Zwanzig

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„Guten Morgen, meine liebsten Mitbewohner". Früh morgens am letzten Ferientag polterte Joel in das Zimmer von Noah, Colin und ihm. Er hatte nicht bedacht, dass die beiden anderen Jungs noch schliefen, also hatte er die Tür mit Schwung aufgerissen und war fröhlich mit seinem Koffer hineinspaziert. Wie er nach 2 Stunden Autofahrt mitten in der Nacht so wach sein konnte, war jedem ein Rätsel. 

„Was'n bei dir falsch gelaufen?", fragte Noah, halb verschlafen, halb wütend. Die 2 Wochen ohne Joel und ohne seine komischen und lauten Morgenrituale waren ein Segen für seinen Schlafrhythmus und seine Nerven gewesen. Er würde es definitiv vermissen. 

 Auch Colin murrte etwas undeutliches von Bett aus der Ecke aus, allerdings hatte er sich das Kissen auf den Kopf gedrückt, weshalb seine Wörter so gedämpft hervorkamen, wie es nur ging. Joel ließ sich davon nicht wirklich beeindrucken-leider-, sondern packte seelenruhig seinen Koffer aus, während er seinen Mitbewohnern ausführlich von seinen Ferien auf Rügen erzählte. 

Noah hatte nach dem ersten Satz schon abgeschaltet und begonnen sich anzuziehen. Dass Joel hier war, bedeutete, dass Neele heute wieder gehen musste und Noah wollte sich nicht schon wieder für unbestimmte Zeit von ihr verabschieden. „Bin bei Neele", murmelte er und verschwand ohne weiteres aus dem Zimmer. 

Colin hatte das Kissen wieder von seinem Gesicht genommen, um wieder atmen zu können, allerdings konnte er nun das Geschwätz von Joel nicht unterdrücken. Da er aber auch nichts sagen will, schnappt er sich wortlos seine Waschsachen und ging ins Bad. 

Joel blieb zurück und hatte akzeptiert, dass ihm eh niemand zuhören würde. Also packte er etwas betrübt, aber immernoch euphorisch seinen Koffer weiter aus. Vielleicht wollten Annika und Nesrin später von seinem Urlaub ein paar Anekdoten erzählt bekommen. 

Noah unterdessen war in den Gästezimmer angekommen und betrat das inzwischen sehr vertraute. „Hey Bambi. Aufstehen. Es gibt Frühstück", murmelte er und strich ihr liebevoll übers Haar. Es überraschte den Blonden selber manchmal, wie unterschiedlich sein Umgang mit Neele im Gegensatz zu anderen Menschen ist. So als wäre er 2 Menschen gleichzeitig. Und sogar bei Colin kommt die fürsorgliche und sanfte Art immer mehr zum Vorschein. Genau das wollte Noah doch eigentlich verhindern. 

„Ich will nicht aufstehen. Ich will hier bleiben. Bei dir", meinte sie und zog die Decke noch enger um ihre Schultern. Noah wusste nicht genau, wie sie es meinte. Ob sie im Bett bleiben wollte und er sich einfach zu ihr legen sollte, wie sie es früher getan hatten oder ob sie bei ihm am Einstein bleiben wollte. In beiden Fällen stimmte er zu. 

„Soll ich mich mit hinlegen und wir bleiben solange hier liegen bis Dorothea kommt?", fragte er also und erhielt ein Nicken von Neele. Da ihr Vater Neele ans Einstein gebracht hat, lag es nun an ihrer Mutter, sie zurück in den Spreewald zu bringen. Noah hob die Decke ein Stück an und rutschte neben seine Schwester. Diese drückte ihren Kopf in seine Halsbeuge und Noah streichelte über die blonden Haare. 

„Kann ich nicht einfach hier bleiben?", fragte Neele leise und Noah wünschte sich, dass es so sein konnte. Neele immernoch jeden Tag um sich herum zu haben, wünschte er sich gerade so sehr, wie nichts anderes. Sie gab ihm Sicherheit und eine Art Zuverlässigkeit. An ihrer Beziehung zueinander sollte sich nichts ändern, es war Noahs Kostante im Leben, an der er sich entlang hangeln konnte. 

„Vielleicht kannst du in 2 Jahren hierherwechseln. Aber da werde ich Abitur machen und nicht mehr da sein", meinte er und realisierte, dass es wahr war. Er war manchmal so sehr auf Neele fokussiert gewesen, dass er selber vergessen hat, dass er in 2 Jahren seinen Schulabschluss haben würde. Für ihn ging seine Schulzeit definitiv zu schnell herum, genau wie seine Kindheit. 

„Aber du solltest im Spreewald bleiben, da hast du doch Freunde gefunden und du sagst doch, dass es dir da gefällt", sagte Noah dann und hob seinen Kopf so an, damit er Neele ansehen konnte. „Ja, es ist dort schön. Aber du bist mein bester Freund und ich will bei dir bleiben", sagte sie dann mit großen Augen und Noah wollte seine Schwester nach diesen Worten nie wieder loslassen. „Ich will auch bei dir sein. Nichts lieber als das täte ich. Aber es geht im Moment nicht. Aber ich werde dafür sorgen, dass wir wieder mehr Zeit zusammen haben. Das verspreche ich dir, Bambi", sagte Noah und gab Neele Zuversicht. Er konnte es in ihren Augen ablesen, dass sie ihm Hoffnung schenkte. 

„Okay", flüsterte das Mädchen und verkrümelte sich wieder in Noahs Halsbeuge. Noah legte seine Hände um den Körper seiner Schwester und drückte sie leicht an sich. Er wollte sie nicht wieder gehen lassen, das brachte er nicht übers Herz. So lagen sie ein paar Minuten herum, spürten ihre Körper aneinander und versuchten die letzten Momente zusammen nicht an den bevorstehenden Abschied zu denken. Doch alles hatte Ende, genauso wie dieser Moment. 

„Frau Schiller meinte, ich soll euch wecken. Sie will das Gästezimmer wieder herrichten und damit spätestens in einer halben Stunde anfangen", sagte Colin, der im Schlafanzug in der Tür stand. Offenbar hatte er keine Lust, nur um sich umzuziehen, noch länger Joels Gerede ertragen zu müssen. So lieb sie ihren dritten Mitbewohner auch hatten, seine morgendliche Energie ist Kräftezerrend. Vorallem wenn man 5 Minuten vorher noch tief geschlafen hatte. 

„Wir kommen gleich", murrte Noah an den Lockenkopf zurück und schälte sich aus dem Bett und zog die Decke dann noch von Neeles Körper, damit sie nicht einfach weiter liegen blieb. 

Colin war wieder aus dem Raum getreten, Noah ging ihm hinterher. „Wie gehts dir?", fragte der Lockenkopf, als er bemerkte, wie fertig Noah aussah. Der Blonde zuckte mit den Schultern. Gute Frage, wie ging es ihm? Er war müde, kaputt, traurig und irgendwie verloren. 

„Ich weiß, dass der Abschied dir schwer fällt, aber bitte verschließ dich nicht deswegen vor mir. Ich bin immernoch für dich da und ich werde nicht gehen", meinte Colin tröstend und kam ihm dabei immer näher. So nah, dass er locker seine Hand auf Noahs Wange legte um seine Worte zu bestärken. Noah zog scharf die Luft ein, Colin war zu nah. 

Wie atmete man nochmal? Wie konnten seine Augen so verdammt schön sein? Wieso fühlte sich das so gut an, und so richtig? Noah musste sich irgendwie in Erinnerung rufen, dass er genau das vermeiden wollte. 

Er wollte sich nicht verlieben. 

Er sollte sich nicht verlieben, er würde Colin doch nur weh tun. 

You're not alone, even if we're not around | Nolin FanfictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt