26. Thestralschwarz

401 42 56
                                    

26. Thestralschwarz

Der einzige Grund, warum ich nicht sofort senkrecht im Bett sitze, als es am Abend nach der Auskundschaftung beim Nott Estate an der Tür meiner Unterkunft klopft, ist der, dass es nicht Granger sein kann, denn sie liegt noch mit einem nachwachsenden Knöchel im Schockraum. Blaise hat beim Mittagessen kopfschüttelnd erzählt, dass sie noch mindestens eine weitere Nacht dort verbringen muss, sich aber bereits alle Grundrisse des Geländes und die Notizen zur Mission hat bringen lassen, um diese in ihrem Krankenbett durchzugehen. Typisch Granger.

Ich greife nach meinem Zauberstab, der in Reichweite auf dem Nachttisch liegt, und öffne mit einer schnellen Bewegung meines Handgelenks die Tür.

Der Anblick der Person, die daraufhin den Raum betritt, überrascht mich so sehr, dass ich mich schließlich doch ruckartig aufsetze. Aus verschiedenen Gründen. Erstens, weil ich mit ihr am wenigsten gerechnet habe. Zweitens, weil sie weder die Trainingskleidung noch die Kampfausrüstung des Widerstands trägt, sondern eine Jogginghose und einen dicken, thestralschwarzen Parka. Und drittens, weil sie zwei Flaschen Butterbier in den Händen hält, die sie nun anhebt und einmal grinsend gegeneinander klirren lässt, bevor sie in Richtung Tür nickt.

„Kann ich dich zu einem Drink überreden?", lautet ihre lässige und unerwartete Frage, die mir den Kopf schwirren lässt und dafür sorgt, dass mir ein paar Sekunden der Mund offen steht.

Dann nicke ich, schwinge die Beine aus dem Bett, schlüpfe in meine Stiefel und werfe mir einen Umhang über, bevor ich Ginny auf den Flur folge.

***

Als wir das Flachdach des St. Mungo betreten, erwartet uns ein Wirbel aus dicken, weißen Schneeflocken. Bisher bleiben sie auf der warmen Dachpappe des Gebäudes nicht liegen, aber wenn sich das Wetter hält, wird es nicht mehr allzu lange dauern, bis das der Fall ist. Die Temperaturen liegen bereits seit ein paar Nächten unterhalb des Gefrierpunkts.

Ginny reicht mir eine der beiden Flaschen, bevor sie ihren Zauberstab zieht und ihn zuerst auf sich selbst und dann auf mich richtet, um uns jeweils mit einem Wärmezauber zu belegen. Danach lehnt sie sich an die Außenwand der Liftkabine und schaut ruhig in die schneemelierte Nacht. Ich tue es ihr gleich, wobei ich mein Butterbier entkorke und den ersten Schluck nehme.

Die Stille, die der Schnee mit sich bringt, ist atemberaubend. Es ist so ruhig, so friedlich, dass man tatsächlich meinen könnte, wir würden nicht mitten in einem Krieg stecken, der seit über sieben Jahren tobt. Ich sehe den Schneeflocken beim Tanzen zu, entspanne mich und versuche, mir erst einmal keine Gedanken darüber zu machen, warum wir überhaupt hier sind. Was für ein Gespräch Ginny wohl mit mir führen will. Sie wird schon sprechen, wenn sie soweit ist.

Die Minuten fliegen an uns vorbei und ich muss zugeben, dass ich den unverhofften Ausflug in Gesellschaft genieße. Die frische Luft tut gut. Meine Flasche ist bereits zur Hälfte geleert, als Ginny unser einvernehmliches Schweigen zum ersten Mal bricht.

„Du bist kein Mensch, der schnell aufgibt."

Es ist eine Feststellung, keine Frage.

Ich runzele die Stirn und werfe ihr einen raschen, fragenden Blick zu, kommentiere es allerdings nicht. Ich nehme an, dass sie irgendwann zum Punkt kommen wird. In ihrem eigenen Tempo. Und natürlich werde ich nicht enttäuscht.

„Wenn du etwas willst, dann bist du hartnäckig, nicht wahr? Du hast immerhin geschlagene sieben Jahre lang daran gearbeitet, dein Dunkles Mal loszuwerden, obwohl du nicht sicher sein konntest, dass es jemals funktionieren würde."

„Ich hatte keine andere Wahl, würde ich sagen", werfe ich achselzuckend ein. Ich ziehe die Augenbrauen zusammen. Worauf will sie hinaus?

„Das sehe ich ein wenig anders", erwidert sie ernst. „Man hat immer eine Wahl und du hast deine getroffen. Du hättest dich dazu entscheiden können, dein Schicksal zu akzeptieren, aber das hast du nicht. Dafür bist du nicht der Typ, habe ich recht?"

EXITWo Geschichten leben. Entdecke jetzt