Kapitel 8 Vereinigung

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Eine gute Stunde später betraten wir die riesige Villa von Bruce und Francis. Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, dass die große Tür sich öffnete und ich in Francis Augen sah, die uns bereits freudig erwartete. Sie selbst war in einem schwarzen Poncho gehüllt und ich empfand eine angenehme Vertrautheit in ihrem Anblick. Sowie der Geruch von dem Feuer aus dem Kamin, der eine beruhigende Atmosphäre herbei zauberte.

»Endlich seid ihr da. Ich habe euch schon sehnlichst erwartet.« Grinsend nahm sie ihren Bruder in den Arm und boxte ihn spielerisch auf den trainierten Armen.

»Du hättest anstatt zu trainieren ruhig mal anrufen können.« Man konnte heraushören, dass sie ein wenig getrunken hatte.

»Du bist schon immer gut allein zurechtgekommen«, konterte Bruce und setzte seine Tasche ab, während der Anflug eines Schattens über Francis Gesicht huschte. So schnell wie dieser auftauchte, verschwand er wieder und sie wendete sich Elli zu, um auch sie zu begrüßen. Vor mir blieb sie einen Moment lang stehen und sah mich einfach nur an. Dann nickte sie mir zu und ein »Hey, Yasmin«, verließ warm ihren Mund, bevor sie mich in eine feste Umarmung zog.

Im Laufe des Abends fanden wir uns wie früher im Speisesaal wieder und tranken den ein oder anderen Rotwein miteinander. Bruce und Elli hatten sich eine Menge zu erzählen, wobei ich Francis ausfragte, wie es ihr in dem letzten Jahr ergangen war. Wir hatten uns in der Zeit kein einziges Mal gesehen, obwohl wir doch in derselben Stadt lebten. Weder trafen wir uns mal auf einen Kaffee noch besuchte sie mich und Susanoo in der Trinkbar. Abgesehen von dem jährlichen Treffen der Hateful and Loveable Creatures war sie eine Einzelgängerin.

»Ich habe mein Psychologiestudium an den Nagel gehangen und arbeite seit einem halben Jahr in einem bezaubernden Tierheim.« Wie auf Kommando streifte dabei etwas Pelziges meine Beine und sprang mir gleich darauf auf dem Schoß. Eine schwarze Katze sah mich mit ihrer geblichen Iris und den dazugehörigen dunklen Pupillen an.

»Du hast uns eine Katze ins Haus geholt!?« Bruce unterbrach sein angeregtes Gespräch mit Elli abrupt. Fassungslos starrte er auf das miauende Tier und stand vom Stuhl auf, um die Katze hochzuheben. Statt die Begutachtung über sich ergehen zu lassen fauchte sie jedoch laut auf und krallte sich in Bruce Wange fest.

»Tja Brüderchen, leg dich nicht mit Lilith an«, scherzte Francis mit der Zunge schnalzend, wobei dort ihr Piercing zum Vorschein kam.

»Du hast nicht allen Ernstes eine schwarze Katze adoptiert und sie nach der Mutter aller Dämonen benannt!?« Der Schock stand Bruce förmlich ins Gesicht geschrieben, woraufhin ich auflachte. Francis und Elli stimmten mit ein und er setzte sich wieder hin. Lilith huschte derweil abermals zu mir und schmiegte sich erneut an meinen Beinen.

»Sie ist nicht zu jedem so zutraulich«, raunte mir Francis grinsend zu, wobei ich der Katze hinter den Ohren kraulte.

Weich wie Wolfsohren, schoss es mir durch den Kopf und ich zog meine Hand ruckartig zurück, als hätte ich mich verbrannt. Hier in dieser kleinen Runde war nicht die Zeit für meine Traumata, doch Francis hatte es bemerkt und goss mir erneut Rotwein ins Glas.

»Nana, für Traurigkeit haben wir morgen noch alle Zeit der Welt.« Ich hatte Francis Gutmütigkeit vermisst. Sie war schon immer hellauf emphatisch gewesen und konnte, sich in andere hineinversetzten.

»Ich werde mich dann mal aufs Ohr hauen«, vermeldete Bruce gähnend und erhob sich. Wie auf Kommando tat es Elli ihm nach und ich konnte mir ein »Tut nichts was ich nicht auch machen würde« nicht verkneifen.

»Wir schlafen nur. In getrennten Zimmern versteht sich«, knurrte Elli mir entgegen und tadelte mich mit ihrem Blick.

