Kapitel 13 Ich bin nicht die Mutter

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Wir liefen einige Zeit, bis wir an die Grenze eines Waldes gelangten. Ein genervtes Aufstöhnen kam von Seiten Lioras. Die Sonnen brannten erbarmungslos auf uns nieder. Jeder hatte längst seine Winterjacke ausgezogen, doch unter dem Pullover schwitzte ich dennoch. Der Durst brannte mir im Hals, den ich zumindest mit meinen Fähigkeiten zu Löschen vermochte. Wenigstens konnten wir so nicht verdursten. Ich zog die Flüssigkeit aus meinen Fingern und versorgte somit unsere vergrößerte Gruppe. Dennoch sahen Elli und Lizzy aus, als würden sie gleich dehydrieren. Sie hatten schon eine Weile kein Blut mehr zu sich genommen und das zerrte an ihren Kräften.

»Das reicht. Ich umfliege das Gebiet und sehe nach, ob wir die Einzigen sind. Vielleicht haben wir Glück und ich finde jemanden, der uns helfen kann, von hier wegzukommen.« Ich warf Elli meine Winterjacke zu, welche zuvor durch meinen Flügeln ohnehin zerriss, und breitete die Schwingen an den Schultern aus. Ich flog nicht oft, weshalb es mir schwerfiel, die Gedanken so weit zu bringen, meine Flügel wie Arme zu betrachten. Seit klein auf bewegten wir unsere Gliedmaßen von selbst, doch die Drachenflügel kamen mir nach wie vor, wie ein Fremdkörper vor.

»Ich komme mit dir«, mischte sich Liora ein. Sie breitete ihre schwarzen Schwingen aus und wir hatten das stille Einverständnis der anderen, die Gegend zu erkunden. Mein Fittich hob mich nach einigen Startschwierigkeiten empor und zerteilte so die warme Luft. Bei Liora sah das Fliegen leichter aus. Mühelos, schon fast anmutig bewegte sie ihre Flügel auf und ab. Ihre dämonenartige Gestalt schwebte geschmeidig über den Köpfen der anderen hinweg und war in nur einigen Sekunden hoch am Himmel. Ich folgte ihr grummelnd, da ich mir mit meinen Flugkünsten lächerlich vorkam.

Über dem Dach des Waldes hinweg erstreckte sich kilometerweit nichts weiter als Bäume. Hinter uns lag die weitläufige Wiese.

»Mist«, fluchte ich leise und die Hoffnung darauf von hier zu entkommen, verschwand zunehmend. In was für eine Welt waren wir hier eingedrungen? Mein Blick erhaschte im Wald einen riesigen Hirsch mit vier Geweihen und fünf Augen, welcher sich an den Beeren eines Strauches bediente. Genüsslich kauend ließ es sich nicht einmal von den Fliegen um ihn herum stören. Besser unsere Begleiter liefen nicht in den Wald hinein. Wenn schon die Hirsche anders aussahen, konnten wir nicht wissen, was in den Tiefen des Waldes lauerte.

»Lass uns Richtung Süden fliegen«, schlug Liora vor, die den Hirsch mit dem gleichen besorgten Blick musterte. Ich folgte ihr, denn allen Anschein nach wusste sie, wo diese Himmelsrichtung lag. Mal im Ernst, wir von der Generation Z waren mittlerweile ohne unsere Handys aufgeschmissen. Dieses lag in meiner Jackentasche und der Kompass sprang beim letzten Versuch, unseren Standort zu orten, wild hin und her. Ich holte beim Fliegen auf und flog neben Liora her.

»Woher weißt du, wo es lang geht?« Ich drehte meinen Kopf in ihre Richtung. Ein Fehler, denn durch diese Unachtsamkeit flog ich in eine Schar Vögel, geriet ins Taumeln und stürzte in die Tiefe. Äste kratzten mich im Gesicht und spitze Tannennadeln piksten unsanft durch den Pulli. Kurz vor dem Boden erlangte ich die Kontrolle über meine Flügel zurück und entkam zu knapp einen Aufprall. Nach diesem kleinen Unfall stellte ich mich auf das saftige feuchte Moos, um den Schock zu überwinden. Mein Atem galoppierte wild und kam nur langsam zur Ruhe. Aber die kurze Erholung hielt nicht lange, denn die Schar durch der ich flog, war mir gefolgt. Kleine von Neugier erfüllte Augen schauten zu mir hoch. Abwartend, lauernd. Es waren keine Vögel, wie ich es zunächst annahm, vor mir stand eine Hand voll kleiner Drachen, nicht größer als Spatzen. Obwohl ich sie wesentlich überragte, schienen sie keine Angst zu haben. Dafür tapsten sie mit ihren zu großen Flügeln näher an mich heran und beschnüffelten meine Beine. Aus der Nase des kleinsten in der Runde stieg Rauch, als er los nieste und ein paar Zentimeter zurückrutschte. Alle wiesen smaragdgrüne Schuppen auf und sie teilten sich eine gewisse Vorliebe für mein Hosenbein.

»Geht es dir gut?« Mit dieser Frage landete Liora neben mir und sah skeptisch auf das Szenario, bevor sich loslachte.

»Offenbar schon«, beantwortete sie sich ihre Frage selbst und begutachtete meine missglückte Situation. Ihre Augen blitzten belustigt auf, bis ein Schatten über ihr Gesicht huschte.

»Scheiße, ich glaube, dass sie dich für ihre Mutter halten!«

Erschrocken schüttelte ich eines der Drachen von meiner Hose, wodurch es durch die Gegend flog und durch das Moos rollte. Dabei stieß es einen kleinen quietschenden Schrei aus, der fast wie ein Weinen klang. Aus Affekt quietschten auch die anderen Drachenbabys auf und im nächsten Augenblick bebte die Erde. Plötzlich war alles wieder Still, bis durch ein markerschütterndes Brüllen Bäume einknickten.

»Ich bin nicht die Mutter, aber sie vermutlich.«

Hateful and Loveable Creatures 2- Die Zeitstadt (girlxgirl) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt