2 | BOB

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Unauffällig werfe ich einen Blick auf meine Armbanduhr. Noch eine halbe Stunde, dann ist die Schicht zu Ende und ich kann endlich nach Hause gehen. Meine Füße brennen wie Hölle, weil meine besten Schuhe leider nicht gleichzeitig auch die bequemsten sind. Und von dem Dauerlächeln fühlt sich mein Gesicht inzwischen unangenehm verkrampft an.

Eins steht definitiv fest: Das hier ist kein Job für mich. Lieber schlage ich mir die Nächte um die Ohren, um einer von Sax Sandlers Bands bei einem Gig zu helfen. Oder schleppe zentnerschwere antike Möbel über den Schrottplatz - Pardon - Gebrauchtwarencenter T. Jonas.

Hätte meine Kommilitonin Eve nicht händeringend nach einem Ersatz für ihren erkrankten Kollegen gesucht, wäre ich auch niemals an diesen Job gekommen. Aber ich habe mich breit schlagen lassen. Und zugegebenermaßen ist die Bedenkzeit bei der Bezahlung nicht sonderlich lang ausgefallen.

Bei dem Crashkurs in Cocktails-Mixen habe ich mich nicht ganz so blöd angestellt und mich für den Job hinter dem Tresen qualifiziert. Wenn auch an dem, der etwas ab vom Schuss war.

Und hier stehe ich nun und mixe seit Partybeginn irgendwann am Nachmittag einen Mojito oder Cosmopolitan nach dem anderen. Mit der Zeit hat sich die Routine eingestellt und ich werde nicht nur schneller, ich muss auch kaum noch heimlich auf meinen Spickzettel mit den Rezepten blicken. Sofern es keine Sonderwünsche gibt.

Sofort drängt sich das Bild von Ivete wieder in den Vordergrund. Ihre schwarze krause Lockenmähne, die an einer Seite von einer schlichten Spange zurückgehalten wurde. Ihre dunklen Augen, deren Iris kaum von der Pupille zu unterscheiden gewesen waren. Ihre vollen Lippen, die mit einem Lächeln besonders schön ausgesehen hatten. Das grau-blaue Kleid mit dem knielangen, luftig fallenden Rock, unter dem ihre langen Beine hervorschauten. Sie stach aus der Menge an Schönen und Reichen durch ihre Eleganz und Haltung. Auch wenn ihre Worte ihr Unwohlsein verdeutlicht haben, sprachen ihr Auftreten und ihr Kleid doch eine andere Sprache. Sie ist es gewohnt, sich in diesen Kreisen zu bewegen, auch wenn sie es nicht gerne tut.

Ich bedauere es inzwischen, sie nicht nach ihrer Nummer gefragt zu haben. Aber ich hatte keinen Bedarf daran, Ärger zu bekommen, weil ich eine der Gäste anbaggerte. Zwar hat mir niemand diese Regel mitgeteilt, ich kann mir jedoch nicht vorstellen, dass der Chef es gerne sieht. Und doch ärgert es mich. Immer wieder halte ich nach ihr Ausschau. Das letzte Mal habe ich sie gesehen, als sie gemeinsam mit Filippa Monet, der Gastgeberin, die Treppe ins obere Stockwerk hochgegangen ist. Und das ist bereits eine ganze Weile her. Hoffentlich ist sie nicht schon gegangen.

»Hey, Andrews!«

Ich blicke von dem Glas auf, das ich gerade poliere. Mein heutiger Chef, Jay Griffin, kommt mit großen Schritten an die Bar.

»Ich brauche jemanden, der mir hilft. Wir haben noch einmal Getränke geliefert bekommen.«

»Klar.« Ich lege alles ordentlich an seinen Platz und folge ihm durch einen Seiteneingang nach draußen. Inzwischen ist es dunkel, zumindest ist die Sonne untergegangen. Richtig dunkel wird es in dieser Villa wohl nie. Überall sind Leuchten angebracht und die helle Architektur im ganzen Haus tut ihr Übriges. Vermutlich benötigt man tagsüber selbst drinnen eine Sonnenbrille, je nachdem wie die Sonne steht.

Wir schleppen mehrere Kisten mit allen möglichen Getränken aus dem blauen Transporter ins Innere der Villa und stellen sie in einem Raum nahe der Küche ab, den wir als Lager nutzen dürfen.

»Das sind die letzten«, schnauft Jay, als wir ein weiteres Mal am Lieferwagen stehen. Er klettert rein und schiebt die letzten beiden Kisten zur Tür. Der Schweiß glänzt auf seiner hohen Stirn. Er springt heraus und wischt sich mit dem Ärmel über das Gesicht. Es beruhigt mich ungemein, dass selbst er, sportlich, muskulös, aber vor allem solche Arbeit gewohnt, außer Atem ist. Ich selbst lehne mich mit rasendem Puls gegen den Lieferwagen und atme erst einmal tief durch.

»Danke, dass du so kurzfristig für Mike eingesprungen bist. Hast dich gut geschlagen für's erste Mal.«

Ich zucke mit den Achseln. »Gern. Das Geld war ehrlicherweise ein guter Anreiz«, gebe ich offen zu.

Er schmunzelt und nickt. »Wenn wir die reingebracht haben, kannst du Feierabend machen. Meld dich morgen einfach bei mir, wegen des Geldes. Vielleicht hab ich noch einmal einen Job für dich.«

Bloß nicht! Aber das will ich ihm hier und jetzt nicht einfach so an den Kopf werfen. Daher nicke ich unverbindlich.

Wir haben die Villa gerade wieder betreten, als plötzlich ein durchdringender Alarmton durch das Haus schallt. Irritiert bleiben wir stehen.

»Waren wir das?«, frage ich verwirrt.

Jay schüttelt den Kopf. »Ich hab nichts berührt.«

Während wir die Kisten wegpacken, verstummt der Ton wieder und Hektik bricht aus. Nicht bei den Gästen. Die scheinen kaum etwas mitbekommen zu haben. Es gibt einige, die sich im Haus aufgehalten haben und sich nun irritiert umsehen. Aber im Garten scheint man den Ton nicht gehört zu haben.

Hektik bricht vielmehr bei der Security aus. Einige der Männer sammeln sich in der Nähe meiner Bar und reden miteinander. Zwei gehen eiligen Schrittes zur Treppe und verschwinden irgendwo im oberen Stockwerk.

Und dann gesellt sich Filippa Monet zu ihnen. Sie wirkt aufgeregt und hört sich an, was einer der Männer erzählt und schüttelt dann aufgebracht mit dem Kopf.

Um zur Bar zu kommen, muss ich genau an ihnen vorbei. Etwas, das ich sofort ausnutze. Langsam gehe ich zurück zu meinem Arbeitsplatz und lausche den Worten, die gesprochen werden.

»Das ist eine Katastrophe!« Mrs Monets Stimme klingt aufgebracht. »Gestohlen? Haben Sie auch wirklich alles abgesucht?«

»Ja, Ma'am«, sagt der Security-Mann leise, vermutlich der Chef. Ein riesiger Typ mit breiten Schultern und Glatze. »Die Vitrine zeigt Einbruchsspuren und das Amulett ist verschwunden.«

Verzweifelt wirft sie die Hände in die Luft. »Aber wie kann das sein? Ich war doch eben noch dort gewesen und habe es gesehen. Und danach habe ich die Sicherheitstür definitiv wieder aktiviert. Ich bin mir ganz sicher!«

»Sie sollten die Polizei einschalten. Alle Personen, die hier sind, sollten befragt werden. Der Dieb muss noch irgendwo auf dem Gelände sein. Wir haben die Zufahrt bewacht, aber uns ist niemand aufgefallen, der in der letzten halben Stunde gegangen ist.«

Sie schnappt nach Luft. »Das ist eine Katastrophe! Ich kann doch meine Gäste nicht hier festsetzen! Wo kommen wir denn dahin? Und am besten noch alle unter Generalverdacht stellen? Nein! Das ist unmöglich!« Wütend funkelt sie den Mann an. »Es ist Ihr Job! Warum war es überhaupt möglich, dass in diesen Raum jemand unbemerkt eindringen konnte? Er ist kameraüberwacht, irgendwas muss doch darauf zu sehen sein!«

»Das werden wir sofort klären, Ma'am«, pflichtet der Security-Chef ihr bei. Er wirkt alles andere als glücklich über den Verlauf des Gesprächs. »Sie sollten dennoch überlegen, was als Nächstes zu tun ist. Ich empfehle Ihnen, sich mit der Polizei in Verbindung zu setzen.«

Niemand hat bisher bemerkt, dass ich stehen geblieben bin und mit großem Interesse dem Gespräch lausche. Die alte Spannung ergreift mich, wie immer, wenn plötzlich ein Rätsel auftaucht, das gelöst werden will.

Ich nehme allen Mut zusammen und trete an sie heran. »Mrs Monet?«

Sie zuckt kurz zusammen und dreht sich zu mir um.

»Entschuldigen Sie bitte, dass ich mich einmische. Ich habe zufällig mitbekommen, was vorgefallen ist. Sie wollen keine Polizei einschalten?«

Sie schnaubt. »Sehr richtig. Was können die denn jetzt noch ausrichten. Die würden nur meine Gäste belästigen und mich mit falschen Verdächtigungen in Teufels Küche bringen.«

»Verständlich, Ma'am. Vielleicht kann ich Ihnen da behilflich sein.«

Ich greife in die Brusttasche meines Hemdes und ziehe eine unscheinbare Visitenkarte heraus.

»Darf ich Ihnen unsere Karte geben?«

Auf der Spur der Meisterdiebe (Drei Fragezeichen Fanfiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt