9 | IVETE

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Um mich herum herrscht Chaos. Es sieht aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Überall auf dem Teppich liegen Zettel, Ausdrucke, Karten, Pläne, Stifte. Und ich sitze mittendrin und versuche, mir einen Überblick zu verschaffen. Ich habe heute erst spät Vorlesungen, deshalb kann ich mir endlich die Zeit nehmen, Victors Informationen durchzusehen. Ich hatte sie am Tag unseres Treffens direkt aus dem Spind geholt. Schon auf den ersten Blick sehe ich, dass sie Gold wert sind. Ohne sie wäre mein nächster Coup wenig erfolgversprechend.

Eine leise Melodie reißt mich aus meinen Gedanken. Mein Laptop steht aufgeklappt neben mir auf dem Couchtisch und ein blinkendes Pop-Up signalisiert mir einen Anruf. Von meiner Schwester.

Mit einem Tastenbefehl nehme ich ihn an. Es dauert einige Sekunden, bis sich das Bild aufgebaut hat. Dann erscheint das vertraute Gesicht meiner Schwester Taís. Ihre schwarzen, glatten Haare, die sie von unserer Mutter geerbt hat, sind zu vielen kleinen Zöpfchen geflochten. Sie liebt es, mit ihren Haaren zu experimentieren. Etwas, worum ich sie sehr beneide. Ich komme, was das angeht, eher nach unserem Vater und die krausen Locken bieten mir nicht viele Möglichkeiten. Was wir beide gemeinsam von unserer Mutter geerbt haben, sind unsere dunkelbraunen Augen und die schmale Nase.

»Olá, Schwesterherz.« Taís hat sich in den Garten zurückgezogen und sitzt auf einer der Terrassen im Schatten. Sofort kommt das Heimweh in mir hoch. Wie gerne wäre ich jetzt dort bei ihr. Unser Zuhause besteht aus einem Haupthaus und drei kleineren Nebengebäuden, die für Personal und Gäste reserviert sind. Eines der Häuser hat sich Taís geschnappt, als sie nach ihrem Studium wieder zurückgekehrt ist.

»Olá«, begrüße ich sie und rutsche näher an den Bildschirm. »Bist du alleine?«

»Natürlich nicht«, schmunzelt sie und dreht ihre Kamera so, dass ich ihre Sitznachbarin sehen kann, die neben dem Stuhl flach auf den Steinfliesen liegt.

»Bella!«, rufe ich begeistert aus. Der Hund hört meine Stimme, hebt kurz den braunen Kopf, schlägt zweimal mit der Rute und legt sich dann mit einem tiefen Seufzen wieder hin. Das war schon ziemlich viel Reaktion für sie, mehr kann ich nicht erwarten.

Eigentlich ist der Name ›Bella‹ auch ein ziemlicher Euphemismus für dieses Kalb. Bella ist ein brasilianischer Mastiff mit einer Schulterhöhe von 60 Zentimetern und fast 50 Kilo Kampfgewicht. Ihr Wesen passt zu ihrem Erscheinungsbild: faul und gemütlich. Sie ist die treuherzigste Seele, die ich jemals kennengelernt habe. Gleichzeitig würde sie ihre Familie und ihr Zuhause bis zum Tod verteidigen, wenn es drauf ankäme.

Bella ist eigentlich mein Hund, aber ich hätte sie beim besten Willen nicht zum Studieren mitnehmen können. Also hat meine Schwester sich ihrer angenommen. Und die beiden sind ein sehr gutes Gespann, wie ich ein wenig eifersüchtig feststellen musste.

»Du hast dir ganz schön Zeit gelassen.« Ich höre mich ziemlich zickig an. Mich hat das Heimweh gerade so sehr im Griff, dass ich mir den unfairen Kommentar nicht verkneifen kann.

»Reg dich ab!« Meine Schwester weiß genau, wie sie mich zu nehmen hat und lässt sich zum Glück nicht von meiner Laune beeinflussen. »Ich hab hier halt auch noch andere Dinge zu tun, Ivy. Zum Beispiel deinen Terminkalender im Blick behalten. Denkst du dran, dass du nachher noch bei Professor Velazquez vorbei musst?«

Ich seufze. Professor Velazquez ist ein angesehener Experte für die Kultur der alten Maya und hat einen Lehrstuhl an der UCLA inne. Er hat uns schon häufiger bei der Bewertung einzelner Kunstwerke geholfen. Aktuell steht noch ein Gutachten aus, das dann jetzt wohl fertig ist. So etwas kann man zwar heutzutage auch via Mail verschicken, aber was das angeht ist der gute Professor genauso altmodisch, wie sein Fachgebiet.

»Klar, hab ich auf dem Schirm.«

»Gut. Außerdem hat sich ein neuer Kunde gemeldet. In San Diego. Ich hab nächste Woche einen Termin für dich ausgemacht.«

Auf der Spur der Meisterdiebe (Drei Fragezeichen Fanfiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt