24 | BOB

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Ein Geräusch lässt mich aufschrecken. Es dauert eine ganze Weile, bis ich mich orientiert habe und mir wieder einfällt, wo ich mich befinde. Und mit der Erinnerung kommen auch die Schmerzen wieder. Es gibt kein Körperteil, dass mir nicht wehtut. Der Hashimitenfürst ist diesmal mein kleinstes Problem. Mein linkes Auge ist zugeschwollen und ich sehe kaum noch etwas daraus. Mein Magen brennt und das nicht nur vor Hunger, weil meine letzte Mahlzeit eine Ewigkeit her ist. Von den Schmerzen im Rücken oder meinen Armen, die ich aufgrund der Fesseln seit Stunden nicht mehr bewegt habe, will ich gar nicht anfangen. Als ich einen tiefen Atemzug machen will, um gegen die latente Übelkeit anzukämpfen, stoppe ich sofort wieder und unterdrücke ein Aufstöhnen. Es fühlt sich an, als würden sich tiefe Nadeln in meinen Brustkorb bohren. Ich hab keine Ahnung von Medizin, aber mindestens eine meiner Rippen hat ordentlich was abbekommen.

Die Tür des Containers wird aufgerissen und das ätzend grelle Campinglicht angeschaltet. Ich blinzel gegen die Helligkeit an.

Mein Entführer tritt vor mich, bleibt mit vor der Brust verschränkten Armen stehen und starrt auf mich hinab. Sein Anblick bringt mein Herz zum Rasen und meinen Körper unkontrolliert zum Zittern. Es hat Stunden gedauert, bis er eingesehen hat, dass er nichts aus mir rausbekommt und endlich von mir abgelassen hat. Keine Ahnung, woher ich die Kraft genommen habe, das durchzuziehen und tatsächlich die Klappe zu halten. Aber irgendwie war es auch wie ein Triumph in dieser beschissenen Lage. Und der Gedanke hat mir geholfen.

Das erinnert mich an einen Thriller, den ich irgendwann mal gelesen habe und in dem der Protagonist in einer ähnlichen Lage gewesen war. ›Es sind die kleinen Siege, die man braucht, um zu überleben‹, hatte er einer anderen Person ziemlich am Ende des Buches gestanden. Den Satz kann ich heute mehr denn je nachvollziehen.

Mein Entführer trägt immer noch diese Skimaske, aber ich bin mir inzwischen ziemlich sicher, wer es ist. Es war nur eine Kleinigkeit, die ihn verraten hat. Die Art, wie er die drei Fragezeichen ›Grünschnäbel‹ genannt hat. Gepaart mit der Stimme, die mir von Anfang an bekannt vorgekommen war, hat sich mein Verdacht schnell erhärtet.

»Die Show wird gleich losgehen«, sagt Raynor.

Welche Show? Wovon redet der Typ? Erst mit viel Verspätung begreife ich seine Worte. Mein Kopf scheint doch mehr abbekommen zu haben, als ich dachte. Ivetes Frist ist abgelaufen und es wird Zeit für weitere Anweisungen.

Raynor zieht ein Handy - mein Handy - und einen Zettel aus der Hosentasche. Nur diesmal bleibt die Waffe eingesteckt. Ich wäre eh nicht mehr in der Lage, mich gegen irgendwas zu wehren.

Er hält mir den Zettel vor die Nase. Mit zusammengekniffenen Augen versuche ich zu entziffern, was da steht. Ohne Brille und mit nur einem funktionierenden Auge ist das ein ziemlich schwieriges Unterfangen. Mit Müh und Not gelingt es mir.

Ich muss mich räuspern, ehe ich etwas sagen kann. »Soll ich das wieder vorlesen?«

Er nickt, beugt sich hinab zu meiner rechten Hand und entsperrt mein Handy. Dann wählt er erneut Ivetes Nummer aus.

Dieses Déjà-vu jagt mir einen eiskalten Schauer über den Rücken. Ich kann nur hoffen, dass das Ende diesmal anders abläuft.

Ivete geht nach den zweiten Klingeln bereits ans Handy.

»Hey, Bob.«

Ich muss schlucken, als ich ihre sanfte Stimme höre. Im Hintergrund höre ich leise Geräusche von Autos, aber auch Naturgeräusche. Als stände sie an einer Straße, die direkt an einen großen Park anschließt.

»Hey, hast du es?«

Sie seufzt schwer. »Ja, ich hab es. Wo soll ich hinkommen?«

»Bring es zum Manhattan Beach Pier. Direkt am Anfang des Piers wartest du.«

Ein leises Zwitschern ertönt, bevor sie weiterspricht. Als würde der Vogel direkt hinter ihr in einem Busch sitzen.

»Okay, ich weiß ungefähr, wo das ist. Ich kann in einer Stunde da sein. Wie geht es dir?«

»Den Umständen entsprechend«, antworte ich. »Ich freue mich darauf, dich wiederzusehen.«

»Ich...«

Raynor unterbricht die Verbindung, bevor sie zu Ende gesprochen hat und steckt das Handy wieder weg. Dann dreht er sich um und will den Container wortlos verlassen.

»Warten Sie! Wie geht es jetzt weiter?«

Er bleibt stehen und dreht sich langsam zu mir um. »Das kommt ganz darauf an, wie kooperativ deine Freundin ist. Wenn alles so klappt, wie vorgegeben, werde ich ihr sagen, wo man dich findet. Falls nicht ...« er zuckt mit den Schultern. »Sagen wir so, planmäßig sollte dieser Container in nächster Zeit auf dem Weg nach China sein.«

Mir wird bei dem Gedanken schlecht, was er da andeutet.

Ohne weiter darauf einzugehen, dreht er sich endgültig um und lässt mich wieder alleine in der Dunkelheit des Containers zurück.

Als ich sein Auto wegfahren höre, kann ich nicht mehr an mich halten. Jegliche Spannung verlässt meinen Körper und ich lasse den Kopf auf meine Brust fallen. Diesmal ist es aber nicht Verzweiflung, die mir alle Kraft raubt, sondern pure Erleichterung.

Denn natürlich habe ich den Vogel im Hintergrund sofort erkannt und auch die Botschaft, die nur für mich bestimmt war.

Ivete ist unterwegs. Und sie hat Verstärkung mitgebracht.


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Na, wer weiß, was das für ein Vogel gewesen ist?

Auf der Spur der Meisterdiebe (Drei Fragezeichen Fanfiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt