Kapitel 12 Das Portal

15 1 0
                                    

»Du verdammter Hurenbock!«, durchbrach eine tiefe, mir bekannte Stimme die Stille. Zufolge einer kurzen Überlegung erinnerte ich mich daran sie nach meiner Schicht in der Trinkbar in der Gasse aufgeschnappt zu haben. Wegen dieser Begegnung mit dem Mann, welcher im Schatten verschwand, verpasste ich den Nachtbus. Als er erneut fluchte, schoss ein Geistesblitz durch meinen Kopf, zu wem die Stimme gehörte, und ich fuhr herum, um mich zu vergewissern. Ich behielt recht und die Farbe entwich mein Gesicht.

Milan.

Trotz der Kälte war der junge Mann von Schweiß getränkt. Nach Luft schnappend jagte er den größten Seelendieb, welchen ich je zu Gesicht bekam, hinterher. Das Viech war größer als ein Elefant und seine rauchige Gestalt umspielten schattige Muskeln. Brüllend stieß der Seelendieb Bruce zu Boden und riss mit einem markerschütternden Schrei die Atmosphäre auseinander, wodurch er verschwand. Ich traute meine Augen kaum, doch bevor ich verarbeiten konnte, was ich grad beobachtete, vergrößerte sich das Loch und eine schwarzlila Materie sog mich wie ein Magnet in sich hinein.

Das Erste, was ich wahrnahm, als ich die Augen aufschlug, war die Sonne, welche erbarmungslos auf mich hinunter brannte. Zwei Sonnen, erkannte ich bei genauerer Betrachtung und starrte irritiert in den wolkenlosen violetten Himmel. Ich schien zu halluzinieren, mein schmerzender Kopf bestätigte dies nur. Was war soeben geschehen? Unter den Fingern ertastete ich grünes, saftiges Gras. Ich schien allem Anschein nach auf einer Wiese zu liegen. Benommenheit schob sich vor meine Gehirnzellen und lag wie ein Schleier über den Gedanken. Ich erhob mich zerstreut und erkannte einen fluchend neben mir knienden Milan. Ein Schweißfilm lag auf seiner Stirn, der von den beiden Sonnen nur begünstigt wurde. Seine dicke Kleidung schien förmlich an ihm zu kleben.

»Verflucht nochmal!«, schrie er aus und schlug mit der Faust immer wieder ins Gras. Neben uns erhoben sich meine Freunde und Lenus seine Leute.

»Was ist passiert und wo zum Teufel sind wir?«, fragte Esmee und ließ ihren Blick beunruhigt umherwandern. Erst jetzt fiel mir auf, dass meine Schuppen und Flügel nicht verschwanden. Die Tatsache, dass sie dies nicht taten, ließ mich schlussfolgern nicht auf unserer Erde zu sein. Sollte ich mir die beiden Sonnen nicht herbeifantasieren, dienten sie als weiteres Indiz.

»Milan, wo sind wir und wieso kannst du Parallelwelten betreten?« Milan erwachte aus seiner Trance der Wut und die Farbe wich ihn aus den geröteten Wangen. Er starrte mich und den Rest an, als hätte er Geister vor sich. Schnell rappelte er sich auf und stolperte zurück.

»Warum seht ihr alle so aus!?« Angst schwang in seiner Stimme mit und er musterte mich von oben bis unten. Der Blick zu den anderen beruhigte ihn keineswegs. Ließ ihn nur panischer werden. Beschwichtigend erhob ich meine Hände.

»Wir mögen anders aussehen, als du uns kennst, aber wir sind alle immer noch dieselben.« Meine Flügel wippten bei den Worten auf und ab, was für ihn bedrohlich wirkte, den er trat strauchelnd weitere Schritte zurück.

»Kommt mir nicht zu nahe!!!«, schrie er aus und vergrub das Gesicht in seinen zitternden Händen.

»Milan«, flüsterte ich einfühlsam und wartete, bis seine Schultern aufhörten zu zucken.

»Ich bin es doch, Yasmin. Ich tu dir nichts, niemand von uns«, fügte ich vorsichtig hinzu. Erneut sah er mich an, aber die Angst aus seinen Augen verschwand nur bedingt.

»Bitte hilf uns, zu verstehen, was vor wenigen Minuten passiert ist. Warum jagst du Seelendiebe, ich dachte, sie wären alle fort?«

»Was sind Seelendiebe?«, verwirrt zog Milan die Stirn kraus. Seine Atmung normalisierte sich, als er hinterher schob: »Das eben war ein Seelenfresser.« Erneut hielt er inne und ließ sich im Gras nieder. Wir anderen taten es ihm nach, um Milan die Anspannung nahmen.

»Klär uns auf«, forderte Lenus nachdrücklich. Er und seine Freunde hätten nicht einmal hier sein sollen, denn sie kamen nur wegen uns nach Berlin. Nun aber saßen wir alle im selben Boot der Ratlosigkeit. Verloren starrte Milan auf das grün vor sich und zupfte nachdenklich an den Grashalmen. Nach ein paar verstreichenden Augenblicken erhob er seinen Blick und richtete ihn an uns allen.

»Vor einem Jahr ungefähr war ich mit Freunden in Portugal. Nach der Schule hatte ich eine Ausbildung angefangen, aber mein größter Wunsch war es schon immer zu reisen. Fremde Länder, die Ferne, Liebschaften sowie Freundschaften an jedem Ort, das war meine Vorstellung von Glück. Wir hatten an den Tag damals getrunken und nur Unsinn im Kopf. Wir surften viel, doch wollten uns nachts in einer abgelegenen Bucht gegenseitig etwas beweisen. Wir missachteten die Verbotsschilder und es geschah, was geschehen musste: Ein Unwetter zog auf. Meine Freunde waren rechtzeitig am Ufer, doch ich versuchte zu beweisen, dass ich nicht mehr der zurückhaltende Milan aus meiner Schulzeit war. Ich blieb länger draußen und surfte über den Wellen, wie ein verdammter Gott. Solange bis mir ein Schwall über den Kopf zusammenschlug und mich unter Wasser drückte. Mein Bord zerschellte bei der starken Strömung und ich schlug mit dem Kopf gegen ein Riff. Ich war tot. Ein paar Minuten zumindest. Diese Zeit reichte aus, dass das Monster in meinen Körper schlüpfte. Seelenfresser suchen sich seelenlose Hüllen, um in ihnen einzudringen. 259, so sein Name, war ein Sklave, wo er herkam. Er erwählte meinen Körper, da er dachte ich wäre tot, doch ab dem Moment, an dem mein Herzschlag im Krankenwagen wieder einsetzte waren wir zu zweit in meinem Körper«, offenbarte uns Milan. Die Geschichte zu erzählen setzte ihm zu, denn er rang förmlich nach Selbstbeherrschung.

»Wie bei Venom?«, hakte ich nach und ein Schmunzeln, das nicht zu Milans Erscheinung passte, breitete sich auf seinem Gesicht aus.

»Ja Yasmin, wie bei Venom, nur ohne das Fressen der Köpfe. Das Problem bei 259 und mir bestand darin, dass das Ding aus meinem Körper wollte, nachdem es erkannte, dass ich wieder da war. Seinen Gedanken, die wir uns teilen nach zu urteilen hatte er in der Zeit seiner Existenz schon einige Menschen ermordet, darum nahm ich mir vor ihn in meinem Körper gefangen zu halten«, beendete Milan seine Erklärung.

»Aber er entkam«, schlussfolgerte Lizzy mit verschränkten Armen. »Ich bin zu alt für den Scheiß«, schob sie genervt ausatmend hinterher. Milan sah sie daraufhin irritiert an. Offenbar schien in seinem Kopf die Zahnräder zu rattern, denn er sah wahnsinnig verwirrt drein.

»Über tausend Jahre alte Vampirin«, half ich den überlegenden Milan auf die Sprünge.

»Du bist umgeben von Göttern, mir einer Halbgöttin, einem Werwolf, zwei Vampirinnen, einen Succubus und so eine Frau, die Rosenblätter aus ihren Körper schießen kann«, stellte ich kurz und kapp unsere Runde vor und jeder erhob bei benannter Spezies die Hand.

»Bevor du kamst, waren wir auf einer Gedenkfeier von Shay und Zeynel, einem Jungen, der zu den dreien gehört.« Bruce deutete auf Lenus, Esmee und Liora.

»Wurden sie nicht entführt und tauchten nie wieder auf?«, hakte Milan nach.

»Ja sie wurden entführt, aber nicht so, wie du denkst: Ein Schwarzmagier, der die beiden erschaffen hat, bemächtigte sich ihrer Seelen nach einem großen Kampf und verschwand.« Ein stilles Oh bildete sich auf Milans Lippen aus.

»Also nochmal fürs Protokoll, der Abgefucktheit: Ein Seelenfresser steckte mit dir in einem Körper und entkam, aber wo sind wir?«, fragte Esmee das, was uns alle beschäftigte.

»Ich weiß es nicht. Wirklich.« Milan ließ seine Schultern hängen. Die Antwort war sehr unbefriedigend, darum stand ich auf mit den aufbauenden Worten: »Dann lasst uns die Gegend erkunden, vielleicht finden wir einen Weg nach Hause.«

Hateful and Loveable Creatures 2- Die Zeitstadt (girlxgirl) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt