Kapitel 9 Der nächste Morgen

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In aller früh am darauffolgenden Morgen weckten mich nicht die Strahlen der aufgehenden Sonne, sondern mein dröhnender Schädel. Schmerzverzerrt öffnete ich die Augen und fasste mir am Kopf, der sich anfühlte, als ob von innen eine Armee kleiner Zinnsoldaten Nadeln in mein Gehirn steckten. Ich brauchte ein paar Augenblicke, um mich zu sammeln, dann trat mir die vergangene Nacht ins Bewusstsein zurück. Oder besser gesagt, zu was ich mich gestern hatte hinreißen lassen. Von Scham erfüllt richtete ich mich auf und presste die Decke in mein Gesicht, um einen kleinen Schrei in ihm zu ersticken. Neben mir schlief Francis friedvoll und mit einem Lächeln auf den Lippen, das verriet, das sie wohl gerade an einem besseren Ort war, als ich. Wieso hatte ich das getan? Warum in alles in der Welt hatte ich einen Tag vor Shays Gedenktag mit Francis geschlafen!? Obgleich Shay fort war, ich hatte sie hintergangen! Zumindest kam es mir so vor. Welche perfiden Hormone hatten mich zu dieser Tat verleitet? In dem Moment, in dem Francis etwas tiefer ins Kissen rutschte und die Decke dichter um sich schlang, ergriff ich die Flucht. Leise setzte ich meine Füße auf dem Boden neben dem Himmelbett ab und haschte nach meiner Kleidung, die unweit von ihm lag. Kaum angezogen richtete ich die schwarze Bettdecke, mit der wagen Hoffnung darin, dass Francis gestern zu betrunken war, um sich daran zu erinnern, dass wir im Bett gelandet waren. Ich würde ins Zimmer nebenan schleichen und mich in den Zorn über mein eigenes dummes Verhalten suhlen. Mit einem schuldbehafteten Gefühl zog ich kaum vernehmlich die Tür zu und erstarrte. Elli schlüpfte hinter Bruce Tür hervor und fuhr nach einem leisen Räuspern meinerseits zu mir herum. Keiner bewegte sich auch nur einen Zentimeter. Wir standen einfach nur da und sahen verblüfft in das Gesicht des jeweils anderen, dann schien es Elli zu dämmern und sie zog mich in einer blitzartigen Bewegung in die Mitte des Flures. Weg von den Türen der Geschwister.

»Das ist Francis Zimmer«, merkte meine beste Freundin an und lugte zu Artemis Tür. Ich fuhr mir dabei ertappt durch die schwarzen Haare und folgte ihren Blick. Dann nickte ich reumütig.

»Scheiße, du hast mit Francis geschlafen!?«, schimpfte Elli bemüht leise und versuchte scheinbar, in meinem Gesicht zu lesen, was ich mir dabei bloß gedacht hatte, doch Spoileralarm, gar nichts hatte ich mir dabei gedacht. Trotzdem war ich Elli dankbar, dass sie leise war, damit nicht auch Bruce mitbekam, dass ich in der letzten Nacht seiner Schwester das Bett warmhielt.

»Mein Gott Yas, was hast du dir nur dabei gedacht?« Gar nichts, dass Thema hatte ich schon gerade eben für mich geklärt.

»Was hast du dir dabei gedacht, mit Bruce zu schlafen? Und leugne es nicht, ich kenne dich zu gut, um zu wissen, dass ihr nicht nur geschlafen habt«, konterte ich gereizt und verstummte abrupt. Wir hatten beide in der vergangenen Nacht unsere Prinzipien über Bord geworfen.

»Tut mir leid, ich wollte dich nicht so anfahren. Ich habe scheiße gebaut«, fügte ich beschämt hinzu.

»Wir haben scheiße gebaut«, flüsterte Elli und legte ihre Hände auf meinen Schultern.

Eine Weile später saßen wir zu viert, oder durch Lilith besser gesagt zu fünft, zusammen am Esstisch. Die Stimmung war verhalten, denn jeder hatte die Spuren der vergangenen Nacht zu tragen. Ich versuchte mich, in mein Frühstück zu vertiefen, und mied dabei geflissentlich Francis Blick, welcher wie Laserpointer auf mir lag und mich förmlich durchbohrte. Kaum hatte ich den letzten Bissen heruntergewürgt, sprang ich vom Stuhl auf mit einem: »Ich ziehe mich aufs Zimmer zurück, bis die anderen kommen.« Nun lagen alle Blicke auf mir und Bruce brummte etwas davon, dass es okay sei. Es tat mir leid, Elli alleinzulassen, doch ich ertrug Francis Nähe einfach nicht, denn ich vermochte immer noch ihre Küsse auf meinen Lippen zu spüren, sowie ihre Finger auf meiner Haut, die eine Erkundungstour auf ihn hinterlassen hatten. Francis Blick war irritiert, als ich davon lief. Kaum war ich aus dem Speisesaal getreten, hörte ich Schritte hinter mir. Zügig trugen mich meine Beine weg, doch schneller als mir lieb war, wurde ich eingeholt.

»Yasmin warte!« Francis Finger legten sich um meinen Arm, um mich zum Stehenbleiben zu animieren. Kaum ließ sie mich los, stolperte ich ein paar Schritte von ihr fort, was sie mit einem verletzten Blick quittierte. Ihre Augen flatterten unruhig auf und ab und ich kam mir allmählich wie ein riesiges Arschloch vor.

»Warum gehst du mir aus dem Weg?«, eröffnete Francis das Gespräch. Sie hatte eine Antwort verdient, doch ein imaginärer Knoten, hatte sich um meine Zunge gelegt. Ich konnte ihr nicht einmal in die Augen sehen und schlug meinen Blick zu Boden, wodurch die unangenehme Situation nur noch unangenehmer wurde. Francis trat erneut einen Schritt auf mich zu und hob mit ihren Fingern mein Kinn an, wie sie es früher immer tat, doch dieses Mal war das Gefühl ein beklemmendes.

»Was gestern geschehen ist, ist nicht nur meine Schuld. Du trägst genauso einen Teil dazu bei. Du hast mich geküsst, nachdem ich dir gesagt habe, dass ich dich gern küssen würde. Du und ich sind im Bett gelandet, na und? Jetzt reiß dich zusammen. Von mir aus kannst du die Nacht vergessen, Schwamm drüber, wir müssen nie wieder darüber reden, aber tu nicht so, als hätte ich dich zu irgendwas überredet.« Francis Finger pikte mittlerweile in meine Schulter, wobei ihre Lippen bebten. Wut keimte in mir auf in Form einer glänzenden blauen Aura, die sich um meinem Körper legte. Ohne den Blick abzuwenden, brodelten meine Gefühle über.

»Es war ein gottverdammter Fehler mit dir zu schlafen! Du bist nicht Shay und ich kann es nicht fassen, dass ich für einen Moment lang dachte, ich könnte sie für diese eine Nacht aus meinem Kopf vertreiben!« Nach diesen harten Worten drehte Francis den Kopf zur Seite, als hätte ich sie geschlagen, während ich davonlief und sie stehen ließ. 

Hateful and Loveable Creatures 2- Die Zeitstadt (girlxgirl) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt