Die Sonne steht tief am Horizont und färbt das Wasser des Pazifiks in leuchtenden Orange- und Rottönen. Die Temperaturen sind auf ein angenehmes Maß gesunken und der leichte Wind sorgt zusätzlich dafür, dass die Hitze des Tages sich langsam verabschiedet.
Träge drehe ich das Weinglas in meiner Hand und lausche nur noch mit einem Ohr auf die Worte meines Gesprächspartners. Gelegentlich nicke oder lächle ich, was offenbar genug Ansporn darstellt, mich weiterhin zuzublubbern. Um was es genau geht, habe ich eh bereits vergessen. Mein Gesprächspartner ist ein Mann in den Dreißigern, der sein Geld im Import-Export-Handel gemacht hat. So viel weiß ich noch, nachdem er sich zu mir gesellt und ein Gespräch begonnen hat. Ob er weiß, wer ich bin? Bisher hat er es mit keinem Wort verraten. Zunächst habe ich ihn noch ganz interessant gefunden. Er ist charmant und sein Humor hat mir durchaus gefallen. Doch nachdem er einen Monolog über seine beruflichen Erfolge gestartet hatte, ist mein Interesse schnell erloschen. Ich mag keine Wichtigtuer und Selbstdarsteller.
Immer wieder wird mein Blick von dem beeindruckenden Ausblick und dem grandiosen Farbenspiel angezogen, dem er jedoch keinerlei Beachtung schenkt. Banause!
Ein wenig erinnert mich das Bild an den Ausblick, den man vom Anwesen meiner Familie in Vitória hat. Sofort meldet sich das Heimweh und legt sich wie eine schwere Decke über meine Schultern. Ich vermisse meine brasilianische Heimatstadt, 500 Kilometer nördlich von Rio de Janeiro. Ich vermisse meine Familie. Unauffällig richte ich mich auf, um das Gefühl wieder loszuwerden. Hier und jetzt hat es einfach keinen Platz. Es zeigt mir jedoch, dass es höchste Zeit für einen Orts- und Gesprächspartnerwechsel ist.
Gerade beginnt er von seinen Plänen, sein Geld in Kunstgegenstände zu investieren. Vor allem für lateinamerikanische Kunst zeigt er Interesse. Ich seufze im Stillen. Endlich kommt er zum Punkt. Also hat er sehr wohl eine Ahnung davon, mit wem er sich gerade unterhält.
Bevor er jedoch die Gelegenheit bekommt, mit mir über geschäftliche Dinge sprechen zu wollen, unterbreche ich ihn mitten im Satz. »Entschuldigen Sie mich bitte kurz. Lassen Sie uns das Gespräch gerne später fortführen, aber ich habe dort hinten unsere Gastgeberin entdeckt und möchte ihr nur schnell ›Hallo‹ sagen. Als ich angekommen bin, haben wir uns leider verpasst.«
Ich schenke ihm noch ein entschuldigendes Lächeln und lasse ihn dann einfach stehen, ohne auf eine Antwort zu warten. Kaum habe ich mich weggedreht, atme ich einmal tief durch und bemühe mich, meinen Abgang nicht wie eine Flucht aussehen zu lassen. Es ist unhöflich, ihn so abzuwürgen und stehenzulassen. Aber an dieser Stelle bin ich heilfroh, dass meine Familie nicht auf jeden Kunden angewiesen ist. Wenn er wirklich an lateinamerikanischer Kunst interessiert ist, würde er schon einen anderen Händler finden. Wenn er an mir interessiert ist, hat er schlichtweg Pech gehabt.
Ich verlasse die westliche Terrasse, umrunde den ausladenden Loungebereich, wobei ich immer wieder anderen Gästen ausweichen muss. Keine Ahnung, wie viele Menschen sich hier tummeln. Eigentlich hätte ich mir einen Überblick verschaffen wollen, aber ich hatte es schnell aufgegeben. Es ist die Hölle los. Abgesehen von all den Gästen schwirrt auch eine Unmenge an Personal herum, mit Tabletts voller Getränke und kleinen Häppchen bewaffnet. Einer Kellnerin reiche ich mein halb volles Glas, als ich an ihr vorbeigehe.
Eigentlich herrscht eine ganz angenehme Atmosphäre. Die indirekten Leuchten und Fackeln kommen jetzt, nachdem die Dämmerung einsetzt, endlich zur Geltung. Irgendwo steht ein Streichquartett und beschallt mit ihrer Musik das gesamte Gelände.
Die Villa hat einen erstklassigen Standort und eine Ausstattung, die vom Geld ihrer Besitzerin zeugt. Egal, worauf das Auge fällt, alles ist von feinster Qualität. Doch nichts von der pompösen Einrichtung beeindruckt mich. Ich bin in noch viel prachtvolleren Palästen groß geworden. Und genauso, wie ich es kenne, hasse ich es auch. Dieser offen zur Schau gestellte Überfluss an unnützen Dingen widert mich an. Ungünstig, wenn man aus einer der reichsten Familien Brasiliens stammt.
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Auf der Spur der Meisterdiebe (Drei Fragezeichen Fanfiction)
Fanfiction❔ Band 1 ❔ Ivete Camargo führt ein Doppelleben. Tagsüber studiert sie an der UCLA Wirtschaft, um irgendwann das Familienunternehmen zu übernehmen, nachts schlüpft sie in eine völlig andere Rolle. Ihr Leben ist auf ein Ziel ausgerichtet und sorgsam g...