Kapitel 5 Onlinedatingunfall

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»Bekomme ich noch einen Moscow Mule mit Limetten?« Leicht wankend lief Philipp auf die Theke zu und ich sah zu den hochgewachsenen jungen, südländischen Mann hinauf. Zerstreut standen ihn die dunkelbraunen Locken vom Kopf ab, weil er sich verzweifelt immer wieder hindurchfuhr.

»Wurdest du wieder einmal versetzt?«, fragte ich mitfühlend und mein Gegenüber nickte seufzend. Dann ließ er sich schwerfällig auf den Barhocker vor mir sinken und starrte grübelnd auf die frisch polierte Thekenfläche. Heute war es ausgesprochen ruhig und außer Philipp, einen unserer treusten Stammkunden und einem älteren Pärchen, welches sich hier her verirrt hatte, war die Trinkbar leer.

»Warum tauchen Onlinedates einfach nicht auf und ghosten einen? Ist es denn so schwer zu sagen, dass man keinen Bock hat?« Der Zwanzigjährige stützte missmutig den Kopf auf das Thekenholz ab und aus heiterem Himmel huschte ein leichtes Grinsen über seine Lippen.

»Wie wäre es, wenn wir auf ein Date – «

»Du wirst doch nicht etwa meine Barfrau angraben?« Susanoo tauchte hinter mir mit ein paar neuen Wodkaflaschen aus dem Lager auf, die er mir umgehend in die Hand drückte. Philipps Grinsen verschwand postwendend, als er in Susanoos ernstes Gesicht sah.

»Sry, das war dumm. Es nervt nur, dass mir das ständig passiert. Und dass Yasmin auf Frauen steht, weiß ich doch, es war nicht ernst gemeint«, entschuldigte sich Philipp schnell und der Sturmgott nickte ihm zu, bevor er die Hand aufhielt.

»Gib mir dein Handy«, forderte Susanoo ihn auf.

»Warum sollte ich-«

»Tu es einfach«, mischte ich mich ein und bereitete derweil die dritte Moscow Mule in dieser Nacht für unseren Gast vor. Während Philipp Susanoo mürrisch sein Samsung aushändigte, hatte ich längst die Limetten ausgepresst und füllte in einem Kupferbecher Wodka mit Eiswürfel. Routiniert verteilte ich den Limettensaft über diese und füllte den Rest des rötlich schimmernden Bechers mit Ginger Beer auf.

»Bei deinem Profil wundert es mich, dass du überhaupt Likes bekommst.« Susanoo zog belustigt die Stirn kraus und drehte das Handydisplay zu mir. »Wenn du Wasser magst, dann magst du schon 72% von mir. Manoman, sollen wir das für dich richten?«

Selbst ich musste dabei leise auflachen, allerdings nicht, weil dieser Text sonderlich originell war. Ich fragte mich, ob man mich dann automatisch zu hundert Prozent mögen musste? Meine Augen lagen amüsiert auf das etwas zersplitterte Handydisplay, wobei ich mit einem Barlöffel die Moscow Mule umrührte und das Glas mit Limetten und Minze garnierte. Derweil überlegte ich, was wir gegen diesen Onlinedatingunfall vor uns tun konnten. Ein Grinsen breitete sich auf mein Gesicht aus und ich griff nach dem Handy, als ich Philipp sein Getränk hingeschoben hatte.

»Einmal bitte Lächeln.« Wie auf Knopfdruck breitete sich ein gekünsteltes Grinsen auf sein Gesicht aus, doch ich war nicht zufrieden.

»Bitte lächle, als ob dir deine Lieblingsbarkeeperin die ständigen Extrawünsche mischt.« Dieser Satz zeigte Wirkung, denn ich hatte ein charmantes Lächeln eingefangen, das seine Grübchen freilegte, und tauschte es umgehend gegen das langweilige Fitnessstudio Foto aus, indem er finster in die Kamera schaute.

»Jetzt brauchen wir nur noch einen guten Profiltext.« Susanoo und Philipp sahen mir über die Schulter, während ich das Datingprofil des jungen Mannes auf Vordermann brachte.

In den frühen Morgenstunden schlossen Susanoo und ich die Trinkbar ab. Philipp und die anderen zwei Gäste waren schon vor einer Weile gegangen und wir hatten nur noch die Bar für den nächsten Tag vorbereitet. Ich war hellwach und gleichzeitig hundemüde. Aufgepusht und dennoch gewaltig leergesaugt.

»Die Schicht war ruhig. Zu ruhig. Wenn der nächste Monat so bleibt, können wir uns nicht übers Wasser halten«, meinte Susanoo unvermittelt und rieb sich grüblerisch die Schläfe. Ich wusste, dass er recht hatte. Uns fehlte es momentan an Gästen. Die elende Woche zwischen Weihnachten und Silvester machte uns immer zu schaffen. Und im Januar waren viele zu geizig, um einen zu trinken.

»Wir könnten die Bar Silvester öffnen-«

»Ausgeschlossen. Abgesehen davon, dass dieser Tag unglaublich wichtig für dich ist und du mit deinem Kopf nicht bei der Sache wärst, ist es der einzige Tag im Jahr, wo wir alle wieder zusammen sind. Die ganze alte Gruppe. Ich kann es immer noch nicht so recht fassen, dass jeder sein eigenes Ding macht.« Wieder hatte er recht. An genau diesem Tag wäre ich nicht dazu in der Lage hinter einer Bar zu stehen und unbekümmerten Menschen dabei zuzusehen, wie sie in ein neues Jahr hineinstolperten. In eines, dass viele mit dieser einen Person verbringen konnten, die sie über alles liebten, während ich Shay Jahr um Jahr immer wieder verlor.

Susanoo verabschiedete sich mit einer festen Umarmung von mir und schloss die Tür seiner Wohnung auf. Diese befand sich direkt neben der Trinkbar in einem Wohnblock.

»Wir sehen uns morgen.« Schon verschwand Susanoo im mit bunten Graffiti besprühten Eingang. Ich hingegen stampfte zur nächsten Haltestelle und wartete auf den Nachtbus, wie jede Nacht. Vor ein paar Jahren hätte ich mir Gedanken darum gemacht angegriffen zu werden. Das irgendeine Gruppe sich mit mir anlegte oder Wesen mich töten wollten. Doch seit dem Sieg über Diego mieden mich die, die so waren wie ich und wie die Hateful and Loveable Creatures. Und diejenigen die es wagten, mich herauszufordern, machten allesamt Bekanntschaft mit Ytgen, wie ich den Wasserdrachen, der zuvor Diegos Feuerdrache war, liebevoll nannte. Der Name hatte keinen tiefgründigen Sinn, ich fand nur, dass er zu einem Drachen passen würde.

Meine Finger tasteten in der Jackentasche nach einem Feuerzeug, nachdem ich mir eine Zigarette zwischen die Lippen presste.

»Komm sofort zurück! Ich habe dich gewarnt!«, brüllte eine bekannte männliche Stimme, die ich allerdings nicht sofort zuordnen konnte. Ich dachte scharf nach, doch mir kam partout nicht in den Sinn, woher ich sie kannte. Eigentlich wollte ich schon gern nach Hause und meinen Feierabend ausklingen lassen, doch war ich ein bisschen zu neugierig und steckte die Zigarette zurück in die Schachtel, falls jemand Hilfe brauchte.

»Ist alles okay?«, fragte ich in die Seitenstraße herein, wobei ich der Stimme entgegenlief. Meine Schritte traten knirschend durch den Schnee, doch ich gab mir Mühe, leiser zu laufen. Vielleicht war es nicht sonderlich schlau nachts durch dunkle Gassen zu schlendern, wenn ich meine Kräfte vor normalen Menschen nicht anwenden durfte. Ein Scheppern erklang und ich beeilte mich, voranzukommen. Ich machte schon den Umriss eines Mannes im Licht der Laterne aus, doch einen weiteren Schritt meinerseits eilte er davon, als hätte ich ihm bei etwas verbotenem ertappt. Verdutzt lief ich zurück und sah den Nachtbus ohne mich vorbeifahren.

Hateful and Loveable Creatures 2- Die Zeitstadt (girlxgirl) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt