Achtzehn

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Wie jeden Abend aßen die 3 in der Küche und nicht im Gemeinschaftsraum, der gleichzeitig auch der Speißeraum war. Colin und Noah saßen auf dem Fensterbrett und Neele an der Kücheninsel in Noahs Blickfeld. Heute hatten sie sich für Reis mit Hühnchen entschieden. Colin überraschte es immernoch, wie gut sein Mitbewohner kochen konnte, wenn er denn wollte. 

Plötzlich blinkte Colins Handy auf und signalisierte, dass er eine Nachricht bekommen hatte. „Julia. Sie hat ein Bild von der Hochzeitstorte geschickt", erklärte Colin kurz und zeigte Noah das Bild. Es war ein Selfie von Julia, wie sie vor einer prächtigen weißen Torte stand und grinste. Colin musste zugeben, dass er seine beste Freundin vermisste. Normalerweise hingen sie 24 Stunden am Tag aufeinander, eigentlich auch in den Ferien. Nur dieses Mal nicht und Colin musste sich etwas daran gewöhnen, dass Julia nicht in ihrem Zimmer 10 Türen weiter war. 

„Warum bist du eigentlich hier geblieben?", fragte Noah dann plötzlich. Colin schaute aus dem Fenster, dann auf den Boden. Sollte er Noah die Wahrheit anvertrauen? War er bereit, darüber zu reden? Vielleicht schon und Noah hatte ihm auch schon viel anvertraut. 

„Ich weiß nicht so ganz, wie ich es dir sagen soll. Ich habe noch nie wirklich darüber geredet. 

Vor knapp 9 Jahren sind meine Eltern bei einem Flugzeugabsturz verstorben. Sie waren viel wegen ihrer Arbeit unterwegs, deswegen war es normal, dass sie ständig wegflogen. In der Zeit blieb ich entweder bei Julia oder meinen Großeltern. Als sie abgestürzt sind, war ich bei Julia. Sie hat mich umsorgt, so gut eine 6-Jährige das eben kann. Ich habe wochenlang durch geweint und wollte nichts mehr essen. 

Julias Eltern haben mich für die erste Zeit lang bei sich aufgenommen bis das Jugendamt mich in einem Waisenheim untergebracht hat. Ich war da nicht lang, vielleicht 6 Monate. Julias Eltern haben mich adoptiert, so schnell es ging. So gesehen ist Julia also meine Schwester. Ich bezeichne sie aber nicht so, oder zumindest nicht oft. Genauso wie ich ihre Eltern nicht Mama und Papa nenne. Ich habe es bisher nicht übers Herz gebracht. 

Ich bin ihnen trotzdem unheimlich dankbar, für alles was sie mir gegeben haben. Aber ich wünsche mir einfach nur, dass meine Eltern noch leben würden. Ich hatte nie richtig die Chance sie kennenzulernen. Ich erinnere mich auch nicht sehr an sie. Ich habe Fotos von ihnen, und eine Audioaufnahme, in der mein Vater mir etwas vorgesungen hat. Meine Mutter hatte es damals aufgenommen und im Computer gespeichert. Ich habe die Datei irgendwann gefunden. Seitdem höre ich sie mir oft an, um irgendwie die Nähe von ihnen zu spüren. 

Und jetzt bin ich hier, weil die Hochzeit erstens von einer Großtante ist, die ich noch nie gesehen habe und zweitens sind Julia und ihre Eltern dahin geflogen. Auto fahren wäre zu lang gewesen. Und ich kann kein Flugzeug besteigen, ich kann es einfach nicht. Ich kann mich nichtmal an einem Flughafen aufhalten, ohne eine Panikattake zu bekommen. Es ist wahrscheinlich erbärmlich, aber es ist einfach so. Ich kann diese Angst nicht abstellen". 

Während Colin redete, fingen Tränen an, sich über seine Wangen ihren Weg zu bahnen. Colins Atmen wurde stockender und zusammen mit dem Reden war es deutlich hörbar, wie oft er tief Luft holen musste. Noah hatte seinen Teller zur Seite gestellt und den Arm um Colins Schultern gelegt um ihm Sicherheit zu geben. Um ihm zu signalisieren, dass er da war. Dass er jederzeit aufhören konnte, wenn es zu schwer wurde. 

„Das tut mir so Leid, Colin. Danke, dass du mir das erzählt hast. Ich kann mir vorstellen, dass es hart ist, darüber zu reden", sagte Noah sanft und strich sachte über Colins Oberarm. Sie blieben schweigend sitzen. Neele hatte ihr Geschirr stehen gelassen und sich in ihr Zimmer geschlichen, als sie merkte, dass etwas wichtiges und privates zwischen den Jungs passierte. Noah war froh, dass sie das nicht hören oder sehen musste. 

„Ich bin da", murmelte der Blonde Colin ins Ohr, welcher dann den Kopf auf seine Schulter legte und einfach die Tränen laufen ließ. Sie saßen so, bis Colin keine Tränen mehr produzieren konnte und dann Noah ansah. „Danke", flüsterte er heiser und kratzig. „Nicht dafür", meinte Noah und strich eine letzte Träne aus Colins Gesicht. Colin lächelte wage und Noah erwiderte es automatisch. 

You're not alone, even if we're not around | Nolin FanfictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt