Kapitel 14

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Ein Schrei.

Dröhnend laut, direkt vor mir. Nein...

In mir.

Ich schreie so laut wie noch nie zuvor.

Meine Augen sind verdeckt, alles ist schwarz. Jegliches Gefühl ist aus meinem Körper verschwunden.

Ich kann mich nicht bewegen. Kein bisschen. Wieso kann ich mich nicht bewegen?

Aus der ferne höre ich Stimmen, sie kommen immer näher. Näher, näher, immer näher.

Mein Mund versucht Worte zu formen, doch alle Töne die von mir kommen sind schreie. Schreie, schreie, laute schreie und sie nehmen kein Ende.

Wo bin ich hier? Was passiert hier? Was passiert mit mir?

Immer mehr Stimmen kommen auf mich zu. Von allen Seiten kommen sie. Ich sehe nichts. Wer zur Hölle ist da?

Alle Stimmen kommen mir bekannt vor. Sie sagen Dinge die ich schon einmal gehört habe, aber ich verstehe nicht was sie meinen. Alles was ich weiß ist, dass ich all das kenne. Aber woher? Was ist das? Was ist hier los?

Auf einmal kommt eine neue Stimme dazu. Viel lauter als alle anderen. Die Worte viel klarer. Ich kann sie verstehen!!! Vielleicht kann sie mir helfen...

"Du bist das schlimmste was mir jemals passiert ist!"
"Wegen dir werde ich hier verrecken!"
"Ohne dich hätte ich eine Chance auf ein Leben gehabt!"
"Wieso bist du nicht gestorben als ich versucht habe dich umzubringen?"
"Ich hasse dich!"

Meine Mutter.


Ein starker schmerz im Unterleib befreit mich von meinen Qualen.
Vielleicht lässt er sie aber auch gerade erst beginnen.

Verschwitzt und zitternd, mit Tränen in meinem Gesicht schrecke ich hoch.

Es war nur ein Traum. Natürlich war es nur ein Traum.

Ein Traum der sich jeden Monat wiederholt, mehrere Male. Nur das er jedes mal schrecklicher wird.

Zumindest kann ich meine Periode somit niemals falsch einschätzen. Sobald die Träume anfangen, beginnt auch die blutige Angelegenheit.

Das Problem mit diesem Traum ist, dass er zwar immer gleich beginnt, aber jedes mal anders aufhört. Es ist immer eine andere Person die mir ein paar ihrer nettesten Sätze mir gegenüber wiederholt. Die Personen können öfter kommen, bisher war meine Mutter allerdings noch nie dabei gewesen.

Ich hatte Angst vor dem Tag an dem sie auftauchen würde. Genau wie ich dachte, konnte ich mich jetzt nicht mehr beruhigen.

Nachdem sich nach vielen Minuten nichts an meinem Zustand verändert hatte stand ich auf. Meine verschwitzten Schlafsachen tauschte ich durch irgendetwas aus, das gerade Griffbereit war.

Ohne wirklich zu überlegen laufe ich los, bis ich keinen Augenblick später vor Levis Bürotür stehe. Er hatte Recht, man konnte durch den Spalt unter der Tür sehen ob noch Licht an ist.

Zu meiner Erleichterung war das der Fall. Ich wusste nicht wie viel Uhr es ist oder wie lange ich geschlafen hatte, aber das war mir gerade absolut egal.

Vorsichtig klopfte ich um ihn nicht aufzuwecken falls er doch eingeschlafen war. Auch wenn ich gerade jemanden brauchte wusste ich dennoch, wie selten er schlief und wenn er einmal ein wenig Erholung bekam würde ich ihm diese nicht wegnehmen.

Trotzdem war meine Erleichterung groß als sich Schritte der Tür näherten und kurz darauf ein Schlüssel im Schloss umgedreht wurde.

Ohne ein Wort öffnete er die Tür und ließ mich herein. Er blickte nicht ein Mal zu mir bis er die Tür wieder abgeschlossen hatte.

"Die Träume haben nicht aufgehört?" waren seine ersten Worte.

Ich schüttelte nur den Kopf. Sprechen kam mir gerade wie unmöglich vor.

Mit einem leichten druck an meiner Schulter führte er mich zu dem Sofa, dass sich in seinem Büro befand.

Nachdem ich mich hingesetzt hatte legte er behutsam eine Decke über mich. Ich zitterte immer noch am ganzen Körper und auch wenn es nicht wirklich an Unterkühlung lag, tat die Wärme gerade sehr gut.

"Sind deine Träume auch schlimmer geworden?" fragt er vorsichtig weiter. Er setzte sich ans andere Ende des Sofas.

Etwas verwirrt schaute ich ihn an.

"Ich habe deine Schreie bis hier her gehört, sie sind lauter geworden." beantwortet er meine Frage ohne, dass ich sie gestellt habe.

"Das wusste ich nicht, tut mir leid." flüstere ich. "Entschuldige dich nicht für etwas, für das du nichts kannst."

Kurz herrscht Stille, bis ich seine erste Frage beantworte.

"Sie sind mittlerweile kaum noch Aushaltbar."

Immer noch kullern Tränen über mein Gesicht. Wenn auch nicht mehr ganz so stark.

"Mit wem war dieser?" "Mit meiner Mutter." meine Stimme bricht am Ende des kurzen Satzes.

Früher hatte Levi mich bei den Träumen miterlebt. Ich hatte ihm davon erzählt als ich den ersten hatte und wie sie sich weiter entwickelten. Er wollte immer, dass ich ihm erzähle über wen sie waren.

Zwar meinte er, er wollte es nur aus reinem Interesse wissen, aber ich weiß, dass er allen von ihnen nochmal eine übergezogen hat, sobald sie in meinem Traum vorkamen.

Bis heute hat er es nicht zugegeben, aber genau der Frust der sich gerade auf seinem Gesicht wieder spiegelt beweist es jedes Mal aufs neue.

Der Frust, dass die Person nicht mehr Lebt und er ihr somit kein Leid zutun kann.

"Was es sehr schlimm?" "Es hätte noch um einiges schlimmer werden können, aber das macht es nicht besser." murmle ich.

Für eine Weile sagt keiner etwas. Selbst als mein schniefen verstummt und die Erschöpfung eintritt, durch welche ich meine Augen schließe, sagt er nichts.

Ich bemerke nur noch schwach wie mein Körper langsam zur Seite fällt, auf einmal aber doch sanft aufkommt. Wie mir jemand ein Kissen unter den Kopf legt und mir noch eine Strähne aus dem Gesicht streicht. Wie jemand aufsteht und das Licht ausschaltet, um sich danach wieder neben mich zu setzten. Und wie genau dieser jemand die ganze Nacht nicht von meiner Seite weicht.

strong but silentWo Geschichten leben. Entdecke jetzt