Die Fortsetzung von Spiegel-Marian

Erst Lob, dann Trauer

Derke sprang auf meine Schulter und wir lachten uns kaputt, während wir in mein Zimmer liefen.

Wir weckten zwar ausversehen ein paar Leute damit auf, aber das war mir in dem Moment komplett egal.

Mein Zauberspruch hat funktioniert und es ist nichts schiefgegangen! Das war einfach unglaublich!!!

Am nächsten Tag kam Scarlett in aller Frühe zu mir ins Zimmer geplatzt und fragte ganz aufgeregt, nachdem ich mich umgezogen hatte: ,,Und? Hat es funktioniert? Hat Prinz John die Erinnerungen an die Spiegel-Marian verloren?". ,,JAAAAA", quitschte ich. ,,Yipiieee!", quitschte auch sie und wir fingen an zu lachen.

Auf einmal ging meine Balkontür auf und es kam ein sich ohrenzuhaltender Robin hinein.

,,Mensch, Respekt ... ihr Mädchen kommt mit euren Stimmen noch viel höher als das hohe C! Ihr könntet eine Sirene sein! Passt auf, das der Sheriff euch nicht hört und denkt, Ralf und Rolf haben wieder versucht, Geige zu spielen!", murmelte er und nahm langsam die Finger von den Ohren.

Wir lachten alle zusammen, aber dann verschränkte Robin die Arme und sah mich an.

,,Jetzt bin ich aber neugierig. Worüber habt ihr euch denn so wahnsinnig gefreut?".

Ich kicherte. ,,Mein Zauberspruch hat ausnahmsweise mal funktioniert und mein Cousin hat mich vergessen!".
Robin sagte zufrieden: ,,Na also. Ich wusste doch, das du es tief im Inneren kannst!".

,,Naja ... genauer gesagt hat Prinz John die Spiegel-Marian vergessen", korrigierte mich Scarlett und zwinkerte mir zu.

,,Hää? Aber ich war das doch, die Prinz John in einen Eisblock verwandelt hat, oder?", fragte ich verwirrt.

,,Neeeein. Das warst nicht du, sondern dein böses Spiegelbild!", rief meine Freundin. ,,So etwas böses würdest du nie tun!". 

Ich atmete tief aus. ,,Und ich dachte schon, das ich das war und das ich total böse und gemein war vor meinem Gedächtnisschwund!".

,,Keine Sorge. Du warst nett und zu allen höflich, bloß zu deinem Cousin manchmal nicht. Aber du würdest ihm nie sein Gold wegstehlen und ihn dann in einen Eisblock verwandeln, weil er sich gewehrt hat!", sagte Robin ernst und auf einmal wechselte sein Gesichtsausdruck zu tiefer Traurigkeit.

Er sprach die Wörter zwar nicht aus, aber man konnte sie deutlich in seinem Gesicht lesen: ,,Ich vermisse dich".

Seine Stimmung steckte wohl an, denn auf einmal war jeder in diesem Raum bedrübt.

Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus und ging langsam auf ihn zu.

Als ich bei ihm war, legte ich sanft eine Hand auf seine Schulter und sah ihm in seine schönen braunen Augen.

,,Hör mal zu:
Es mag sein, daß die Marian, die vor dem Gedächtnisschwund existierte, nicht hier ist. Es mag sein, daß ich mich an die ganzen Abenteuer, die sie und ihr zusammen erlebt haben, nicht mehr erinnern kann. Und es mag sein, daß ich euch noch nicht so gut kenne wie die Marian vor dem Gedächtnisschwund.
Aber ich werde versuchen, dem Niveau von ihr näher zu kommen. Ich werde versuchen, so zu sein, wie sie. Und ich werde versuchen, euch weiterhin zu helfen mit dem ganzen Zeug, wobei ich euch vorher auch geholfen habe. Aber dass kann ich nicht alleine schaffen. Ich brauche deine Hilfe und die von Scarlett, Tuck und Little John dafür, und, um mein Gedächtnis wieder zu erlangen.
Da hilft es mir ehrlich gesagt nicht weiter, wenn du nur an die Marian vor dem Gedächtnisschwund denkst. Deshalb bitte ich dich, trauere ihr nicht nach und konzentriere dich auf die Marian, die dich jetzt braucht. Und das bin ich.
Und selbst wenn es aus irgendeinem Grund nicht klappt, das ich mich wieder an die ganzen Abenteuer und so erinnern kann, dann ... dann weiß ich wenigstens etwas, was ich bestimmt schon immer gewusst habe: Und zwar, das du ein richtig toller Mensch bist.".

Wir sahen uns eine Zeit lang in die Augen und ich bemerkte, das er langsam anfing, zu lächeln.

Ich lächelte auch, trat dann einen Schritt vor und umarmte ihn. Ich spürte, daß ein kleiner Schauer über seinen Rücken lief, bevor er mich zurückumarmte.

Als wir uns voneinander lösten und ich mich zu Scarlett umdrehte, sah sie uns total verzückt an: ,,Awwwww ... das war so niedlich!!!", quitschte sie und sah so aus, als ob sie zerflissen wollte.

Robin und ich sahen uns etwas verwirrt und rot an, und fingen dann an zu lachen.

Dabei bemerkte ich etwas: Etwas bestimmtes war aus seinen Augen verschwunden. Etwas, wo ich gar nicht drauf geachtet hatte, aber jetzt, wo es fehlte, fiel es mir auf:  zurückgedrängte Trauer.