»Schlaft gut«, kam einstimmig von Francis und mir und somit waren wir zwei allein.

»Ich werde dann wohl auch«, eine Hand auf meinen Arm ließ mich prompt verstummen.

»Ich bekomme so selten Besuch, willst du nicht ein klein wenig bleiben?« Über ihren großen Augen huschte der gleiche Schatten wie vorhin zu Begrüßung und einmählich dämmerte es mir. Francis war einsam. Sonst hatte sie immer ihren Bruder um sich, doch jetzt war die Villa leer. Ich schluckte. Mit einem Schlag wurde mir bewusst, dass ich eine Idiotin war. Ich war die ganze Zeit immer so mit mir selbst beschäftigt, dass ich kaum an Francis dachte, die Mutterseelen allein in einer riesigen Villa versauerte. Auch wenn sie sich nicht bei mir meldete, hätte ich es tun können. Seit wann hatten wir verlernt, anderen einfach mal zu fragen, wie sie sich fühlten?

»Ist gut, ich bleibe, aber lass und irgendwo hin wo es etwas bequemer ist.« Zufrieden lächelnd schnappte sich Francis eine zweite Flasche Wein und wir liefen zum Wohnzimmer.

»Du hast umgeräumt«, merkte ich an und ließ meine Augen durch den Raum gleiten. Mir gefiel, wie sie das Antike mit dem modernen vermischte und die schwarze Couch mit dem dunklen Massivholztisch sah verlockend aus.

»Nur zu, setz dich.« Sanft schubste sie mich in die Richtung der Couch und ich ließ mich dort nieder. Bis jetzt dachte ich, dass wir mit dem Sofa aus Ellis und meiner Wohnung einen großen Fang ergattert hatten, aber wie es sich herausstellte, war es kein Vergleich zu diesem Exemplar.

Nach einigen weiteren Gläsern Wein waren Francis und ich überdurchschnittlich angeheitert und immer mehr zusammen gerutscht, obwohl genug Platz da war.

»Warum wohnst du hier eigentlich allein? Ich meine, wie kommt es, dass du keinen Freund hast?«, hakte ich irgendwann nach.

»Abgesehen davon, dass ich Pan bin, es hat sich bisher nichts ergeben.« Francis zuckte mit den Schultern und nahm einen Schluck aus ihrem Glas, wobei sich ein »Oh« auf meinen Lippen bildete. Ich wusste gar nicht, dass Francis pansexuell war. Wieso wusste ich das nicht?

»Du hast nie nach meinem Sexualleben gefragt«, gab sie mir beiläufig lachend die Antwort auf die Frage, die mir offenbar auf der Stirn geschrieben stand. Dann beugte sie sich zu mir und ihr Parfüm kitzelte meine Nasenspitze. »Wenn ich mich verliebe, mache ich keinen Unterschied zwischen Geschlechter. Und wenn ich nur das eine will, dann ebenfalls nicht.« Wir waren uns mittlerweile so nahe, dass sich unsere Knie auf eine angenehme Weise berührten. Mein Blick fiel unbedacht auf ihre Lippen und durch den Alkohol, der mir nunmehr den Verstand benebelte, stellte ich mir vor sie zu küssen. Sofort sah ich hoch und versuchte, diesen Gedanken zu verscheuchen, wie ein lästiges Insekt, doch dann folgte ich ihre Augen, die erkundend über mein Gesicht huschten.

»Ich weiß nicht warum, aber ich hätte gerade Lust dazu dich zu küssen«, eröffnete mir Francis und ich verschluckte mich an meiner eigenen Spucke. Die Direktheit mit der sie aussprach, was in ihr vorging, war überraschend, und noch mehr, als ich mich vorbeugte und die Distanz zwischen und überwand. Ihre Zunge teilte sanft meinen Mund und ihr Piercing streifte einladend meine Lippen. Was erst zärtlich tastend anfing, wurde schnell zu leidenschaftlich und fordernd. Francis Finger umschlangen behutsam meinen Nacken und außer Atem rutschten wir auseinander.

»Gehen wir in mein Zimmer?« Berauscht und aufgeheizt durch das Adrenalin nickte ich zustimmend, aber auch verwirrt von diesen plötzlichen Empfindungen.

Hateful and Loveable Creatures 2- Die Zeitstadt (girlxgirl) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt