verstand es nicht, wie man um diese Uhrzeit so gesellig sein konnte. Ich für meinen Teil war froh endlich in die Wohnung zu gelangen und mich nach einem Tee, hoffentlich hatten wir Honig daheim, ins Bett fallen zulassen.

So zog ich wenige Minuten später die hölzerne Tür auf und Elli schoss in einer rasanten Geschwindigkeit auf mich zu.

»Elli, mach langsam. Was wenn ich Besuch mitgebracht hätte? Außerdem hast du Blut am Mundwinkel.« Tadelnd verzog ich das Gesicht, bei diesem allzu vertrauten Anblick und meine beste Freundin wischte sich mit der Hand unvorteilhaft über die falsche Seite, an der sie das Blut vermutete.

»Andere Seite«, seufzte ich leise auf und schob mich an Elli vorbei. Dann zog ich mir die Schuhe und Jacke aus und lief zur Küche.

»Ich hab uns beiden schonmal Tee gekocht«, kommentierte Elli meine Bewegungen und ein Schmunzeln entwich mir. Die Vampirin, mit der ich zusammenlebte, kannte mich besser als sonst irgendwer auf diesen Planeten. So schnappte ich mir die zwei herrlich duftenden Tassen, meine hatte einen kleinen Sensenmann als Bild, und trug sie in unser gemeinsames Wohnzimmer. Die graue L-förmige Couch mit den vielen bunten Decken darauf, welche Elli in jedem Geschäft kaufte, wenn sie mal wieder der Meinung war, wie hätten zu wenige, lud zum Entspannen ein. Keiner von uns redete viel, denn wir wussten um das Bedürfnis nach stiller Gesellschaft des jeweils anderen. Elli ging zwar oft abends aus, doch war sie längst nicht mehr so quirlig und überdreht wie vor fünf Jahren. Alles hatte sie mit der Zeit verändert, aber so war das Leben. Auch nach Shays Verschwinden blieb die Welt nicht stehen. Die Zeit floss weiter und brachte neue Veränderungen mich sich. Gute, schlechte und welche, die keiner hatte kommen sehen.

Im Laufe des nächsten Tages saß ich in der U7 auf dem Weg nach Charlottenburg, um meine Eltern zu besuchen. Sie sagten mir immer, dass ich zu selten vorbeischaute, und hatten recht damit. Es war nicht einmal so, dass ich zu beschäftigt war für einen Besuch. Viel mehr lang es daran, dass sie meine sterblichen Eltern waren. Seitdem ich die Erinnerungen zurückerhielt, wurde mir bewusst, dass es einen Ursprung von mir gab. Einem in dem die einfache Frau Samira und der griechische Gott Triton zueinanderfanden. Das klang hart, nachdem sie mich hier großgezogen hatten, doch überkam mich hin und wieder die Sehnsucht danach meinen eigentlichen Vater zu finden. Denen, der meine Seele erschuf und nicht den genetischen Körper.

»Hey Mum, hey Dad«, begrüßte ich die beiden eine halbe Stunde später und wurde in feste Umarmungen gedrückt.

»Schön das du wieder hier bist und das so kurz hintereinander« Mum presste mich noch einmal fest an sich und mir stiegen die Tränen in die Augen. Die bedingungslose Liebe der beiden schürte mir die Luft ab und der vertraute Geruch der Wohnung meiner Kindheit und Jugend ließ mich scharf einatmen. Ich brauchte einen Moment, um mich zu sammeln, bevor ich meinen Vater zögernd anlächelte. »Schön euch wiederzusehen.«

Beruhigend strich mir Dad über den Rücken, bis meine Tränen versiegten, und sah mir fest in die Augen.

»Du bist wegen Shays Verlust vor fast fünf Jahren so durch den Wind, oder? Sonst wärst du nicht kurz nach Weihnachten wieder hier, wo du dich doch fast das ganze Jahr über zurückhältst«, merkte Mum an, als wir uns zusammen an den Küchentisch setzten. Die gleiche Obstschale wie damals zierte die Mitte und ich taxierte sie eine Weile, bis ich den Blick erhob und in die Augen meiner Mutter sah. Sie und mein Vater waren die einzigen Menschen, die Bescheid wussten, was damals tatsächlich geschehen war. Ich hatte ihnen die Wahrheit gesagt und obwohl sie nicht so recht mit diesen Informationen umgehen konnten, waren sie für mich da. Zumindest versuchten sie es, doch trotz der Beharrlichkeit mit der sie meine Trauer entgegentraten, war ich in ein tiefes Loch aus Depressionen gefallen.

Hateful and Loveable Creatures 2- Die Zeitstadt (girlxgirl) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt