Einundzwanzig

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„Noah, was gibts zum Frühstück? Ich habe Hunger". Colin und Noah wurden von Neele unterbrochen, die just in dem Moment aus dem Zimmer trat, bereits fertig angezogen. Aufgrund des plötzlichen Auftauchens der Blondine, waren Noah und Colin auseinandergeschreckt und Noah fühlte die Kälte an seinem Rücken heraufkriechen. Dort wo Colin gerade noch seine Hand platziert hatte, war eine eiskalte Leere zurückgeblieben. 

Colin selbst schaute leicht beschämt auf den Boden und Neele schaute minimal verwirrt zwischen ihrem großen Bruder und dessen Mitbewohner hin und her und versuchte sich zusammenzureimen, was gerade passiert war. Und dann fiel ihr wieder ein, dass sie eigentlich Hunger hatte. 

„Jetzt komm schon, Noah", sagte sie also, griff nach Noahs Hand und zog ihn von Colin und ihrem Zimmer weg. Colin seufzte kurz auf, ehe er den Geschwistern folgte. Warum verfingen Noah und er sich immer in solchen Situationen.


Je später es wurde, desto mehr Autos kamen auf dem Vorhof des Einstein-Internats zum Stehen. Noah hatte sich wieder auf die Steinstufen zum Eingang gesetzt und beobachtete die Familien, die sich alle herzlich in den Armen lagen. Warum hatte er das nie gehabt? Eigentlich hatte er sich nur dort hin gesetzt, um einerseits mitzubekommen, wann seine Mutter kam, um Neele abzuholen, anderseits um eben dieser beim Basketball Spielen mit Colin zuzusehen. Sie hatten dem Blonden angeboten mitzuspielen, allerdings beobachtete er die beiden lieber. Es ist wirklich schön zuzusehen, wie glücklich seine Schwester war und wie viel Spaß sie hatte, hier bei ihm und Colin. 

Wieder verspürte Noah den Wunsch, Neele einfach auf dem Einstein behalten zu können. Als ein schwarzer BMW vorfuhr und eine gewisse Blondine aus dem Wagen sprang, unterbrach Colin das Spiel und lief auf Julia zu, um sie fest in den Arm zu nehmen. Seine Adoptivschwester, wie Noah wieder einfiel. Colin und Julia umarmten sich etwa eine Minuten, ehe der Brünette noch von Julias Eltern-seinen Adoptiveltern- in den Arm genommen wurde. 

Neele war zu Noah gegangen und auch sie beobachtete die Begrüßung der Familie. Schweigend beobachteten sie, wie sich Colin mit Julias Vater unterhielt, während sich Julias Mutter von ihrer Tochter verabschiedete. Noah zog kurzerhand seine Schwester auf seinen Schoß und hielt sie fest bei sich. Neele war seine Familie, und eigentlich war er damit mehr als Zufrieden. Aber glücklich Kinder mit ihren Eltern zu sehen, war für ihn immernoch schwer. Es erinnerte ihn daran, dass seine Eltern absolute Arschlöcher sind und er so etwas nie haben würde. 

Vielleicht war das sein größter Wunsch. Seine Eltern als richtige Eltern zu haben und nicht nur als seine Erzeuger. 

Wie aufs Stichwort fuhr der Wagen seiner Mutter fuhr und sein gesamter Körper spannte sich an. Sie holte Neele. Seine Schwester würde in ein paar Minuten wieder unerreichbar weit weg sein. „Dorothea ist da", flüsterte der Blonde in das Ohr von Neele. Sie hatte das Auto ebenfalls erkannt und rutschte nun etwas unsicher auf Noahs Schoß hin und her. Ihre Mutter war ausgestiegen, hatte sie bemerkt und stiefelte nun auf ihre Kinder zu. Noah war aufgestanden, genau wie Neele, um mit ihr auf einer Augenhöhe zu sein. 

„Dorothea", begrüßte er sie kalt. Neele hielt er an der Hand und versuchte ihr Sicherheit zu geben. Er selber gab sich dazu auch Sicherheit. „Noah, nenn mich doch nicht so", sagte sie zu ihrem ältesten Sohn und versuchte behutsam über seine Wange zu streichen, allerdings wich Noah der Berührung aus. Sie fühlte sich kalt und distanziert an. 

Ihre Mutter presste die Lippen aufeinander und beugte sich dann zu Neele herunter, um auch ihr Hallo zu sagen. Kurz redete Dorothea auf sie ein, Noah hörte nicht genau, was sie sagte, ehe Neele Noahs Hand vorsichtig losließ. Der Blonde hielt sie nicht auf. Während Dorothea die Tasche von Neele in den Kofferraum hievte, hockte Noah sich zu seiner Schwester, um sie in den Arm zu nehmen. 

„Ich werde dich vermissen, Bambi", murmelte er in ihre Haare, über die die ganze Zeit schon gestrichen hatte. „Ich dich auch", flüsterte Neele zurück und presste sich noch näher an die Brust ihres Bruders. „Wir sehen uns an Weihnachten. Ich hab dich lieb", waren die letzten Worte von Noah an seine Schwester, die von ihrer Mutter zur Abfahrt gerufen wurde. 

„Ich hab dich auch lieb", meinte sie noch und stieg dann in das Auto, nicht ohne nochmal kurz über die Schulter geschaut zu haben. Noah nickte ihr zu und schon verschwand sie hinter der verdunkelten Glasscheibe. 

„Noah, es würde deinen Vater und ich freuen, wenn du uns immermal anrufen würdest, weißt du. Wir haben nichts von dir gehört, seit du auf dem Einstein bist", sagte seine Mutter zu ihrem Sohn und versuchte erneut Körperkontakt aufzubauen. Diesmal wollte sie ihm über den Arm streicheln, allerdings verschreckte Noah diese schnell. Er wollte diese falsche Fürsorge nicht, dass konnte ihn zum Kotzen bringen. 

„Es ist stressig, ich habe nicht so viel Zeit", versuchte Noah sich herauszureden. Dass er einfach keine Lust hatte, mit seinen Eltern zu telefonieren, konnte er ihr nicht sagen, irgendetwas hinderte ihn daran. Daraufhin nickte seine Mutter und gab ihm dann die Hand. Zum Glück versuchte sie nicht, Noah zum Abschied zu umarmen. Dann stieg sie in den Wagen und fuhr davon. Zusammen mit Neele. 

Noah schaute den Auto hinterher, solange bis es um die Ecke fuhr und er es nicht mehr sehen konnte. Auf einmal spürte er eine warme Hand auf seiner Schulter und als er sich zu dessen Besitzer umdrehte, schaute er in die schönsten Augen der Welt. Colin stand hinter ihm und lächelte ihm zuversichtlich zu. „Ich bin da, dass weißt du", meinte er leise und drückte kurz die Schulter seines Mitbewohners. Noah nickte erleichtert und zusammen gingen die beiden Jungs ins Internat und in ihr Zimmer. 

Joel war verschwunden, vielleicht war er bei Annika und Nesrin oder er nervte jemand anderen mit seinen Geschichten und Businessplänen. Noah war froh, dass es hier so ruhig war und ließ sich auf sein Bett fallen. Erst jetzt fiel ihm auf, wie fertig er eigentlich war. Colin setzte sich zu ihm aufs Bett und starrte den Blonden an. So blieben sie eine ganze Weile. 

Noah lag auf dem Bauch auf seinem Bett, kurz vorm Einschlafen und Colin saß neben ihm, beobachtete ihn still. Einfach hier bei ihm zu sein und die Chance haben, seinen Mitbewohner so zu betrachten, reichte Colin. Sie mussten nichtmal miteinander reden. Vor Colin lag der zerbrechlichste Junge, den er kannte, und doch war er so stark. Er verdiente Ruhe und eine Pause. Noah sollte die Welt gehören, fand Colin. 

Er verdiente nichts als die Welt. Und ein wenig Liebe. 

You're not alone, even if we're not around | Nolin FanfictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt