Neunzehn

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Colin und Julia spielen gerade mit dem Lego, dass Julias Eltern ihr zum Geburtstag geschenkt hatten. Sie bauten aus ihrer Fantasie ein Haus auf, ohne auf die Anleitung zu achten. „Nein, das muss hier hin", sagte der kleine Junge und schnappte sich das blaue Teil aus Julias Hand um ihr zu demonstrieren, wo er es platzieren wollte. „Dann muss das aber hier hin", meinte die Blondine und setzte ein graues, rundes Teil auf den Schornstein, an dem sie die letzten 3 Minuten gearbeitet hatte. 

So ging es ein paar Minuten hin und her, solange bis Julias Mutter in das Zimmer kam und den beiden befiel, sich etwas zu trinken zu holen. Also standen die beiden 6-Jährigen auf und machten sich auf den Weg in die Küche. Sie holten sich Orangensaft aus dem Kühlschrank und dazu zwei Becher aus einem der vielen Küchenschränke. Sie tranken jeder 2 volle Becher, ehe sie sich auf dem Weg zurück ins Zimmer machten. 

Julias Vater betrat telefonierend das Wohnzimmer, durch das man in die Küche gelangte und begegnete den beiden kleinen. Sein Blick verriet Schock und sorgsam verborgene Trauer. „Ja, ich verstehe. Danke für ihre Nachricht", sagte er, hielt noch kurz inne und legte dann auf. Colin und Julia waren neugierig wie sie waren, im Wohnzimmer geblieben und schauten den Mann an, der sich vor Erschöpfung in den Sessel fallen ließ. 

„Papi, alles gut?", fragte Julia besorgt und trat einen Schritt näher an ihren Vater heran und legte ihre kleine Hand auf sein Knie. Er schaute auf und beäugte Colin, der noch 2 Schritte von ihm wegstand. 

„Colin, komm mal her", sagte er sanft und streckte seine Hand nach dem Jungen aus. Colin nahm sie und ließ sich zu Julias Vater ziehen, welcher ihn direkt auf seinen Schoß setzte. „Weißt du, das war der Flughafen, gerade. Sie haben mir gesagt, dass eines ihrer Flugzeuge wegen unbekannten Gründen abgestürzt ist. Direkt über dem Atlantik. Colin, in dem Flugzeug waren deine Eltern. Sie sind gestorben", sagte Julias Vater langsam und kam den Tränen nahe. Er hätte nie gedachte, solch eine Nachricht an einen 6-Jährigen Jungen überbringen zu müssen. 

Colin hörte die Worte wie durch eine Wand. Wie gestorben? Seine Eltern würden nicht mehr wiederkommen? Sein Vater würde ihm nie wieder Schlaflieder vorsingen? Seine Mutter würde ihm nicht mehr bei den Mathehausaufgaben helfen? Das konnte nicht sein. 

Plötzlich spürte der kleine Junge heiße Flüssigkeit über seine Wange fließen. Er weinte und der Tränenfluss wurde immer kräftiger, seine Atmung wurde unregelmäßiger und schwerer. Seine Hände und Beine begannen zu zittern und er bekam nichts mehr mit. Nicht wie Julia ihn an sich presste, nicht wie Julias Vater ihrer Mutter von der Neuigkeit erzählte und auch nicht er von der ganzen Familie in den Arm genommen wurde. Es war als wäre er in Watte gepackt, die ihn daran hinderte, zur Außenwelt vorzudringen. Er spürte die Tränen und das Zittern, sonst nichts. 

Er spürte nur, wie seine Beine dem Gewicht nachgaben und er unsanft auf die Knie fiel und dort einfach weiter weinte. Solange bis ihm schwarz vor Augen wurde. Es war als fiel er in ein Loch, es war ein langer Fall ohne Boden in Sicht.

Plötzlich schreckte Colin schweißgebadet hoch. Er atmete schwer und er zitterte am ganzen Körper. Er brauchte kurz um sich zu orientieren, bis ihm auffiel, dass er im Internat war. Dann legte er sich eine die rechte Hand aufs Herz und versuchte wieder ruhiger zu atmen. Wie konnte es sein, dass dieser Trau so realistisch war. Genauso hatte es sich vor 9 Jahren zugetragen und diese Erinnerung hatte sich fest in Colins Gehirn gebrannt und er konnte sie einfach nicht vertreiben. 

Colin schluckte schwer und ließ sich dann zurück ins Kissen fallen. Schlafen würde er jetzt wahrscheinlich nicht mehr. Er nahm sein Handy vom Nachttisch und schaute auf die Uhrzeit. 03:52. Colin atmete tief durch. Noah und Neele würden nicht vor 09:00 Uhr aufstehen, also hatte er noch gute 5 Stunden irgendwie zu überstehen. Eigentlich wollte er schlafen, aber die Gedanken an diesen Tg schlugen auf seine Stimmung. Und nochmal davon zu träumen, wie er zusammenklappte und im Krankenhaus landete, wollte er nicht. 

Also blieb er wach. Nach 5 Minuten einfach nur Rumliegen stand er auf. Das Liegen brachte ihn nicht weiter. Er schlich in die Küche und öffnete den Kühlschrank. Darin stand ein Kuchen, den er mit Neele und Noah vor 2 Tagen gebacken hatte. Er entschied sich dafür ein Stück zu essen, Schokolade sollte bekanntlich ja gegen jeglichen Schmerz helfen. 

Also schnappte er sich einen Teller und eine Kuchengabel und setzte sich dann mit einem Stück Schokokuchen auf die Fensterbank, wo er in den letzten Tagen immer mit Noah gesessen hatte. Stumm und langsam aß er den Kuchen und dachte nach, während er aus dem Fenster schaute. Manchmal ließ er Gedanken zu, die er am liebsten verdrängen wollte. Was wäre, wenn das Flugzeug nie abgestürzt wäre? Wären seine Eltern stolz auf ihn? Er fragte sich sogar, was sie von Noah halten würden, wenn sie ihn kennenlernen könnten. Alles Wunschdenken. 

Er hatte akzeptiert das seine Eltern nie wieder kommen würden. Zumindest hatte es sein Kopf akzeptiert. Sein Herz hielt die Erinnerungen gefangen, genau wie die Hoffnung. 

Es war ähnlich wie mit Noah. Sein Kopf wollte Freundschaft und hatte akzeptiert, dass das das einzige war, was für beide funktionierte. Aber sein Herz hielt an dem Blonden fest, mit der Hoffnung, es könnte mehr sein. Colin wollte doch nichts mehr als Freundschaft, warum verstand sein Herz das nicht einfach? 

Vielleicht, weil das Herz etwas wusste, wofür sein Kopf noch nicht bereit war, es zu verstehen. 

You're not alone, even if we're not around | Nolin FanfictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt