13 | Das Ende?

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Immer noch aufgeregt, aber nicht mehr so nervös wie beim letzten Treffen, öffne ich die Tür zum HERZBLUT. Es ist bereits sehr voll, doch ich sehe Isaac sofort, da er mit Elvis nahe der Tür einen Platz gefunden hat.

„Hallo ihr beiden!", lächele ich, als ich mich Isaac gegenüber auf den Stuhl setze. Elvis will sofort schnuppern, ist mir aber nicht mehr ganz so skeptisch gegenüber wie im ALEX.

„Hi, ich sehe, du hast auch allein hergefunden?", lächelt Isaac zurück.

„Dank deiner guten Beschreibung", zwinkere ich. Isaac geht nicht auf meinen Flirtversuch ein und sagt stattdessen: „Du wirst dich sicher immer besser auskennen, wenn du dich ganz eingelebt hast. Wie lange bist du denn noch hier?"

„Eine Weile", grinse ich vielsagend. Isaac fährt sich mit der Hand durch die Haare. Ich bringe ihn in Verlegenheit, also setze ich hinzu: „Die Kurse verteilen sich über das Semester und nebenbei arbeite ich aushilfsweise in einer Praxis; ein Job, den mein Chef mir besorgt hat."

„Also lange genug, um die Stadt kennen zu lernen", meint er. ‚Nicht nur die Stadt, hoffe ich', denke ich, behalte es aber lieber für mich. Ich will ihn nicht überrumpeln.

„Was arbeitest du eigentlich?", frage ich interessiert nach, nachdem die Bedienung unsere Bestellung aufgenommen hat.

„Ich bin Friseur. Schon immer gewesen", erzählt er nicht ohne Stolz in der Stimme. Sofort stelle ich mir vor, wie er mit seinen zarten Händen in meinen Haaren wühlt.

„Ich wollte schon immer Strähnchen, meinst du, das steht mir?", frage ich etwas affektiert und muss dabei gleichzeitig an Jason denken. Der Spruch hätte auch von ihm kommen können.

„Hmmm", meint Isaac und tut so, als müsse er darüber nachdenken. „Wenn ich ehrlich bin, fände ich es schade. Ich finde deine natürlichen Haare sehr schön", antwortet er schließlich und ich bin mir nicht sicher, ob ich aus seiner Antwort ein Flirten heraushöre, oder nur die professionelle Antwort eines Hair Artist. Also reize ich ihn ein bisschen weiter.

„Okay, dann kein Blau?", frage ich mit klimpernden Augen.

„Uhhhh, sehr dezent", lacht er. Ich nehme den Ball sofort auf.

„Als ob ich dezent wäre", lache ich.

„Du schon, nur dein Mund nicht", platzt es aus ihm heraus. Okay, ihm gefällt mein Mund?

„Das nehme ich als Kompliment", grinse ich und suche seine Augen. Die werden auf einmal groß. Dann rudert er zurück.

„Es ist eigentlich auch nicht richtig formuliert", verbessert er sich. „Nur was aus dem Mund kommt... das trifft es besser", meint er mit einem verlegenen Grinsen.

Da war es wieder. Dieses Gefühl, dass ich nicht in Worte fassen konnte. Die Art, wie Isaac mir auswich, sich hinter seinem Lächeln versteckte und mir zu verstehen gab, dass er noch nicht bereit war für das, was seit dieser einen heißen Diskonacht vor knapp zwei Jahren als fixe Idee in meinem Kopf entstanden ist.

War ich vielleicht die ganze Zeit einer Wunschvorstellung hinterhergerannt? Ich war damals so unvorbereitet in die Situation mit Isaac geschlittert und er hatte mein Leben auf den Kopf gestellt. Durch ihn hatte ich begriffen, dass ich wieder helfen wollte. Dass das, was mich so glücklich gemacht hatte, nicht in einem Behandlungsraum in einer Praxis auf mich wartete, sondern auf der Straße.

Doch hatte ich meine Euphorie über die Möglichkeit, wieder helfen zu können, unbewusst auf ihn projiziert? Tauchte sein Gesicht deshalb ständig in meinen Vorstellungen von der Zukunft auf, weil der Wunsch, wieder Sanitäter zu sein und das Zusammentreffen mit ihm seit dem Vorfall ineinander verwoben waren?

Dieser Mann in der Disko, mein Grübchen, war frech und mit funkelnden Augen auf mich zugekommen, hatte mir mit seinem Lächeln den Atem geraubt und mein Herz zum Schmelzen gebracht. Doch das war nicht der Mann, der jetzt vor mir saß; war nicht Isaac, der immer noch unter den traumatischen Ereignissen litt, die ich immer noch nicht voll durchschaut hatte. Der sich noch nicht traute, Nähe zuzulassen. Der einfach noch mehr Zeit brauchte.

Wie auf Kommando vibriert mein Handy, das auf dem Tisch liegt. Isaac schaut auf. Ich nehme das Telefon und öffne den Chat.

„Hi Süßer, ich weiß, ich sollte dir Freiraum geben und so, aber scheiß drauf: Ich vermisse Dich!

Gestern beim Arbeiten hat mich so ein großer, ziemlich heißer Typ angebaggert und nicht lockergelassen. Und ich Idiot habe die ganze Zeit nur an Dich gedacht!

Scheiße Mann, mein Bett ist zu groß für eine Person. Also, komm bald zurück 😉"

Schmunzelnd schließe ich den Chat. Jason ist echt 'ne Marke. Ich habe schon wirklich Glück, dass ich ihn habe.

Als ich aufsehe und in Isaacs fragendes Gesicht blicke, fällt mir auf, wie unsinnig es eigentlich ist, an einen Abend in der Vergangenheit mit einem Traummann anknüpfen zu wollen, der mir eigentlich gar nicht das geben kann, was ich mir wünsche. Denn Traummänner haben die unglückliche Eigenschaft, nur im Traum perfekt zu sein. Und mein Traummann ist nicht so keck, lustig und offensiv, wie ich ihn im ersten Moment wahrgenommen habe. Er ist unsicher, ängstlich und vielleicht ist er noch nicht bereit für jemanden wie mich.

Ja, ich bin ungeduldig. Ich will Spaß haben und das Leben spüren. Ich will mich nicht mehr zuhause einsperren. Das habe ich nun schon so lange getan. Und so, wie Elvis Isaac hilft, hat Jason mir geholfen. Hat mich aus meiner Wohnung gelockt. Hat mich wieder unter Leute gebracht. Hat mir zugehört und mich angetrieben, mein Leben wieder in die Hand zu nehmen. Grübchen war der Schubs, aber Jason war mein Zugpferd. Wie dumm, dass ich das erst jetzt verstanden habe.

„Gute Nachrichten?", fragt Isaac. Klar, er hat mein Lächeln bemerkt.

„Jason", antworte ich. „Er arbeitet in dem Club, in dem auch wir uns kennen gelernt haben", antworte ich.

Isaac zuckt kurz zusammen, als ich das Pandoora erwähne. „Bist du noch oft da?", fragte er angespannt.

„Ab und zu treibe ich mich dort herum", gebe ich zu, lasse aber weg, dass ich eigentlich nur Jason von der Arbeit abhole. In den Club habe ich danach nur noch einmal einen Fuß gesetzt, um mich bei Jason zu bedanken. „Wieso fragst du?"

„Ach, ich dachte nur...", flüstert er fast.

„Was denn?", frage ich mit sanfter Stimme nach. Es scheint ihm grade nicht gut zu gehen.

„Dass du ihn vielleicht noch mal gesehen hast", erklärt er. Sofort steigt die Wut in mir auf, als er Simon erwähnt.

„Wenn der Dreckskerl mir auch nur einmal über den Weg gelaufen wäre, hätte er heute mindestens auch eine gebrochene Nase", sage ich etwas zu laut, denn Elvis fängt unter dem Tisch an zu knurren. „Sorry!", sage ich nun wieder leiser.

Doch Isaac scheint mein kleiner Ausraster nicht zu stören. Als er mich ansieht, sehe ich kurz das Grübchen, aber ich sehe auch Isaac mit seinen Sorgen.

„Ich glaube nicht, dass er dir noch einmal über den Weg läuft", sage ich beschützend und füge mit einem Lächeln, dass ich diesmal nicht als Flirt meine, hinzu: „Das wir uns nun zum dritten Mal zufällig über den Weg laufen, hat das Schicksal genug überstrapaziert. Simon wird dich sicher nicht finden, so weit weg von zuhause."

„Ich hoffe es", antwortet Isaac und setzt nun auch ein Schmunzeln auf.

Wir unterhalten uns noch eine Weile über Hamburg, die Reeperbahn und den Fischmarkt und Isaac fragt, ob ich schon mal auf dem Open-Air-Festival war. Dann schwärmt er von dem Essen, das mittlerweile auf Tellern vor uns liegt und es ist bereits abends, als wir uns aufmachen und noch ein paar Schritte zusammen gehen.

An der Station St. Pauli drehe ich mich noch einmal zu ihm um und bedanke mich für den netten Abend.

„Es war schön, mich heute noch mal mit dir auszutauschen", sage ich freundlich. „Vielleicht können wir irgendwann noch einmal etwas unternehmen; mit Elvis einen Spaziergang machen, oder so", schlage ich vor.

„Ja, vielleicht", antwortet Isaac unbestimmt.

„Gute Nacht, Zac", sage ich.

„Gute Nacht, Aiden", lächelt er.

Dann nehme ich die Bahn nach Hause.

Medicine - RomanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt