Sechs

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Noah vergaß viel zu leicht die Zeit im Wald, er bemerkte gar nicht wie lange er schon ohne Ziel herumlief. Erst als er nach Stunden, die für ihn wie Minuten vergangen waren, auf sein Handy schaute, bemerkte er, wie spät es schon war. Auch Colin hatte ihm schon mehrere Nachrichten geschrieben und sogar versucht ihn anzurufen. In den Nachrichten standen einfach nur „Wo bist du? Wo bleibst du? Der Unterricht hat angefangen" und weitere Ausführungen in dieser Art. Sofort nahm Noah die Beine in die Hand und rannte zur Schule. Vielleicht schaffte er es noch zur 4. Stunde. 

Tatsächlich schaffte er es mit nur 5 Minuten Verspätung zu Chemie. Er verschnaufte kurz, versuchte seine Atmung unter Kontrolle zu bringen und drückte dann die Klinke herunter.

Frau Holopainen hatte aufgehört zu sprechen und schaute den Blonden tadelnd an. „Noah, du bist zu spät", sagte sie. Als ob er das nicht selber wüsste. „Ich weiß", sagte er genervt und immernoch mit etwas unregelmäßiger Atmung. Ohne Entschuldigung setzte er sich hin, während ihn alle anderen Schüler*innen anstarren. Colin sah ihn ebenfalls an und Noah wurde unter seinem Blick etwas nervös. Doch das überspielte er und behielt sein desinteressiertes Pokerface. 

Frau Holopainen bestellte ihn dann zu einem Gespräch nach der Stunde und führte dann den Unterricht weiter. Noah passte nicht wirklich auf. Seine Gedanken kreisten um Neele, er hatte sich seit ein paar Tagen nicht mehr bei ihr gemeldet. Schuldgefühle begannen in Noah zu wachsen, Neele war ein empfindliches Mädchen. Sie würde sich fragen, warum Noah nicht Kontakt suchte und sich dann fragen, ob er sie überhaupt liebte. Da sie nur von ihm Liebe erfahren hatte, hatte sie Angst diese auch noch zu verlieren, wenn auch nur unterbewusst. Das konnte Noah nicht riskieren. 

Er nahm sein Handy aus der Hosentasche und stellte sich eine Erinnerung Neele anzurufen. Doch Frau Holopainen bemerkte, dass Noah an seinem Handy war und rief ihn auf. „Noah, erst zu spät kommen und dann auch noch am Handy sein. Denkst du, dass hier ist eine Kino-Vorstellung?", sagte sie gereizt und kam auf ihn zu. Als sie direkt vor dem Blonden zum Stehen kam-natürlich waren alle Blicke auf die beiden gerichtet- sagte er gar nichts. 

Die Lehrerin streckte die flache Hand aus, um ihm zu symbolisieren, dass er sein Handy abgeben musste. Doch Noah tat es nicht, obwohl es extrem dumm war. Er war eigentlich der Typ Mensch, der nicht immer auf Streit oder Drama aus war, doch jetzt war es ihm egal. Ihm war es egal, wie Frau Holopainen von ihm dachte, genau wie alle anderen von ihm denken würden. Mit den meisten würde er im Schuljahr höchstens 10 Wörter wechseln. 

Doch als sein Blick flüchtig zu Colin glitt, der ihn bittend ansah, fiel seine Fassade zusammen. Wenn Colin ihn so ansah, machte er es. Er legte wiederwillig sein Handy in Frau Holopainens Hand, die zufrieden wieder nach vorne ging und ihren Unterricht weiterführte. Noah starrte für den Rest der Stunde aus dem Fenster und ignorierte die Blicke der anderen, die immer wieder flüchtig nach hinten zu ihm schauten. Sie wollten wissen, ob er sich nochmal mit ihrer Lehrerin anlegen würde. Auch Colins Blicke ignorierte er. Der Brünette schaute öfter als die anderen zu ihm. Mit Colin würde Noah wahrscheinlich nochmal über diesen Auftritt reden müssen, doch jetzt war kein günstiger Zeitpunkt dafür. Was Colin nicht wusste, war das jedes Mal, wenn er sich umdrehte, Noahs Körper eine leichte Gänsehaut bekam, die aber wieder verschwand sobald der Brünette den Blick wieder abgewandt hatte. 

Die restliche Stunde verging ohne weitere Zwischenfälle und als die Klingel endlich die Pause ankündigte, verschwanden alle Schüler*innen so schnell wie möglich aus dem Raum. Nur Noah blieb noch, da Frau Holopainen ja nochmal mit ihm reden wollte. Auch Colin machte extra langsam beim einpacken, er wollte Noah nach dem Gespräch noch abfangen. 

Noah packte seine Sachen zusammen, ließ den Rucksack dann aber am Platz liegen, genau wie seine Jacke und ging vor zum Lehrerpult, wo Frau Holopainen schon auf ihn wartete. Er stellte sich vor sie, verschränkte die Arme vor der Brust und wartete darauf, dass Frau Holopainen ihn tadelte. 

Das tat sie auch, lang und ausführlich. Sie hätte ihm wahrscheinlich am liebsten die Hausordnung vorgelesen, aber zum Glück ließ sie das bleiben. Noah hörte zu, nickte an den richtigen Stellen, sagte jedoch nichts dazu. Colin war inzwischen draußen, aber irgendwie wusste Noah, dass er hinter der Tür auf ihn wartete. 

Kurz bevor die neue Stunde begann, wurde Noah von Frau Holopainen entlassen. Sie hatte ihm noch ein Referat aufgebrummt, dass er nächste Woche halten sollte und durfte nun endlich den Chemie-Raum verlassen. Die Pause war so gut wie vorbei, es lohnte sich nicht mal mehr, kurz auf Toilette zu gehen. 

Wie erwartet saß Colin vor dem Raum neben der Tür und war an seinem Handy. Als er Noah bemerkte, wie er durch die Tür trat, stand er auf und ließ das Smartphone in seiner Hosentasche verschwinden. 

„Wie lief's?", wollte er wissen und lief Noah hinterher, der einfach an ihm vorbei gelaufen war. Noah zuckte nur mit den Schultern, steckte den Daumen zwischen den Gurt seines Rucksacks und Körper und lief weiter. Er hatte ein schnelles Tempo aufgelegt und Colin kam ihm fast nicht hinterher, da er auch noch den anderen Schülern ausweichen musste. 

„Ich hab gehört du sollst ein Referat machen. Ich kann dir dabei helfen, wenn du willst", bot er dann noch an und Noah drehte sich fahrig um. Seine Augen blitzen Colin an und der Brünette musste schwer schlucken. Er hatte nicht mit dieser Reaktion gerechnet. 

„Wenn du eh schon alles gehört hast, warum fragst du dann, wie es gelaufen war?", fragte der Blonde gereizt. Keine Ahnung, welche Sicherung da durchgebrannt war, aber im Moment war er einfach nur sauer. 

Er war sauer, dass Colin sich um ihn kümmerte. 

Das hatte bisher selten jemand getan und Noah wusste nicht, wie er damit umgehen sollte. Und das es ausgerechnet Colin war, machte die Sache nicht leichter. Alle anderen konnte er ignorieren, nur seinen Mitbewohner nicht. 

So gerne er es auch täte. 

„Sorry. Ich dachte nur, du könntest Hilfe gebrauchen", meinte Colin versöhnlich. Doch Noah überhörte die Tonlage des Brünetten und fuhr ihn an: „Ich brauch keine Hilfe". 

Damit ließ er Colin stehen und eilte zu seinem Unterricht. Er wusste, dass es Colin gegenüber nicht fair war, aber er konnte sich nicht halten. Er wollte ihm egal sein, dass wäre viel erträglicher. Aber Colin mochte ihn. Und Noah mochte Colin auch. Und er hatte jetzt alles versaut. Er wusste es doch. Er konnte keine Menschen in sein Leben lassen, ohne das er sie verletzte. 

In seinem nächsten Fach-Geschichte- konnte Noah sich nicht konzentrieren, egal wie sehr er es versuchte. Seine Gedanken wanderten die ganze Zeit zu dem Jungen, der genau vor ihm saß. Er konnte sich nicht erklären, wie Colin ihn mögen konnte. Wahrscheinlich würde er das jetzt eh nicht mehr tun. Noah hoffte, dass das Gespräch mit Neele heute Abend ihn aufmuntern würde. 

Doch jetzt musste er sich durch den Unterricht fressen und die ganze Zeit den Jungen sehen, der ihn als einziger gemocht hatte. 

Doch jetzt war Noah wieder allein. Vielleicht war das auch einfach sein Schicksal. 

Vielleicht sollte er für immer allein sein. 

You're not alone, even if we're not around | Nolin FanfictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt