23. Kapitel

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Nervös betrat ich den Garten und folgte den sorgfältig zurechtgestutzten Büschen zum Haus. Der weiße Kieselweg endete vor dem großen Eingangstor, welches aus dunklen Eichenholz bestand. Die Säulen aus weißen Marmor stützten das Dach des Hauses. Das Gebäude machte einen einschüchternden Eindruck. Ich kannte das Haus gut, aber es hatte nichts Willkommenes oder Vertrautes an sich. Es war nie ein Zuhause gewesen, sondern ein Gefängnis.

Ich holte ein letztes Mal tief Luft und versuchte meinen letzten Mut zusammenzukratzen, bevor ich endlich klingelte. Alles blieb ruhig. Für einen kurzen Moment hoffte ich, keiner wäre Zuhause. Aber dann erklangen Schritte und die Tür wurde geöffnet.

Ich hielt den Atem an, als meine Mutter im Türrahmen erschien. Sie hatte sich nicht verändert. Noch immer waren ihre dunklen Augen kalt und ein bitterer Zug umspielte ihre Lippen. Das letzte Mal, als ich sie gesehen hatte, war ich mit einem Mann abgehauen. Nun stand ich mit einem Kind in meinen Armen vor ihrer Tür. Wie erbärmlich musste ich in ihren Augen aussehen. Wie sehr schämte ich mich nun ihren Blick erwidern zu müssen.
Ich erwartete, dass sie mich anschrie, dass sie mich schlug oder als Schlampe beschimpfte. Aber sie sah mich nur wortlos an und ihre Miene verriet keinen Gedanken.

"Mama, ich... Ich kann nicht lange bleiben", stammelte ich und verfluchte mich selbst für diese Worte. Ich wollte so viel sagen, aber meine Stimme schien versiegt zu sein. Plötzlich war ich wieder ein kleines Mädchen, das hingefallen war und ihr neues Kleid zerrissen hatte. Und meine Mutter würde mich nicht trösten, sondern mich beschimpfen.

"Ich habe nur eine große Bitte an dich", fuhr ich fort, als ich endlich meine Worte wieder fand und meine Mutter weiterhin schwieg. Ich wusste nicht, wie ich ihre Stille deuten sollte, aber es war ein gutes Zeichen, dass sie mir nicht die Tür vor der Nase zuschlug.
"Ich muss mein Kind in Sicherheit wissen. Ich weiß nicht, wie viel Zeit mir hier noch bleibt, aber ich fleh dich an, pass auf ihn auf." Heiße Tränen traten in meine Augen und ich konnte meine Verzweiflung nicht verbergen. Ich wusste, dass dies meine letzte Hoffnung war mein Kind vor Riddles Herrschaft zu bewahren. Bei Rachel konnte mein Baby nicht bleiben, wir standen uns zu nahe. Aber bei meiner Familie, die mich all die Jahre verachtet hatte, würde Riddle nie erwarten, dass ich mein Kind ihnen gegeben hatte. Die Stille zwischen meiner Mutter und mir trieb mich nun beinahe in den Wahnsinn. Warum sprach sie nicht mit mir.

Weitere Tränen ließen die Sicht vor meinen Augen verschwimmen.
"Bitte Mama, sag etwas", flehte ich. Ich würde vor ihr auf den Knien betteln und jede Erniedrigung auf mich nehmen, wenn sie dafür nur auf mein Kind aufpassen würde.

Ich sog scharf die Luft ein, als meine Mutter mir erstaunlich sanft meinen Jungen aus den Armen nahm. Sanft wiegte sie ihn hin und her. Ich schluchzte auf, als ich das Bild vor meinen Augen sah. Wie lange war es her, dass ich diese Mutterliebe gespürt hatte? Ich wusste es nicht. Aber mein Herz brach trotzdem. Ich wollte meine Mutter zurück. Nicht die, welche mich beschimpfte und meinen Bruder bevorzugte. Nein, ich wollte die, welche mir aufgeholfen hatte, als ich hinfiel. 

"Dein Vater hat mich ebenso gebrochen, wie dein Verehrer es dir angetan hat", endlich sprach meine Mutter mit mir und ihre Stimme war so viel sanfter, als ich sie in Erinnerung hatte. Meine Tränen versiegten langsam und mein Herz klopfte vor Aufregung schneller. Sie hatte meinen Vater nur ein einziges Mal erwähnt, aber ich wusste nichts von ihm.

"Ich stand ebenso auf der Türschwelle zu meinem Zuhause, mit einem unehelichen Kind in meinen Armen, wie du jetzt. Edward wollte mich nicht mehr, aber genauso wenig wollte mich meine Familie. Mein Vater scheuchte mich in  den Regen und ich musste dich alleine großziehen, bis ich deinen Stiefvater kennengelernt habe", fuhr sie fort und gespannt hielt ich den Atem an. Meine Mutter sah mich an und mir erschien es, als würde sie mich das erste Mal seit Jahren wieder richtig sehen.

"Aber ich habe mir eines geschworen, dass ich keines meiner Kinder so einfach vor die Tür setzen würde, wie es meine Eltern taten", fuhr sie fort und eine leise Zuneigung erfüllte mich. Ich verzieh meiner Mutter nicht, dass sie mich all die Jahre scheinbar grundlos erniedrigt hatte, aber vielleicht würde sie es nun besser machen. Ich wäre nicht mehr hier, aber sie konnte es meinem Jungen beweisen.

"Kannst du mir versprechen, dass mein Kind nicht Tom Riddle in den Händen fallen wird?", fragte ich leise und leise Hoffnung stieg in mir auf. Meine Mutter seufzte leise. Dann nickte sie.

"Das bin ich dir vermutlich schuldig. Erst in den letzten Monaten, als du nicht hier warst, ist mir aufgefallen, wie sehr ich dich verletzt habe. Ich habe in dein Gesicht gesehen und Edward darin erkannt. Ich habe dich dafür gehasst, aber ich hatte nicht das Recht dazu", sie senkte den Blick, wirkte beinahe beschämt. All die Jahre hatte ich auf ein Geständnis gewartet, auf eine Entschuldig. Jetzt, wo ich genau dies bekam, wusste ich nicht, wie ich mich fühlen sollte. Es war zu spät meiner Mutter ihre Fehler zu verzeihen, aber ich hatte Vertrauen, dass sie mein Kind besser behandeln würde. Und dies war alles, was zählte.

"Darf ich dich ein letztes Mal umarmen, bevor du gehst?", fragte sie leise und völlig überfordert nickte ich. Meine Mutter legte meinen Sohn vorsichtig in den Korb ab, den ich auf den Boden gestellt hatte. Dann schloss sie mich in die Arme. Ich klammerte mich an sie, wie eine Ertrinkende. Tränen durchnässten ihre Bluse, als ich mein Stirn an ihre Schulter lehnte. Ich weinte, weil ich in den letzten Monaten stark geblieben war, aber nun konnte ich nicht mehr. Ich hatte die Kraft in meinem jungen Alter ein Kind zu gebären, doch ein Gespräch mit meiner Mutter ließ diese Kraft in mir zerbrechen. Ich schluchzte leise und ließ sie nicht los, bis meine Tränen versiegten. In diesem Moment, möglicherweise waren es die letzten Stunden vor meinem Tod, brauchte ich keine andere Liebe als die meiner Mutter. Ich benötigte keine Leidenschaft, sondern diese unschuldige, reine Mutterliebe.

Schließlich löste ich mich von ihr und ging in die Knie, um meinen Sohn ein letztes Mal sanft auf die Stirn zu küssen. Er öffnete seine Augen und ein strahlendes Lächeln stahl sich auf seine Lippen. Er wusste nicht, dass Abschied nahte, aber mir zerriss dies das Herz.

"Ich liebe dich. Und wenn ich irgendwie die Möglichkeit habe zu dir zurückzukommen, werde ich es tun", wisperte ich. Dann stand ich au und nickte meiner Mutter ein letztes Mal zu, bevor ich mich umdrehte und den Weg zurückging, den ich gekommen war. Als ich das Gartentor erreichte, wandte ich mich ein letztes Mal meiner Mutter und meinem Sohn zu.

"Sein Name ist übrigens Mattheo. Mattheo Riddle."

Dann wandte ich mich schweren Herzens ab. Ich hatte noch etwas zu erledigen und ich schämte mich dafür, dass ein kleiner Teil von mir sich freute, Riddle wiederzusehen.

Loving you has no time (Tom Riddle FF)Where stories live. Discover now